Staats- und Regierungschefs sollen Naturabkommen zum Durchbruch verhelfen

Ein Sondertreffen von Staats- und Regierungschefs zahlreicher Länder soll den stockenden Verhandlungen über ein Weltnaturabkommen in letzter Minute Schub verleihen. Der „Leader's Day“ soll am 6. Dezember stattfinden.

vom Recherche-Kollektiv Countdown Natur:
4 Minuten
Ein Plakat mit der Aufschrift Natur ist die Antwort lehnt an einer Treppe.

Im Dezember soll bei der Vertragsstaatenkonferenz der UN-Biodiversitätskonvention (CBD) ein neues Weltnaturschutzabkommen verabschiedet werden.

Der Vertrag soll die Wende in der größten ökologischen Krise seit Bestehen der Menschheit einläuten. Aber die Verhandlungen über Kernpunkte des Abkommens stecken trotz zahlreicher Gesprächsrunden fest. Nach Informationen von RiffReporter soll ein Sondertreffen zahlreicher Staats- und Regierungschefs die Blockade in allerletzter Minute lösen und den Weg für mehr Naturschutz in den kommenden Jahrzehnten ebnen.

Den Informationen aus mit den Verhandlungen vertrauten Kreisen zufolge soll der sogenannte „Leader’s Day“ am 6. Dezember in Montreal stattfinden – einen Tag vor Beginn der eigentlichen Vertragsstaatenkonferenz (CBD-COP15) am selben Ort. Dort soll ein Abkommen bis zum 19. Dezember schlussverhandelt und verabschiedet werden.

Auch G7 Staaten signalisieren Interesse an einem „Leader’s-Gipfel“ zum Naturschutz

Auch Regierungen aus dem Kreis der sieben führenden Industriestaaten (G7) haben den Angaben zufolge bereits die Bereitschaft zur Teilnahme bekundet. Ob aber auch alle G7-Staatschefs – darunter US-Präsident Joe Biden – nach Montreal reisen, ist noch offen.

Angesichts des drohenden Scheiterns des Weltnaturabkommens hatte das CBD-Sekretariat nach Informationen von RiffReporter vor wenigen Tagen die Bitte an die Regierungen Kanadas und Chinas übermittelt, möglichst viele Staats- und Regierungschefs für ein Treffen unmittelbar vor Beginn der COP15 nach Montreal zu bringen. Kanada und China sind die gemeinsamen Gastgeber und müssten zu dem Treffen der Regierungschefs einladen.

Beim Klimagipfel drängeln sich 100 Staats- und Regierungschefs – zum Naturgipfel ist kein einziger eingeladen

Der „Leader’s Day“ könnte eine der bislang höchstrangigen Veranstaltungen werden, bei der es ausschließlich um das Thema Naturschutz geht. Bisher hatte das CBD-Sekretariat lediglich die Umweltminister und -ministerinnen der mehr als 190 Mitgliedstaaten zu der Konferenz nach Montreal eingeladen. Rund 50 Minister haben nach Informationen aus Kreisen des Sekretariats bereits zugesagt.

Für den kurz zuvor in Ägypten stattfindenden Weltklimagipfel (COP27) haben dagegen nach Angaben der ägyptischen Gastgeber bereits mehr als 90 Staats- und Regierungschefs ihr Kommen zugesagt. „Es kommen immer mehr hinzu", zitierte Reuters den Sonderbeauftragten für die COP27-Präsidentschaft, Wael Aboulmagd.

Eine Anfrage von RiffReporter, warum für den Biodiversitätsgipfel keine Staats- und Regierungschefs eingeladen wurden, ließ das CBD-Sekretariat unbeantwortet. Spekuliert wird darüber, dass der chinesische Präsident Xi Jinping als Ko-Gastgeber der Konferenz nicht das höchste politische Profil einräumen will, nachdem sie vom ursprünglich geplanten Austragungsort Kunming in China nach langem Hin und Her nach Kanada verlegt wurde.

Diese Entscheidung war nötig geworden, weil eine Austragung des Gipfels unter den rigiden Bedingungen der chinesischen No-Covid-Strategie nicht realistisch erschien.

Die Verhandlungsführer Francis Ogwal und  Basil van Havre sowie CBD-Chefin Elizabeth Mrema während der Verhandlungen.
Die Verhandlungsführer Francis Ogwal und Basil van Havre sowie CBD-Chefin Elizabeth Mrema während einer der zahlreichen Verhandlungsrunden im Vorfeld des CBD-Gipfels.

Naturschutz auf Augenhöhe mit Klimaschutz

Der „Leader’s Day“ ist auch der Versuch, die Weltnaturkonferenz in letzter Minute wenigstens formell doch noch auf Augenhöhe mit dem Klimagipfel zu heben.

Denn Klima- und Biodiversitätskonferenzen sind so etwas wie Zwillinge. Die ihnen zugrundeliegenden zwischenstaatlichen Konventionen wurden auf dem„Erdgipfel“ 1992 in Rio de Janeiro auf den Weg gebracht. Sie sollen den Kampf gegen existenzielle Bedrohungen für die Menschheit durch Umweltveränderungen voranbringen, die durch menschlichen Einfluss ausgelöst wurden. Dem für Montreal angestrebten neuen Weltnaturabkommen wird im Kampf gegen das Artensterben und die Vernichtung der Ökosysteme auf der Erde eine ähnliche Bedeutung zugemessen wie dem Pariser Klimaabkommen für den Kampf gegen die Erderwärmung.

Scholz könnte bei China-Reise Abkommen voranbringen

Welche Staats- und Regierungschefs nach Kanada reisen, ist bislang nicht bekannt. Bundeskanzler Olaf Scholz hinterließ nach Informationen von RiffReporter bei einem Treffen mit führenden Vertretern von Umweltverbänden in der vergangenen Woche nicht den Eindruck, als wolle er an der Vertragsstaatenkonferenz teilnehmen. Allerdings hat der Kanzler mit seiner Zusage, den deutschen Beitrag zur internationalen Biodiversitätsfinanzierung zu verdoppeln, zuletzt in einem der größten Streitpunkte ein wichtiges internationales Signal gesetzt.

Am Rande der UN-Generalversammlung hatte Scholz dabei vor kurzem auch für ein ambitioniertes Montreal-Abkommen geworben. „Der Weltnaturgipfel im Dezember muss ein Wendepunkt für unsere Naturschutzbemühungen sein“, sagte der SPD-Politiker. Seine bevorstehende China-Reise könnte dem Kanzler Gelegenheit geben, das Thema in Gesprächen mit der Führung in Peking voranzubringen.

Das CBD-Sekretariat, einige Regierungen und Naturschutzverbände sehen ein größeres Engagement der Staats- und Regierungschefs als dringend nötig an, um noch ein ambitioniertes Naturabkommen auf den Weg zu bringen. "Ohne die Anwesenheit von Staats- und Regierungschefs hätten wir das Pariser Klimaabkommen nie zustande gebracht“, argumentiert beispielsweise Enric Sala von der National Geographic Society. Montreal sei die natürliche Entsprechung des Pariser Abkommens. „Wir brauchen sie dort, um das Abkommen zu zu erreichen.“

Verhandlungen bisher ohne Durchbruch

Zuletzt hatten vor wenigen Wochen Regierungsvertreter aus 25 Staaten aller Erdteile über mehrere Tage hinweg versucht, den vorliegenden Vertragsentwurf um strittige Punkte zu bereinigen. Dabei gab es nach Angaben aus den Delegationen zwar Fortschritte, aber keine Einigung bei den wichtigsten Streitfragen. Besonders heftig umstritten ist unter anderem die Frage nach der Finanzierung der Umsetzung eines Abkommens.

Der Gipfel soll ein global verbindliches Rahmenabkommen zum Schutz der Ökosysteme und zur nachhaltigen Nutzung der Natur auf dem Planeten verabschieden. Ein Entwurf sieht unter anderem vor, dass die Verwendung von Pestiziden bis 2030 weltweit um zwei Drittel verringert und die weitere Belastung der Umwelt mit Plastikmüll ganz gestoppt werden soll. Als Schlüsselziel gilt das Vorhaben, jeweils 30 Prozent der Land- und der Meeresfläche des Planeten unter Schutz zu stellen. Zudem sollen die noch bestehenden intakten Ökosysteme und Wildnisgebiete erhalten und gestörte Ökosysteme renaturiert werden. Fischfang, Jagd, Landwirtschaft und Waldnutzung sollen nachhaltig umgestaltet und die Umweltverschmutzung durch Schadstoffe massiv verringert werden.

Im Projekt „Countdown Natur“ berichten wir mit Blick auf den UN-Naturschutzgipfel über die Gefahren für die biologische Vielfalt und Lösungen zu ihrem Schutz. Die Recherchen zu diesem Beitrag wurden von der Hering Stiftung Natur und Mensch gefördert. Sie können weitere Recherchen mit einem Abonnement unterstützen.

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