Nach den Wahlen ist vor den Wahlen: Warum Spanien jetzt eine Blockade droht

Weder die regierende Linkskoalition noch der Rechtsblock hat eine klare Mehrheit hinter sich. Eine Mehrheit gibt es nur mit Stimmen aus Katalonien – doch die haben ihren Preis.

vom Recherche-Kollektiv Weltreporter:
3 Minuten
Der spanische Premier Pedro Sánchez steht nach den Parlamentswahlen auf einem Podest vor der Madrider Parteizentrale und hält gemeinsam mit Parteigenossen jubelnd die Arme hoch.

Der große Rechtsruck ist bei den spanischen Parlamentswahlen ausgeblieben. Die konservative Volkspartei Partido Popular und die rechtspopulistische Vox haben die absolute Mehrheit verfehlt, aber auch der regierenden Linkskoalition fehlt es an Unterstützung. Wie geht es weiter in Spanien? Die wichtigsten Eckpunkte im Überblick.

Was war die größte Überraschung?

Umfragen hatten der konservativen Volkspartei Partido Popular (PP) und der rechtspopulistischen Vox eine absolute Mehrheit vorhergesagt. Die liegt in Spanien bei 176 Sitzen – Vox und PP kommen gemeinsam auf gerade einmal 169 Sitze. Damit hat kaum ein Analyst, kaum eine Analystin gerechnet.

Wer hat gewonnen, wer hat verloren?

Die rechtspopulistische Vox-Partei ist der große Verlierer dieser Wahl. Sie ist zwar weiter drittstärkste Kraft im Parlament, hat aber 19 ihrer 52 Sitze eingebüßt. Offensichtlich waren die Forderungen der Partei vielen Spanierinnen und Spaniern zu radikal. Vox fordert unter anderem die Abschaffung der den Bundesländern vergleichbaren autonomen Regionen und der Gesetze gegen geschlechtsspezifische Gewalt.

Schwieriger ist die Frage nach dem Gewinner. Numerisch ist das eindeutig die PP. Sie ist mit 136 Sitzen stärkste Fraktion (2019 erlangte sie nur 89). Doch das bringt ihr wenig. Denn jenseits von Vox haben Spaniens Konservative kaum Unterstützer. Die müssten von den regionalen Parteien aus dem Baskenland und Katalonien kommen – und die hat der Rechtsblock dauerhaft vergrätzt. Über die gesamte Legislatur haben PP und Vox über die „Frankenstein-Koalition“ des sozialistischen Premiers Pedro Sánchez geschimpft und sie der Unterstützung durch Separatisten (die katalanische ERC) und „Mörder“ (die baskisch-nationalistische EH Bildu, in denen teils die politische Erben der aufgelösten baskischen Terrororganisation ETA sitzen) bezichtigt. Das lässt sich nicht so leicht reparieren.

Und was ist mit Linkskoalition?

Auch für die wird es knapp. Die Sozialisten der PSOE und das Linksbündnis Sumar kommen gemeinsam mit ihren bisherigen Unterstützern auf 172 Stimmen – das sind vier zu wenig. Sie bräuchten die Stimmen einer katalanischen Partei, die Premier Pedro Sánchez bisher die Unterstützung versagt haben: der separatistischen Junts-Partei von Carles Puigdemont. Sie fordert Amnestie und ein Unabhängigkeitsreferendum. Doch das ist rechtlich kompliziert, schließlich garantiert die Verfassung die unverbrüchliche Einheit Spaniens. Und auch politisch ist das kaum denkbar. Sowohl die PSOE wie auch das Linksbündnis Sumar haben Verhandlungen über ein Referendum eine klare Absage erteilt.

Ist die katalanische Unabhängigkeitsbewegung stark genug, um ihre Forderungen umzusetzen?

Aus dem Straßenbild ist die katalanische Unabhängigkeitsbewegung weitgehend verschwunden – und auch politisch hat sie an Gewicht eingebüßt: Bei den Wahlen stimmten die meisten Katalaninnen und Katalanen für die Sozialisten, der Block der drei separatistischen Parteien (ERC, Junts, Cup) hat im neuen Parlament nur noch 14 Sitze, 2019 waren es noch 23. Allerdings erhalten sie durch die komplizierte Arithmetik besonders viel Gewicht. Ihre Stimmen sind „Gold wert“, so Junts-Sprecherin Miriam Nogueras. Will Pedro Sánchez erneut Premier werden, kommt er um das ein oder andere Zugeständnis nicht herum. Das weitreichendste Angebot der Sozialisten an die Katalanen sind bisher Verhandlungen um ein neues Autonomiestatut, dem spanischen Äquivalent einer bundesdeutschen Landesverfassung. Das wird den Katalanen aber kaum reichen.

Wie geht es jetzt weiter?

Am 17. August tritt das neu gewählte Parlament erstmals zusammen und die Suche nach einem Präsidentschaftskandidaten beginnt. Das kann sich angesichts der Mehrheitsverhältnisse hinziehen, eine Frist gibt es nicht. Ist ein Kandidat gefunden, schlägt der König ihn dem Parlament vor. Scheitert dessen Wahl sowohl im ersten wie im zweiten Wahlgang, müssen innerhalb von zwei Monaten Neuwahlen angesetzt werden. Ein solches Szenario gab es bereits 2015, auch 2019 waren zwei Wahlgänge notwendig, bis sich die Linkskoalition zusammengerauft hatte.

VGWort Pixel