Das Mädchen, das den Steinadler knuddelt
Der Film „The Eagle Huntress“ über eine junge Nomadin ist sehenswert – trotz gravierenden Fehlern.
![ein Mann, der einen Vogel hält, mit einem schneebedeckten Berg im Hintergrund [AI]](https://riff.media/images/v1-bjsxMTczNTk0O2o7MTc0Mjg7MTIwMDs3MTA7NDgw.jpg?w=710&h=399&fit=crop-43-50&s=e6414cb83566d047f5be4c8ef8daccd8&n_w=3840&n_q=75)
Die Geschichte des preisgekrönten Dokumentarfilms „The Eagle Huntress“ (2016) ist einfach und daher rasch erzählt. Aisholpan, ein 13-jähriges Mädchen aus der Mongolei, möchte dem Weg ihrer männlichen Vorfahren folgen und Adlerjäger werden. Eines Tages reitet sie deshalb mit ihrem Vater ins Altai-Gebirge, um nach einer gefährlichen Kletterpartie ein junges, noch nicht flugfähiges Steinadler-Weibchen aus einem Nest zu holen. Die kasachischen Nomaden richten die Steinadler vor allem für die Jagd auf Füchse und Hasen ab.
Aisholpan zeigt nicht nur keinerlei Furcht vor dem mit Klauen und Schnabel bewehrten Greifvogel, sie verfügt auch über grosses Talent im Umgang mit dem wilden Tier. Bald beherrscht sie die Techniken der Beizjagd so gut, dass sie an einem Wettkampf teilnehmen kann und dort gegen erfahrene männliche Adlerjäger gewinnt. In einer Disziplin stellt sie gar einen neuen Rekord auf. Trotz abschätziger Bemerkungen einiger Adlerjäger wagt sie es, im strengen Winter auf die Jagd zu gehen. Nach einigen missglückten Versuchen gelingt es ihr, mithilfe ihres Steinadlers einen Fuchs zu erlegen. Nun ist Aisholpan eine richtige Adlerjägerin geworden.
Der Regisseur Otto Bell preist den knapp 90-minütigen Dokumentarfilm als eine Geschichte der Emanzipation an: Ein Mädchen setzt sich in einer nomadischen Tradition gegen eine männliche Übermacht durch. Das tönt zwar gut, stimmt aber nicht.
Aisholpan ist beileibe nicht die erste Adlerjägerin. Zwar sind die meisten Adlerjäger Männer, doch bei den Nomaden war den Frauen die Beizjagd nie verwehrt, wie die Historikerin Adrienne Mayor der Universität Standford in einem Essay schreibt. Archäologische Funde zeigen, dass Frauen bereits vor über 2000 Jahren dieselben Jagdpraktiken betrieben wie die Männer. Das harte nomadische Leben erforderte es, dass sich beide Geschlechter auf der Jagd behaupten konnten. Es gab berühmte Vorgängerinnen von Aisholpan. Zum Beispiel Prinzessin Nirgidma, deren Ruf als stolze Adlerjägerin im vergangenen Jahrhundert bis nach Europa reichte. Die 1983 verstorbene Nomadin sah sich als eine emanzipierte Mongolin. Und erst vor wenigen Jahren gingen Bilder von Makpal Abdrazakova durch die Medien, einer Jägerin, die ebenfalls Wettkämpfe mit ihrem Steinadler in Kasachstan bestritt.
Heute jagen schätzungsweise noch 200 bis 400 Nomaden in der Mongolei, Kasachstan, Kirgistan und der chinesischen Provinz Xinjiang mit dem Steinadler. Mehrheitlich sind es Männer. Lediglich eine Handvoll Frauen geht mit Greifvogel und Pferd auf die Jagd und misst sich in Wettkämpfen. Ein Grund dafür sei, dass die Nomadinnen zu sehr mit ihren Familien und der Pflege der Nutztiere beschäftigt seien, räumen die männlichen Jäger durchaus selbstkritisch ein. Die amerikanische Historikerin Mayor kritisiert den Film daher: Ein Dokumentarfilm müsse „ethnografisch sensibel und faktenbasiert“ sein. Doch „The Eagle Huntress“ vermittle das falsche Bild einer rückständigen und frauenfeindlichen Nomadenkultur.
Nur leicht blutig
Trotz dieser berechtigten Kritik ist „The Eagle Huntress“ sehenswert. Nicht als ein stimmiges Dokument der nomadischen Beizjagd, aber als Geschichte eines Mädchens, das sich mit Unterstützung ihrer Familie einen Wunsch erfüllt und hart dafür trainiert. Die Heldin und ihr Vater bilden ein sehr sympathisches Team. Die Verbindung von Vogel und Mensch ist eng: Der Steinadler lebt zusammen mit der Familie in der Jurte. Doch die Beziehung bleibt befristet. Die nomadische Tradition verlangt es, dass die Beizvögel nach fünf bis sieben Jahren wieder ausgewildert werden. Rührend sind die Szenen, in denen Aisholpan ihren Steinadler auf eine Weise liebkost, wie dies gleichaltrige Jugendliche allenfalls mit einer verschmusten Hauskatze wagen würden.
„The Eagle Huntress“ ist ein Familienfilm. Etwas blutig wird es lediglich am Ende, als der Steinadler einen Fuchs greift. Die Adlerjägerin verfügt über das Potenzial, die Vogelleidenschaft zu wecken: Nicht wenige Kinder haben über die Beschäftigung mit Greifvögeln zur Ornithologie gefunden.
„The Eagle Huntress“ läuft derzeit in Schweizer Kinos. In Deutschland ist der Film auf DVD erhältlich. Geplant ist auch ein Animationsfilm.