Wahlen in Spanien: Droht ein Rechtsruck oder gelingt der Linkskoalition die Trendwende?

Erstmals könnten Politiker der rechtsextremen Vox einen Teil des Kabinetts stellen. Doch deren Umfragewerte sind gesunken und Oppositionschef Alberto Núñez Feijóo markiert Distanz.

vom Recherche-Kollektiv Weltreporter:
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Der spanische Premier Pedro Sánchez steht in einer Menschenmenge und reckt die rechte Faust nach oben. Im Hintergrund ist der Wahlkampfslogan „Adelante“ („Vorwärts“) zu sehen

Spanien wählt eine neue Regierung. Gingen Analysten zunächst von einer Koalition zwischen der konservativen Volkspartei Partido Popular (PP) und der rechtsextremen Vox aus, haben sich die Werte in den letzten Tagen leicht verschoben – zugunsten der Linkskoalition. Vier Fragen, vier Antworten.

Was sagen die Umfragen?

Kurz vor dem Öffnen der Wahllokale haben sich die Umfragewerte verschoben. Galt zunächst eine Koalition zwischen der konservativen Volkspartei PP und der rechtsextremen Vox als wahrscheinlich, haben die spanischen Sozialdemokraten (PSOE) und das Linksbündnis Sumar leicht aufgeholt. Bleibt auch die konservative Volkspartei Partido Popular (PP) hinter ihren Erwartungen zurück, wäre eine Wiederauflage der bisherigen Linkskoalition möglich: eine Minderheitsregierung, toleriert von katalanischen und baskischen Parteien. Allerdings unter anderen Vorzeichen: Der bisherige Juniorpartner Unidas Podemos hat sich dem linken Multi-Bündnis angeschlossen. Anführerin Yolanda Díaz, Spaniens amtierende Arbeitsministerin, setzt alles daran, die Koalitionsquerelen der Vergangenheit vergessen zu machen und demonstriert offensiv Einigkeit mit Premier Pedro Sánchez.

Auch auf der politischen Rechten gibt es Verschiebungen. Der Chef der konservativen Volkspartei PP, Alberto Nuñez Feijóo, hat zunächst offen mit einer Koalition mit Vox geliebäugelt, sein Verhältnis zu dessen Chef Santiago Abascal sei „sehr herzlich“, so Feijóo zu Beginn des Wahlkampfes. Inzwischen aber markiert er vorsichtig Distanz und hat die Sozialisten aufgefordert, sich bei der Präsidentschaftswahl zu enthalten, um allein regieren zu können. Ein Vorschlag, dem die Sozialisten wenig überraschend eine klare Absage erteilt haben.

Dass die Konservativen keine Brandmauern gegen die rechtsextreme Partei errichtet haben, hat auch mit deren Geschichte zu tun. Die 2014 gegründete Vox ist eine Abspaltung der konservative Partido Popular, und auch wenn sie sich in ihren programmatischen Forderungen unterscheiden, sind sich beide rechten Parteien in ihrer Verteidigung der „Einheit Spaniens“ recht nah: Dass sich der sozialistische Premier Pedro Sánchez gegen Zugeständnisse punktuell von baskischen und katalanischen, pro-separatistischen Parteien stützen ließ, gilt ihnen als „Vaterlandsverrat“.

Welche Folgen hätte eine Rechtskoalition für Spanien und Europa?

Den Kernbestand ihrer Forderungen wird die rechtsextreme Vox auch bei einer Regierungsbeteiligung nicht umsetzen können: Sie fordert die Abschaffung der autonomen Regionen, aber die sind verfassungsrechtlich garantiert – und eine Verfassungsreform gilt als ausgeschlossen. Politolog:innen wie Astrid Barrio gehen außerdem davon aus, dass die Volkspartei alle wichtigen Ministerien in ihrer Hand behalten und eine Regierungsbeteiligung Vox „entzaubern“ könnte. Die Rechtspopulisten könnten allenfalls im Symbolpolitischen wirken.

Allerdings zeigt der Blick in die Regionen und Rathäuser, in denen Vox und PP bereits das Sagen haben, dass angebliche Symbolpolitik ganz reale Folgen haben kann. In der Gemeinde Valdemorillo wurde Virginia Woolfs „Orlando“ vom Spielplan des städtischen Theaters genommen. In der kantabrischen Ortschaft Santa Cruz de Bezana darf der Disney-Film Buzz Lightyear nicht gezeigt werden, weil sich dort zwei Frauen küssen. Und in der Region Valencia sind Katalanisch-Kenntnisse für Lehr- und Gesundheitspersonal kein verpflichtendes Einstellungsmerkmal mehr.

Europa-Themen spielen für Vox im Vergleich zu anderen rechtspopulistischen Bewegungen eine geringere Rolle, obwohl sie natürlich auch gegen internationale Vereinbarungen beim Klimaschutz und gegen das „Diktat aus Brüssel“ polemisieren.

Welche Rolle spielten Themen wie Feminismus im Wahlkampf?

Eine sehr große. Im Mittelpunkt standen unter anderem die Querelen um das Transgender-Gesetz und die Verschärfung des Sexualstrafrechts durch die Linkskoalition: Eine Reform, die jeden nicht explizit einvernehmlichen Geschlechtsverkehr als Vergewaltigung sanktioniert, war geplant als feministischer Meilenstein, führte wegen handwerklicher Fehler aber zu Haftentlassungen verurteilter Straftäter und musste nachträglich mit den Stimmen der Opposition geändert werden. Vox versuchte daraus Kapital zu schlagen, schwang sich zum „Beschützer der spanischen Frauen“ auf – und forderte im gleichen Atemzug die Abschaffung der als vorbildlich geltenden Gesetze gegen geschlechtsspezifische Gewalt, nach der Gewalttaten von Männern an ihren (Ex-)Partnerinnen besonders hart sanktioniert werden. Die Partei leugnet die Existenz struktureller, frauenfeindlicher Gewalt. Damit versuchte sie vor allem bei jungen Männern zu punkten.

Die Umfragen deuten allerdings darauf hin, dass ihr das weniger als erwartet gebracht hat. Nicht nur für die spanischen Linkskoalition, sondern auch für einen Großteil der spanischen Gesellschaft zählt der Kampf für Frauenrechte und Selbstbestimmung zum Selbstverständnis. Das weiß auch die konservative Volkspartei PP, die im Gegensatz zu Vox Sinn und Zweck der Gesetze gegen geschlechtsspezifische Gewalt verteidigt.

Spanien ist eines der europäischen Länder, die am stärksten vom Klimawandel betroffen sind. Welche Umweltpolitik verfolgen die Regierungsbewerber?

Die Linksregierung setzt, teils auch gegen Proteste, massiv auf den Aufbau erneuerbarer Energien, unter anderem grünen Wasserstoff. Diesen Kurs will man bei Wiederwahl beibehalten. Sumar, die potenzielle Koalitionspartnerin der PSOE, wird in Sachen Klimaschutz aufs Tempo drücken. Das Bündnis fordert bis 2030 eine Reduktion von klimaschädlichen Emissionen auf 55 Prozent der Werte von 1990. Außerdem möchte Yolanda Díaz eine halbe Million ‚grüner Arbeitsplätze‘ im Bereich der Erneuerbaren Energien schaffen.

Jenseits der Linkskoalition spielte Klimapolitik – trotz Rekordtemperaturen und omnipräsenter Dürre – im Wahlkampf erstaunlicherweise kaum eine Rolle. Die konservative Volkspartei versprach eine ‚wirtschaftsfreundlichere‘ und ‚flexiblere‘ Umsetzung der EU-Vorgaben. Vox hat seine Klima-Agenda bereits auf einem gigantischen Plakat visualisiert: Darauf wirft eine Hand unter anderem das Symbol der Nachhaltigkeitsagenda 2030 in die Tonne. Die Rechtspopulisten wollen aus internationalen Klimaabkommen aussteigen und reden einer Politik das Wort, die eher an die 1960er Jahre als an die Gegenwart erinnert. Es sind Vorschläge, die sogar ihren potenziellen Koalitionspartnern ein Augenrollen entlocken: Die Vox propagiert Mini-Nuklear-Anlagen oder setzt auf technologische Großprojekte wie Stauseen und Dämme. Letzteres ergibt bei ausbleibenden Niederschlägen wenig Sinn.

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