Klage der KlimaSeniorinnen: „In Hitzewellen erkranken und sterben mehr ältere Frauen als Männer“

Einst protestierte Rosmarie Wydler-Wälti gegen die Kernkraft. Heute klagt sie mit den KlimaSeniorinnen gegen die Schweiz. Warum? Ein Interview über die erste Klimaklage auf europäischer Ebene.

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Strassburg. Die KlimaSeniorinnen klagen gegen die Schweiz: Erstmals überprüft der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), inwiefern ein Staat wie die Schweiz seine Treibhausgasemissionen stärker reduzieren muss, um die Menschenrechte der Bevölkerung zu schützen.

Die Initiative KlimaSeniorinnen klagt mit über 2000 Mitstreiterinnen vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) gegen die Schweiz. Es ist die erste Klimaklage auf europäischer Ebene. Der EGMR muss nun entscheiden, ob die Klimapolitik eines Staates Menschenrechte verletzt. Würde die Schweiz verurteilt, hätte dies weitreichende Folgen für Europa. Gibt der EGMR den KlimaSeniorinnen recht, könnte damit ein Weg aufgezeigt werden, wie Einzelpersonen die Klimapolitik der 46 Staaten des Europarats einklagen können.

Mit dabei: Rosmarie Wydler-Wälti. Im Gespräch mit RiffReporter erklärt die 73-Jährige, warum Frauenkörper schlechter mit Hitze zurechtkommen und warum Klimaschutz ein Menschenrecht ist.

Frau Wydler-Wälti, Sie sind Co-Präsidentin der KlimaSeniorinnen vom deutschsprachigen Teil der Schweiz. Was möchten Sie mit Ihrer Klimaklage konkret erreichen?

Wir erhoffen uns vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, dass er Klimaschutz als Menschenrecht anerkennt – das ist eigentlich der Hauptpunkt.

Wer sind die KlimaSeniorinnen?

Uns KlimaSeniorinnen gibt es schon seit 2016. Zweck unserer Vereinsgründung war es damals, den Bundesrat zu verklagen, weil er viel zu wenig für den dringend notwendigen Klimaschutz unternimmt. Dabei stehen in unserer Bundesverfassung und in der Menschenrechtskonvention das garantierte Recht auf Leben und auch das Vorsorgeprinzip.

Frauen sind leider stark gefährdet von der Klimakrise.

Rosmarie Wydler-Wälti, Co-Präsidentin der Schweizer Initiative KlimaSeniorinnen in der Natur.
Einst protestierte Rosmarie Wydler-Wälti gegen die Kernkraft. Heute klagt die 73-Jährige mit der Initiative KlimaSeniorinnen gegen die Schweiz.

Wieso sind ältere Frauen besonders anfällig für die Folgen der Erderhitzung?

Wir älteren Frauen sind die Personengruppe, die am meisten davon betroffen ist – mehrere wissenschaftliche Studien legen dies nahe. In Hitzewellen erkranken und sterben mehr ältere Frauen als Männer. Diese Übersterblichkeit könnte auch biologische Ursachen haben.

Neben sozialen Faktoren könnten auch physiologische Gründe eine Rolle spielen?

Genau. Und dadurch haben Männer auch ein geringeres Risiko, an Herzinsuffizienz zu erkranken oder Hitzschläge zu erleiden oder weitere Krankheiten zu bekommen. Die Weltgesundheitsorganisation hat diese Geschlechterunterschiede bestätigt. Unser Staat müsste uns eigentlich davor schützen.

Ob es eine nachweisbare höhere physiologische Belastung durch Hitze auf Frauen als auf Männer gibt, ist derzeit nicht eindeutig geklärt. Klar jedoch ist das höhere Risiko für alleinlebende ältere Menschen, im überwiegenden Maße also für Frauen.

Haben Sie dokumentiert, ob und wie KlimaSeniorinnen besonders von Hitze betroffen sind?

Wir haben Betroffene in unserer Initiative, die haben Atteste von ihren Ärzt:innen vorliegen, dass sie aufgrund von Hitzewellen erkrankt sind. Oder eben auch Atteste, dass Frauen mit Vorerkrankungen durch die Hitze noch stärker getroffen werden.

Wie sind Sie überhaupt auf die Idee gekommen zu klagen?

Entscheidend war die erfolgreiche Klage der NGO Urgenda in den Niederlanden. Damals wurde erfolgreich argumentiert, dass der niederländische Staat seine Fürsorgepflicht verletzt, da er keine ausreichenden Schritte zur Begrenzung des Klimawandels eingeleitet hat. Die Initiative für unsere Klage ging von Greenpeace aus, Greenpeace suchte dann engagierte ältere Frauen als Klägerinnen. So haben wir KlimaSeniorinnen gegründet. Die Klage haben wir unterstützt von Greenpeace eingereicht. Es handelt sich also auch um eine strategische Prozessführung – was durchaus üblich ist im Umweltbereich.

Welche Signalwirkung erhoffen Sie sich von einem Urteil?

Wenn es dann positiv für uns ausgeht, hoffen wir natürlich, dass der Schweizer Staat sich gezwungen fühlt, viel schneller vorwärts zu machen beim Klimaschutz als bisher. Und dass unsere Klage beziehungsweise die Klagen auch für Europa Signalwirkung haben wird.

Gibt es mehrere Klagen?

Unsere Klage gegen die Schweiz ist nur eine von drei Klagen zur Klimakrise, die derzeit bei der Großen Kammer anhängig sind. Außerdem klagt ein ehemaliger Bürgermeister der französischen Gemeinde Grande-Synthe, die vom steigenden Meeresspiegel bedroht ist. Und dann gibt es noch die Klage von sechs portugiesischen Kindern und Jugendlichen. Sie verklagen 33 Staaten wegen schädlicher Treibhausgasemissionen, die unter anderem zu mehr Hitzewellen führen. Deutschland und die Schweiz werden hier ebenfalls mitverklagt.

Wie geht es jetzt weiter?

Uns wurde vom EGMR berichtet, dass diese drei Klagen miteinander besprochen und beraten würden und dann eine Art Leit-Urteil gefällt wird. Das Urteil wird Ende dieses Jahres, spätestens Anfang 2024 erwartet.

Bekommen Sie auch Gegenwind mit Ihrer Initiative?

Wir erhalten immer mal wieder anonyme Mails, oft sind diese rechtslastig. Die Absender finden, wir sollten doch ins Pflegeheim oder Kuchen backen oder Enkelkinder betreuen. Also die alten Klischees gegenüber Frauen werden da ausgebreitet. Aber das mache ich ja sowieso: Enkelkinder betreuen (lacht).

Es zeigt aber auch, dass wir für gewisse Leute eine Bedrohung darstellen – dies ist ein gutes Zeichen, dass wir gehört werden – nur dann ändert sich etwas.

Frau Wydler-Wälti, herzlichen Dank für das Gespräch.

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