Scheitern der Pestizid-Reduktion: Breitere Randstreifen sollten Gewässer gegen Umweltgifte schützen

Die Meinungen gehen auseinander, warum in der EU eine Einigung auf strengere Vorgaben beim Einsatz von Pflanzenschutzmitteln gescheitert ist. Der bessere Schutz von Feuchtgebieten, Fließgewässern und Trinkwasser darf darunter aber nicht leiden. Ein Kommentar

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Özdmir in Anzug am Pult hinter Blumen.

Keine zwei Jahre ist es her, dass die EU-Kommission in Brüssel weitreichende Pläne vorstellte: Der Einsatz von Pestiziden auf den Agrarflächen solle in den kommenden Jahren halbiert werden. Landwirte müssten sich darauf einstellen, deutlich weniger von den chemischen Wirkstoffen ausbringen zu dürfen, die Nutzpflanzen gegen Insekten, Wildkräuter und Pilze verteidigen sollen, und müssten auf manche Mittel ganz verzichten. „Ohne diese Veränderungen riskieren wir den Zusammenbruch von Bestäubung und von Ökosystemen, was sich noch stärker auf die Ernährungssicherheit und die Lebensmittelpreise auswirken wird“, warnte Stella Kyriakides, EU-Kommissarin für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, damals.

Droht in der EU ein Umwelt-Backlash?

Doch nun hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen die „Richtlinie zum nachhaltigen Gebrauch von Pestiziden“ für tot erklärt, nachdem sie im November bereits im Europaparlament durchgefallen war. Über die Todesursachen wird kontrovers diskutiert: Umweltschützer malen einen ökologischen Backlash in der EU an die Wand. Im Bundeslandwirtschaftsministerium heißt es dagegen, das Vorhaben sei handwerklich schlecht gemacht und überambitioniert gewesen. So habe die Kommission unnötig den Zorn der Bauern geweckt, weil sie den Obst- und Weinbau existentiell gefährdet habe.

Es geht aber auch um politisches Kalkül: Von der Leyen wollte den protestierenden Landwirten entgegenkommen und sich in den eigenen, rechtskonservativen Reihen damit Unterstützung für eine zweite Amtszeit nach der EU-Wahl im Juni sichern, heißt es. Von Italien bis Finnland gibt es nämlich einen deutlichen Rechtsruck, der mit Forderungen einhergeht, Klima- und Naturschutz zurückzufahren.

Kürzungen beim Meeresschutz, um Agrardiesel zu subventionieren

Im Ergebnis bleibt jetzt beim Einsatz von Pestiziden alles beim Alten, nachdem zuvor bereits die Zulassung für das aggressive Herbizid Glyphosat verlängert worden war. Und nicht nur das: Bei der Verordnung zur Wiederherstellung der Natur gab es auf Druck der Agrarlobby ebenso harte Abstriche wie bei Auflagen, jährlich einen kleinen Teil der Nutzflächen brach liegen zu lassen, damit sie sich ökologisch erholen können. Rückschritte sind auch in Mitgliedsländern zu verzeichnen: So finanziert die Bundesregierung die fortgesetzte Zahlung von Agrardieselsubventionen nun damit, Hunderte Millionen Euro beim Meeresschutz zu sparen.

Die Lobby, die auf ein Weiter-so im Umgang mit der Natur setzt, ist deutlich erfolgreicher, als es den Anschein macht. Das ist ein schlechtes Signal für Bemühungen, den Niedergang der Artenvielfalt aufzuhalten, zu dem sich alle 27 EU-Länder beim UN-Naturschutzgipfel in Montreal verpflichtet haben. Ein ähnlich schludriger Umgang mit dem Klimavertrag von Paris würde zu einem riesigen Aufschrei führen. Aber die zweite große Umweltkrise wird politisch noch immer deutlich tiefer gehängt als das Klima, obwohl Wissenschaftsakademien einschneidende Gegenmaßnahmen fordern und eine Wissenschaftlerin wie Katrin Böhning-Gaese, Direktorin des Senckenberg-Forschungszentrums für Biodiversität und Klima, sagt: „Der Klimawandel entscheidet darüber, wie wir leben, der Artenschwund entscheidet darüber, ob wir leben.“ Der Leitspruch „follow the science“ wird beim Schutz der Natur fahrlässig ignoriert.

Ein schnurgerader Entwässerungsgraben, den von einem Feld nur wenige Meter ohne Vegetation trennen.
Für Entwässerungsgräben – wie hier im Landkreis Neumarkt in Bayern – gibt es bei staatlichen Vorgaben Ausnahmen.

Oder doch nicht? Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) hat die Chance, das Scheitern der Pestizidrichtlinie aus eigenen Kräften zu kompensieren. Wenn in der EU kein Konsens darüber möglich ist, die Menge der ausgebrachten Pestizide auf das absolut nötige Maß zu limitieren, dann braucht es eben einen anderen Ansatz. Denn nicht nur die Menge der Pestizide ist ein großes Problem, sondern auch, dass Äcker vielerorts bis unmittelbar an Gewässer heranreichen. Das bedeutet, dass Pestizide mit dem Wind ins Wasser verweht werden oder mit dem Regen direkt in Gewässer abfließen. Dem sollen eigentlich sogenannte Gewässerrandstreifen entgegenwirken. Gesetzlich ist seit 2021 vorgeschrieben, dass beim Ausbringen von Pestiziden beiderseits ein Abstand von zehn Metern eingehalten werden muss, beziehungsweise je fünf Metern, sofern der Gewässerrand bepflanzt ist. Diese Vorgabe gilt aber nicht für sogenannte „kleine Gewässer von untergeordneter Bedeutung“, zu denen zum Beispiel Entwässerungsgräben gehören, was Experten zufolge den Gewässerschutz massiv schwächt. Die Überwachung, dass die vorgeschriebenen Abstände auch eingehalten werden, ist notorisch schlecht.

Wissenschaftler des Helmholtz-Umweltforschungszentrums Leipzig haben für Özdemirs Ministerium ermittelt, wie breit Gewässerrandstreifen sein müssten, um Fließgewässer und ihre Bewohner effektiv vor Pestiziden zu schützen: Beidseits mindestens 18 Meter, lautet das Ergebnis, 32 Meter sehen Experten als ökologisch erstrebenswert an. Gängig ist an vielen Entwässerungsgräben ein Meter, und an vielen Abschnitten größerer Gewässern höchstens fünf Meter. Da der Schutz von Trinkwasser, Fließgewässern und Feuchtgebieten ein hohes Gut ist, hätte der Minister allen Grund zum Handeln – falls der Bundesregierung etwas am Schutz der Biodiversität gelegen ist.

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