1 Jahr GroKo – 5 Fragen an die Umweltpolitiker

Artenvielfalt, Insektenschwund, Umweltschutz – wie beurteilen die Fachleute im Parlament die Arbeit der Koalition?

vom Recherche-Kollektiv Flugbegleiter:
19 Minuten
Blick in den Plenarsaal im Reichstagsgebäude.

Ein Jahr regiert die Große Koalition das Land. Was denken die Bundestagsabgeordneten, die in den Regierungs- und Oppositionsfraktionen als „Fachpolitiker“ für Umwelt- und Naturschutz zuständig sind, über Erreichtes und Versäumnisse? Was sind die wichtigsten Probleme? Dazu haben wir eine Umfrage bei den Abgeordneten gemacht. Wir Flugbegleiter fragten außerdem, welche Konsequenzen das in Bayern erfolgreiche „Volksbegehren Artenvielfalt“ für die Bundesebene haben wird, was gegen das Insektensterben zu tun ist, wie bedrohlich der Klimawandel ist und und wie die Politiker zum Tempolimit stehen.

Marie-Luise Dött steht am Rednerpult im Bundestag.
Marie-Luise Dött, umweltpolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion bei ihrer Rede zum Umweltetat am Rednerpult des Bundestags.

Marie-Luise Dött

ist Oberhausener Bundestagsabgeordnete und umweltpolitische Sprecherin der CDU-Fraktion.

1.) Was ist Ihrer Meinung nach derzeit das wichtigste Thema im Umwelt- und Naturschutz – und was hat die Bundesregierung hier in ihrem ersten Jahr erreicht (oder verpasst)?

Die Union setzt in dieser Legislaturperiode auf die Schwerpunkte Klima, Biodiversität und Kreislaufwirtschaft. Im Einzelnen: Das nationale Klimaziel für 2020 wollen wir so schnell wie möglich erreichen und für die sichere Erreichung der Klimaziele 2030 wird die Bundesregierung eine gesetzliche Regelung sowie Maßnahmen vorlegen. Das geschieht bereits.

Im Bereich der Biodiversität haben wir uns im Koalitionsvertrag unter anderem auf ein „Aktionsprogramm Insektenschutz“ geeinigt, um die Lebensräume für Insekten zu verbessern und gleichzeitig noch mehr über die genauen Ursachen des Populationsrückgangs zu erfahren. Auch hier ist die Abstimmung zwischen den Bundesministerien bereits eingeleitet worden.

Die Weiterentwicklung der Kreislaufwirtschaft ist ein weiterer Schwerpunkt der umweltpolitischen Agenda der Union. Deutschland hat eine hervorragende Ausgangsposition, die Herausforderungen einer künftigen Kreislaufwirtschaft zu bewältigen. Die weitere Reduzierung von Verpackungen und die Verbesserung der Recyclingfähigkeit von Verpackungen sind wichtige Ansätze, die unter anderem durch das zum 1. Januar 2019 in Kraft getretene Verpackungsgesetz umgesetzt werden. Den von der Bundesregierung begonnen Dialog mit dem Handel für eine Selbstverpflichtung zur Reduzierung von Verpackungen unterstützen wir nachdrücklich. Zudem haben wir dafür gesorgt, dass die Bundesregierung bis zum Jahr 2023 insgesamt 50 Millionen Euro für den Export von Technologien gegen die Vermüllung der Meere bereitstellt.

2.) Wie besorgniserregend ist aus Ihrer Sicht das Insektensterben – und welche Maßnahmen würden sie ergreifen, wenn Sie Umweltministerin wären?

Betrachtet man die Ergebnisse des Entomologischen Vereins Krefeld, dann ist der Rückgang der Insektenbiomasse in der Tat besorgniserregend. Wichtig ist aber, dass die Autoren der Untersuchung selbst sagen, dass die Ergebnisse für ganz Deutschland nicht repräsentativ sind. Wir müssen also über das tatsächliche Ausmaß und die genauen Ursachen mehr wissen, um punktgenau handeln zu können. Daher würde ich mich als Bundesumweltministerin genau an den Koalitionsvertrag halten und ein bundesweites Monitoringzentrum aufbauen und ein „Aktionsprogramm Insektenschutz“ vorlegen, das integrierend wirkt und alle betroffenen Akteure mitnimmt.

3.) 1,8 Millionen Menschen haben das „Volksbegehren Artenvielfalt“ unterzeichnet – was bedeutet der Erfolg dieser Initiative Ihrer Ansicht nach für die Politik auf Bundesebene?

Die große Resonanz des Volksbegehrens in Bayern zeigt, dass die Bürger nicht nur hoch sensibilisiert für dieses Thema sind, sondern jetzt auch konkrete Maßnahmen erwarten. Das gibt natürlich auch Rückenwind für uns Umweltpolitiker. Mit dem „Aktionsprogramm Insektenschutz“ wird der Bund seinen Teil der Verantwortung wahrnehmen.

4.) Wie bedrohlich ist der Klimawandel – und was sollte die Bundesregierung tun, um hier einen Beitrag zu leisten?

Die Bekämpfung des Klimawandels ist eine globale Herausforderung und kann nur gemeinsam gelingen. Daher sind die Verhandlungen der UN-Klimarahmenkonvention so wichtig. Die Ergebnisse der letzten Klimakonferenz in Kattowitz können sich sehen lassen. Erstmals haben wir ein internationales Regelwerk, um die Zusagen aus dem Übereinkommen von Paris umzusetzen und auch zu kontrollieren. Schade ist, dass es zur Anrechenbarkeit von CO2-Einsparungen in anderen Ländern auf die eigene nationale Klimabilanz noch zu keiner Einigung gekommen ist.

Die Bundesregierung leistet durch die Internationale und die Nationale Klimaschutzinitiative, durch zahlreiche Projektförderungen in Schwellen- und Entwicklungsländern sowie durch finanzielle Unterstützung des Green Climate Funds einen wichtigen Beitrag, um die Steigerung der globalen jährlichen Durchschnittstemperatur zu minimieren. Darin wird sie die Union auch weiterhin unterstützen.

Wichtig ist es, dass wir vor allem unsere nationalen Klimaziele erfüllen. Das heißt, wir müssen jetzt zusätzliche Maßnahmen ergreifen, um unser Klimaziel 2020 so schnell wie möglich zu erfüllen. Daneben werden wir noch in diesem Jahr gesetzliche Reglungen schaffen, die das Erreichen der Klimaschutzziels 2030 sicherstellen. Dazu werden derzeit innerhalb der Bundesregierung Maßnahmenkataloge erarbeitet. Das Bundeslandwirtschaftsministerium hat beispielsweise schon Vorschläge an das Bundesumweltministerium übermittelt.

5.) Tempolimit – ja oder nein?

Ganz klar nein, da die möglichen Treibhausgaseinsparungen nur sehr gering sind.

Carsten Träger steht am Rednerpult im Bundestag.
Carsten Träger, umweltpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, bei seiner Reder über die Wolfspopulation in Deutschland.

Carsten Träger

ist Bundestagsabgeordneter aus Fürth und umweltpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion.

1.) Was ist Ihrer Meinung nach derzeit das wichtigste Thema im Umwelt- und Naturschutz – und was hat die Bundesregierung hier in ihrem ersten Jahr erreicht (oder verpasst)?

Im Umweltschutz: Die Bekämpfung des Klimawandels (siehe Frage 4): Im Naturschutz: Der Wolf.

Leider hat sich die Union vom Konsens des Koalitionsantrages verabschiedet, der auf Herdenschutzmaßnahmen und auf Unterstützung der Schäfer setzt, die wertvolle Arbeit bei der Landschaftspflege und beim Erhalt von seltenen Biotopen leisten. Die Jagd auf den Wolf ist keine Lösung zur Abwehr von Rissen, denn solange die Nutztiere ungeschützt sind, wird es immer wieder Risse geben. Mittlerweile werden die Kosten für Schutzmaßnahmen (wolfssichere Zäune und Herdenschutzhunde) von der öffentlichen Hand zu 100 Prozent übernommen. Wenn viele Landwirte und Schäfer diese Mittel nutzen, können Wolf und Nutztiere nebeneinander existieren. Leider kümmert sich Bundeslandwirtschaftsministerin Klöckner nicht um Hilfen für die Nutztierhalter, sondern fordert populistisch den Abschuss der Wölfe im großen Stil.

2.) Wie besorgniserregend ist aus Ihrer Sicht das Insektensterben – und welche Maßnahmen würden sie ergreifen, wenn Sie Umweltminister wären?

Das Insektensterben ist vor allem deshalb besorgniserregend, weil es auch in Schutzgebieten nachgewiesen werden kann und schwerwiegende Folgen für insektenfressende Vögel – und damit die gesamte Nahrungskette – hat. Ich würde den Pestizideinsatz in Schutzgebieten verbieten und Blühstreifen an den Äckern und artenreiche, bunte Wiesen in den Städten fördern. Auch die ans Wasser gebundenen Insekten dürfen bei der Diskussion nicht vergessen werden. Glyphosat und Neonicotinoide sollten so schnell wie möglich verboten und durch weniger schädliche Mittel ersetzt werden. Natürlich unterstütze ich das Aktionsprogramm Insektenschutz der Bundesumweltministerin. Insgesamt brauchen wir eine andere europäische Agrarpolitik, bei der die Subventionen nicht nach Hektar, sondern nach dem Grundsatz: „öffentliches Geld für öffentliche Leistung“ vergeben werden. Leider beharrt Bundeslandwirtschaftsministerin Klöckner immer noch auf der alten Agrarpolitik, die zu einer Verschlechterung der Gewässer- und Bodenqualität, zur Abnahme der Biodiversität und zu zunehmenden Betriebsaufgaben der (kleinen) Landwirte geführt hat.

3.) 1,8 Millionen Menschen haben das „Volksbegehren Artenvielfalt“ unterzeichnet – was bedeutet der Erfolg dieser Initiative Ihrer Ansicht nach für die Politik auf Bundesebene?

Der Erfolg des „Volksbegehrens Artenvielfalt“ rückt das Thema Biodiversität stärker ins öffentliche Bewusstsein. Die Tatsache, dass in einem immer noch agrarisch geprägten und strukturell konservativen Bundesland sich fast 20 Prozent der Wahlberechtigten trotz massivem Widerstand des Bauernverbandes sich für das Volksbegehren aussprachen, hat auch bundesweite Signalwirkung. Es löst hoffentlich auch im Landwirtschaftsministerium Handlungsbereitschaft für eine neue Agrarpolitik aus, bei der bunte, struktur- und artenreiche Landschaften im Mittelpunkt stehen, die auch attraktiv für die Menschen sind.

4.) Wie bedrohlich ist der Klimawandel – und was sollte die Bundesregierung tun, um hier einen Beitrag zu leisten?

Das Klima ändert sich weltweit – und viel schneller als jemals zuvor. Experten rechnen mit weit reichenden Folgen für Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft, wenn es nicht gelingt, die globale Klimaänderung zumindest in Schranken zu halten. Klimaänderungen beeinträchtigen die natürliche und menschliche Lebenswelt ganz erheblich. Ohne geeignete Gegenmaßnahmen ist damit zu rechnen, dass der Meeresspiegel bis 2100 um etwa einen Meter oder mehr ansteigt. Dies würde die Überflutung ganzer Inselstaaten und tief gelegener Küstenregionen zur Folge haben. In warmen äquatorialen Klimazonen wird es durch Veränderung der Niederschlags- und Verdunstungsverhältnisse zu einer zunehmenden Austrocknung und Degradation der Böden sowie zu einem spürbaren Rückgang der Nahrungsmittelproduktion und Artenvielfalt kommen. Klimaexperten rechnen mit einer Häufung extremer Wetterereignisse wie Hitzewellen, Starkniederschläge und Dürreperioden.

Den vom Menschen verursachten Klimawandel einzugrenzen, ist für uns eine der zentralen Aufgaben. Und Deutschland ist Teil des Problems und hat seine Hausaufgaben längst nicht gemacht. Wir haben uns mit der Unterschrift unter das Pariser Klimaabkommen verpflichtet, unsere Anstrengungen erheblich zu verstärken.

Die SPD fordert schon seit längerer Zeit ein Klimaschutzgesetz. Auf Druck der SPD ist es in den Koalitionsvertrag aufgenommen worden. Nun hat das Bundesumweltministerium den Entwurf für ein Klimaschutzgesetz in die Ressortabstimmung gegeben. Mit diesem soll die nationale Klimaschutzpolitik verbindlich und verlässlich geregelt werden. Das Gesetz sieht Sektorziele für das Jahr 2030 vor und weist ihnen jährliche Emissionsminderungen zu. Nun liegt es an den einzelnen Ministerien, dafür Sorge zu tragen, entsprechende Einzelpläne vorzulegen.

Ergänzend zum Klimaschutzgesetz muss die Bundesregierung ein Maßnahmenprogramm auf den Weg bringen. Dazu ist vereinbart, dass die Fachressorts konkrete Vorschläge für ihre Zuständigkeiten vorlegen.

5.) Tempolimit – ja oder nein?

Ja. Aus Gründen der Verkehrssicherheit, des Fahrkomforts und der Schadstoffreduzierung.

Karsten Hilse steht am Rednerpult im Bundestag.
Karsten Hilse, umweltpolitischer Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion, sprach ebenfalls zum Thema Wolfspopulation im Bundestag.

Trotz mehrfacher Nachfrage per Mail und Telefon haben wir von Karsten Hilse, über die sächsische Landesliste der „Alternative für Deutschland“ in den Bundestag gewählt und umweltpolitischer Sprecher seiner Fraktion, keine Rückmeldung erhalten. Sollte sich das noch ändern, tragen wir seine Antworten selbstverständlich nach.

Judith Skudelny steht am Rednerpult im Bundestag.
Judith Skudelny, umweltpolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, hier beim einer Rede während der Aktuelle Stunde zu Abgasversuchen an Menschen und Affen im Bundestag.

Judith Skudelny

sitzt für den Wahlkreis Stuttgart I im Deutschen Bundestag und ist umweltpolitische Sprecherin der FDP-Fraktion.

1.) Was ist Ihrer Meinung nach derzeit das wichtigste Thema im Umwelt- und Naturschutz – und was hat die Bundesregierung hier in ihrem ersten Jahr erreicht (oder verpasst)?

Es gibt aktuell nicht nur ein brennendes Thema in der Umweltpolitik. Ich würde zwischen Klimaschutz, Artensterben und dem Plastikmüll in den Weltmeeren keine Gewichtung vornehmen wollen. Leider hat die Bundesregierung in allen drei Bereichen noch nichts erreicht. Mir würde spontan kein einziges Vorhaben einfallen, welches mehr gebracht hat, als Streit innerhalb der Bundesregierung zu verursachen. Im Klimaschutz hat sich die Bundesumweltministerin dadurch profiliert, dass sie auf europäischer Ebene die deutsche Haltung zu den CO2-Flottengrenzwerten nicht durchsetzen konnte – sich dafür aber in ihrer Partei feiern ließ. Das hat natürlich Auswirkungen auf ihre weiteren Vorhaben gehabt: Insektenschutz, das Klimaschutzgesetz und zuletzt der Plastikgipfel mit der Industrie – strittig gestellt, keine Ergebnisse und öffentliche Schlammschlachten. Dabei wäre der Wechsel im Ministerium eine Chance gewesen, Umweltschutz neu zu denken und neue Ansätze zu etablieren: Beispielsweise durch die Aufnahme des Verkehrssektors in den Zertifikatehandel.

2.) Wie besorgniserregend ist aus Ihrer Sicht das Insektensterben – und welche Maßnahmen würden sie ergreifen, wenn Sie Umweltministerin wären?

Das Insektensterben ist aus meiner Sicht nur ein weiteres Anzeichen für einen fortschreitenden Artenschwund in Deutschland. Wir sollten daher das Insektensterben nicht als Einzelproblem qualifizieren. Insekten sind die Nahrungsgrundlage für viele Vögel und kleinere Tiere. Wildbienen sind spezialisierte Bestäuber bestimmter Pflanzenarten. Wir müssen uns um den Erhalt der Ökosysteme kümmern, was einen ganzheitlicheren Ansatz als die reine Fokussierung auf das Insektensterben bedeutet. Und auch hier müssen wir neue Wege gehen: Wir sehen, dass selbst in Naturschutzgebieten das Artensterben nur verlangsamt wird.

Als Umweltministerin würde ich mir zunächst einmal erfolgreiche Projekte genauer anschauen. Beispielsweise die Sielmann-Stiftung am Bodensee: die Schaffung eines Biotopverbunds unter Einbeziehung ganz unterschiedlicher Akteure ist ein Ansatz, den ich fantastisch finde und gerne deutschlandweit ausbauen würde. Wir dürfen auch nicht immer den Landwirt zum Buhmann machen. Ohne die Landwirte mit ins Boot zu holen, wird weder Arten- noch Insektenschutz erfolgreich sein. Aus diesem Grund wird auch das Insektenschutzpapier der Umweltministerin ein Rohrkrepierer. Ein Runder Tisch von Umwelt- und Landwirtschaftsexperten wäre hier der richtige Weg. Und last, not least: Wir unterschätzen die Potenziale, die Städte als Naturraum bieten. Hier wird viel zu wenig getan – von den Verwaltungen, aber auch von den Bürgern. Von der richtigen Bepflanzung über abwechslungsreiche Lebensräume für Insekten bis hin zu Lichtkonzepten ist hier noch viel Potenzial zu heben, um allen Lebewesen in Deutschland einen besseren Lebensraum zu bieten.

3.) 1,8 Millionen Menschen haben das „Volksbegehren Artenvielfalt“ unterzeichnet – was bedeutet der Erfolg dieser Initiative Ihrer Ansicht nach für die Politik auf Bundesebene?

Der Erfolg dieser Initiative zeigt, dass den Menschen Umweltschutz immer wichtiger wird. Schaut man sich die einzelnen in Bayern geforderten Maßnahmen an, sieht man jedoch, dass viele davon in anderen Bundesländern – wie beispielsweise Baden-Württemberg – längst umgesetzt sind. Aber genau das ist ein Problem des Umweltschutzes in Deutschland – ähnlich wie in der Bildungspolitik: Umweltpolitik muss länderübergreifend gedacht und umgesetzt werden. In den Niederlanden, in denen solche Hemmnisse nicht bestehen, entwickeln Landwirte Biotopverbünde. Einfach weil es sich für sie lohnt und sie es können! In Deutschland wird auch der intelligenteste Umweltschutz noch durch Bürokratiehemmnisse behindert.

4.) Wie bedrohlich ist der Klimawandel – und was sollte die Bundesregierung tun, um hier einen Beitrag zu leisten?

Ich glaube nicht, dass irgendein Politiker oder Wissenschaftler genau sagen kann, was die Auswirkungen des Klimawandels sein werden. Zu unterschiedlich sind die Szenarien. Allerdings sind sich (fast) alle Parteien einig, dass wir gar nicht erst herausfinden wollen, was passiert, sondern bereits vorher reagieren müssen. Manche Szenarien mag ich mir gar nicht ausmalen. Daher ist es vornehmste Aufgabe der Bundesregierung, die Klimapolitik rational und auf das eigentliche Ziel fokussiert zu gestalten: die CO2-Emissionen zu senken. Leider wird dieses wichtige Thema politisch immer wieder missbraucht – aktuell von der SPD, die versucht, sich gegen die Union zu profilieren. Aber auch ganz generell, wenn unter dem Deckmantel des Klimaschutzes die Umgestaltung von Wirtschaft und Gesellschaft vorangetrieben wird. Der Versuch, den Klimawandel durch De-Industrialisierung und Verzicht auf Wohlstand und Wachstum aufzuhalten, ist von vornherein zum Scheitern verurteilt. Denn selbst wenn die Menschen bei uns in Deutschland dazu bereit wären, ihr Leben radikal einzuschränken, würde uns der Rest der Welt auf diesem Weg ganz sicher nicht folgen. Deshalb müssen wir zeigen, wie Klimaschutz ökonomisch sinnvoll möglich ist. Dazu wollen wir den EU-Emissionshandel auf weitere Sektoren ausweiten, was in einem ersten Schritt durchaus schon auf nationaler Ebene möglich ist. Dadurch wird die Gesamtmenge der CO2-Emissionen begrenzt. Und die Treibhausgase werden dort reduziert, wo es am kostengünstigsten möglich ist. Die aktuelle Trennung nach Sektoren hingegen macht Klimaschutz unnötig teuer. Im Kern geht es dabei wohl vor allem darum, dass Politiker hier einen Hebel sehen, um Unternehmen Vorschriften zu machen und möglichst viele Details zu steuern. Der Emissionshandel hingegen gibt das Ziel vor, ohne die Wege dahin zu bestimmen. Und durch die jährlich sinkende Gesamtmenge, verbunden mit einem einheitlichen CO2-Preis, haben Unternehmen Anreize, neue Technologien für den Klimaschutz zu entwickeln. Diese können dann schließlich in aller Welt eingesetzt werden und einen sehr viel größeren Beitrag zum globalen Klimaschutz leisten, als wenn wir nur unsere eigenen Emissionen in Deutschland radikal und um jeden Preis so schnell wie möglich senken.

5.) Tempolimit – ja oder nein?

Ein generelles Tempolimit auf den Autobahnen lehne ich ab. Ein Tempolimit wäre reine Symbolpolitik. Es führt weder zu besserem Klimaschutz noch zu mehr Verkehrssicherheit.

Mit einem Tempolimit von 120 km/h für PKW auf deutschen Autobahnen könnte nur rund 0,015 Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes reduziert werden. Eine verschwindend geringe Menge. Ein aktiver und wirkungsvoller Beitrag für den Klimaschutz wäre es, den Verkehrssektor in das Europäische Emissionshandelssystem aufzunehmen. Dafür setzt sich die FDP-Fraktion ein. So könnten Emissionen durch Marktanreize an der richtigen Stelle eingespart werden, dort, wo es am effizientesten ist. Denn für den Klimaschutz ist es letztendlich nicht relevant, an welcher Stelle CO2 eingespart wird. Wichtig ist, CO2 nachweislich zu reduzieren – und zwar nicht nur in Deutschland!

Ralph Lenkert steht am Rednerpult im Bundestag.
Ralph Lenkert, umweltpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktino von Die Linke, während einer Rede über die Änderung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes im Bundestag.

Ralph Lenkert

aus dem thüringischen Jena ist umweltpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion von Die Linke.

1.) Was ist Ihrer Meinung nach derzeit das wichtigste Thema im Umwelt- und Naturschutz – und was hat die Bundesregierung hier in ihrem ersten Jahr erreicht (oder verpasst)?

Aus meiner Sicht sind Maßnahmen zur CO2-Minderung zum Schutz des Klimas überlebenswichtig für die Menschheit. Die Bundesregierung verhindert verbindliche CO2-Minderungsvorhaben, verpennt ein Klimaschutzgesetz und macht eine halbherzige Energiewende. Einzig der geplante, wenn auch zu langsame Kohleausstieg (2038) ist ein Trippelschritt in die richtige Richtung. Lebensgrundlagen müssen im Zusammenhang gedacht und der Schutz der biologischen Vielfalt in allen Politikbereichen verankert werden. DIE LINKE fordert CO2-Mindestpreise, konkrete CO2-Reduzierungsvorgaben je Sektor, ein Klimaschutzgesetz, eine zügige Energiewende und den Kohleausstieg bis 2030.

2.) Wie besorgniserregend ist aus Ihrer Sicht das Insektensterben – und welche Maßnahmen würden sie ergreifen, wenn Sie Umweltministerin wären?

Insekten bestäuben, Insekten und ihre Larven sind Nahrungsgrundlage für Fische, Säugetiere, Vögel, Reptilien und Lurche – zum Beispiel ist der Singvogelrückgang auch eine direkte Folge des Insektenmangels.

Als linker Umweltminister würde ich den Einsatz von Pestiziden und Herbiziden deutlich einschränken. Zusammen mit einer linken Landwirtschaftsministerin für insektenfreundlichere Landwirtschaft eintreten, die Lichtverschmutzung bekämpfen (zum Schutz der Nacht), und parallel brauchen wir auch mehr Verständnis für Zusammenhänge der Biosphäre, das heißt zusätzlich 70 Millionen Euro des Bundeshaushalts für ein Forschungsprogramm und zur Einrichtung von gepflegten Insektenreservaten. Auch die Zersiedlung unsere Landschaft muss eingedämmt werden.

Auch wenn viele Detailfragen zum Insektensterben noch offen sind, steht außer Frage, dass wir handeln müssen.

3.) 1,8 Millionen Menschen haben das „Volksbegehren Artenvielfalt“ unterzeichnet – was bedeutet der Erfolg dieser Initiative Ihrer Ansicht nach für die Politik auf Bundesebene?

Der Erfolg des Volksbegehrens Artenvielfalt gibt mir Kraft, weiter für die Umwelt einzustehen, gegen die Wirtschaftslobbys. Er zeugt davon, dass Bürgerinnen und Bürger mehr Verständnis von und für unsere Lebensgrundlage „biologische Vielfalt“ haben als die Bundes- und bajuwarische Regierung. Es beweist außerdem, dass Instrumente der Direkten Demokratie zwingend auch im Bund erforderlich sind. Umweltthemen sind Zukunftsthemen, und wer die vernachlässigt, wird bestraft.

4.) Wie bedrohlich ist der Klimawandel – und was sollte die Bundesregierung tun, um hier einen Beitrag zu leisten?

Der Klimawandel ist für die Menschheit existenzbedrohend. Allein wenn man schaut, wie weltweit Extremwetter-Ereignisse zunehmen. Stürme, Hochwasser, Starkregen, extrem heiße Sommer, Dürre. Den deutschen Bauern wird empfohlen, auf Olivenbäume umzusteigen und Rot- statt Weißwein anzubauen – ein Hohn wenn man auf Meeresanstieg, Extremwetter und insbesondere auf Menschen im globalen Süden sieht. Diese verlieren zunehmend ihre Lebensgrundlage und müssen teilweise aufgrund der Umweltbedingungen, teils wegen Wasser- Nahrungskriegen fliehen.

Die Bundesrepublik stellt 1 Prozent der Weltbevölkerung, aber ist für 2 Prozent des jährlichen Ausstoßes von CO2 verantwortlich.

Die Programme für den internationalen Klimaschutz müssen stärker aufgestockt sowie mehr in Beratung in Entwicklungsländern investiert werden. Ansonsten kann ich die LINKEN-Vorschläge auf Frage 1 wiederholen. Hinzu kommt Ressourceneinsparung über längere Produkthaltbarkeit, eine bessere Recyclingwirtschaft und konsequente Verpackungsvermeidung. Regionale Kreisläufe verringern umweltschädliche Transporte. Vor allem müsste die Bundesregierung auch mehr Personal bei den Behörden einstellen, die die Umweltgesetze und Grenzwerte kontrollieren sowie im Fall eines Verstoßes rigoros sanktionieren.

Nicht zuletzt ist auch Rüstungspolitik relevant für die Umwelt. Kriege zerstören Gebäude und Infrastrukturen, töten Menschen, zerstören auch die Natur. Wer die Umwelt schützen will und das Klima retten möchte, muss den Frieden sichern. Deswegen sind Waffenexporte zu stoppen und stattdessen die Klimaschutzmaßnahmen zu steigern. Auslandseinsätze sind einzustellen und die humanitäre Hilfe zu erweitern.

5.) Tempolimit – ja oder nein?

Ja – ein Tempolimit wäre ein wichtiger Schritt für den Klimaschutz und zusätzlich für die Verkehrssicherheit. Die Koalition soll endlich handeln und ein Tempolimit von 120 km/h auf Autobahnen einführen. Ein Kompromiss mit 130 km/h wäre ein guter erster Schritt.

Steffi Lemke steht am Rednerpult im Bundestag.
Steffi Lemke, naturschutzpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, bei ihrer Rede im Reichstagsgebäude in der Debatte über die Wolfspopulation.

Steffi Lemke,

wohnhaft in Dessau, ist naturschutzpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen.

1.) Was ist Ihrer Meinung nach derzeit das wichtigste Thema im Umwelt- und Naturschutz – und was hat die Bundesregierung hier in ihrem ersten Jahr erreicht (oder verpasst)?

Die größten Probleme sind die Klimakrise, das Artensterben und die Plastikvermüllung. Inzwischen gilt ein Drittel aller Arten weltweit als akut bedroht, und die Klimakrise geht viel schneller vonstatten als wir bisher glaubten. In beiden Bereichen sind die planetaren Grenzen faktisch überschritten. Die Bilanz der Bundesregierung und der seit sechs Jahren regierenden Großen Koalition sind hier gleich Null. Es folgen Ankündigungen auf Ankündigungen und immer wieder neue Eingeständnisse, dass die selbst definierten Ziele leider, leider nicht eingehalten werden, aber eine Trendwende in der Subventionierung der Agroindustrie – dem größten Verursacher des Artensterbens, ist überhaupt nicht in Sicht. Stattdessen verlängert die Bundesregierung die Zulassung von Pestiziden und erweist damit dem Natur- und Artenschutz einen Bärendienst.

2.) Wie besorgniserregend ist aus Ihrer Sicht das Insektensterben – und welche Maßnahmen würden sie ergreifen, wenn Sie Umweltministerin wären?

Das Ganze ist eine Katastrophe. Manchmal frage ich mich, ob die Mitglieder der Bundesregierung den Biologieunterricht komplett geschwänzt haben und wenn ja, was sie in der Zeit gemacht haben. Tempo und Umfang des Insektensterbens gefährden die globale Nahrungsmittelversorgung der Menschheit, Bestäubung und Bodenfruchtbarkeit drohen zusammenzubrechen, wenn der jetzige Zustand beibehalten wird. Wir haben stellenweise über 75 Prozent der Biomasse an Fluginsekten verloren. 39 Wildbienenarten sind inzwischen ausgestorben.

Um die biologische Vielfalt zu schützen, braucht es umfassende Maßnahmen:

  • Eine Agrarwende, die aus den Ackergiften aussteigt, die Übergüllung stoppt und eine vielfältige Landschaft mit Hecken, Feldsäumen und Bäumen wieder herstellt.
  • Dafür ist der größtmögliche Hebel die EU-Subventionen in der Landwirtschaft. Diese dürfen nur noch orientiert an den erbrachten Leistungen im Klima-, Umwelt-, Natur- und Tierschutz vergeben werden.
  • Wir brauchen die finanzielle Unterstützung von bienen- und vogelfreundlichen Landschaften, mit Blühwiesen und Wildfruchthecken, Streuobstwiesen und Auen sowie Acker- und Gewässerrandstreifen.
  • Die Bundesregierung und die Länder müssen europäisches Natur- und Umweltrecht konsequent umsetzen. Die Umsetzung von Natura 2000 und der Wasserrahmenrichtlinie hängen drastisch hinter ihrem Zeitplan zurück und werden oft nur in mangelnder Qualität erfüllt.
  • Weiterhin braucht es die Begrenzung des Flächenverbrauchs, die Ausweisung von Wildnisgebieten auf zwei Prozent der Landesfläche mit Wildnisfonds, den Waldumbau zu naturnahen Wäldern und ein Zentrum zum Biodiversitätsmonitoring.

Das alles weiß im Übrigen auch die Bundesregierung, das Ganze ist kein Geheimnis. Aber die Große Koalition tut bisher nichts.

3.) 1,8 Millionen Menschen haben das „Volksbegehren Artenvielfalt“ unterzeichnet – was bedeutet der Erfolg dieser Initiative Ihrer Ansicht nach für die Politik auf Bundesebene?

Die Bürgerinnen und Bürger haben erkannt, welche Probleme das Vogel- und Insektensterben mit sich bringen und fordern von der Landes- und natürlich auch der Bundesregierung ein, endlich entsprechend zu handeln. Die Bundesregierung kann davor ihre Augen nicht weiter verschließen. Ich erwarte, dass der Erfolg des Volksbegehrens für die Bundesregierung endlich ein Weckruf ist. Der Abwärtstrend des Artensterbens wird sonst ungebremst weitergehen. Die Liste der Versäumnisse dieser Koalition ist lang. Das Umweltministerium muss sich nun bei den anstehenden Auseinandersetzungen gegen das Landwirtschaftsministerium durchsetzen – sei es beim Insektenschutz, bei der europäischen Agrarpolitik oder dem Klimaschutz.

4.) Wie bedrohlich ist der Klimawandel – und was sollte die Bundesregierung tun, um hier einen Beitrag zu leisten?

Klipp und klar: Die Klimakrise bedroht die Menschheit in ihrer Existenz. Das Perfide ist, dass die Lebenssituation der heutigen Entscheidungsträger nur wenig tangiert ist – die zukünftiger Generationen umso mehr. Genau deshalb wird FridaysforFuture so aggressiv angegangen – weil sich die Stimme der Betroffenen zum ersten Mal machtvoll zu Wort meldet. Deutschland wird aus der Kohle aussteigen. Das war längst überfällig. Das Enddatum 2038 für den Ausstieg ist meines Erachtens deutlich zu spät. Die Bundesregierung ist aber auch im Verkehrsbereich und der Land- und Bauwirtschaft Maßnahmen schuldig, um wieder auf den Pfad des Pariser Klimaabkommens zu kommen.

5.) Tempolimit – ja oder nein?

Ja. Wir Grünen treten seit Jahren für eine allgemeine Höchstgeschwindigkeit von 120 km/h auf allen Autobahnen ein. Eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen führt zu mehr Verkehrssicherheit, besserem Verkehrsfluss und weniger Klimabelastung. Mit dieser Forderung orientieren wir uns am gesunden Menschenverstand, der alle unseren europäischen Nachbarn (und die ganze Welt), zu Höchstgeschwindigkeiten von 100–140 km/h gebracht hat. Anders als von Verkehrsminister Scheuer behauptet, gibt es ein klares mehrheitliches Ja zum Tempolimit in der Bevölkerung (Quelle: KfW Research 2017).

In der ersten Fassung dieses Beitrags fehlte die Antwort von Carsten Träger, da sie sich krankheitsbedingt verzögert hatte. In einer älteren Fassung wurde zudem Steffi Lemke fälschlicherweise als umweltpolitische Sprecherin bezeichnet.

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