Pressefreiheit weltweit: Journalistïnnen im Fadenkreuz von Regimen, Kartellen und Terrormilizen

Die Auslandskorrespondentïnnen des Weltreporter-Netzwerks berichten über Pressefreiheit in Mexiko, Somalia, den Mahgreb-Staaten und Mosambik, Indien und Indonesien, Skandinavien und Spanien.

vom Recherche-Kollektiv Weltreporter:
7 Minuten
Der Satz steht in weißer Schrift auf schwarzem Hintergrund, das Wort „not“ ist rot eingefärbt

Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine, die brutale Niederschlagung friedlicher Proteste im Iran, zunehmende Gewalt durch staatliche Institutionen, Terrormilizen und kriminelle Organisationen in Ländern wie Mexiko, Afghanistan oder Somalia: Demokratie gerät weltweit immer stärker unter Druck – und damit auch die Meinungs- und Pressefreiheit.

Einen Überblick über die Ereignisse des vergangenen Jahres – vor allem in Staaten, in denen unabhängige Medien unter Druck stehen – bietet der neue Band Fotos für die Pressefreiheit 2023 von Reporter ohne Grenzen, der zum Tag der Pressefreiheit am 3. Mai erscheint. Neben international ausgezeichneten Fotografen, wie dem Ukrainer Evgeniy Maloletka haben an dem Buch dieses Jahr auch Auslandskorrespondentïnnen von Weltreporter.net mitgearbeitet.

Ein Überblick über den Zustand der Pressefreiheit in Mexiko, Somalia, den Mahgreb-Staaten und Mosambik, Indien und Indonesien, Skandinavien und Spanien.

Mexiko: Zonen des Schweigens

Man nennt sie „Zonen des Schweigens“: In einigen Regionen Mexikos ist es kaum noch möglich, journalistisch zu arbeiten. Mexiko zählt zu den gefährlichsten Ländern weltweit, bewaffnete Gruppen kontrollieren das gesellschaftliche Leben. Wer über den Terror der Mafia, die korrupten Geschäfte des Bürgermeisters oder die Polizeigewalt berichtet, muss mit dem Schlimmsten rechnen. 2022 sind mindestens 13 Journalistïnnen gewaltsam ums Leben kommen, seit 2000 etwa 160. Dennoch beschimpft Präsident Andrés Manuel López Obrador weiterhin kritische Medienschaffende und gießt damit noch mehr Öl ins Feuer.

Die Reporterin María Avilés arbeitet im Bundesstaat Guerrero, der größtenteils von bewaffneten Milizen und der Mafia kontrolliert wird. Auch sie riskiert ihr Leben. Mexiko-Korrespondent Wolf-Dieter Vogel hat sie begleitet. Seinen Artikel können sie in diesem Monat in unserem Themenmagazin Weltreporter – zu Hause auf fünf Kontinenten lesen.

Die Journalistin steht in einer Menge, die Smartphones in die Luft hält, sie trägt eine Gesichtsmaske
Die mexikanische Journalistin Maria Avilés: Arbeiten unter Lebensgefahr

Somalia: 50 Journalistenmorde seit 2010

Somalia ist für Medienschaffende das gefährlichste Land auf dem afrikanischen Kontinent. Allein seit 2010 wurden laut Reporter ohne Grenzen mehr als 50 Journalistïnnen im Zusammenhang mit ihrer Arbeit getötet. Bettina Rühl, die regelmäßig für Recherchen nach Somalia reist erklärt: Als tatverdächtig gelten meist Mitglieder der radikal-islamistischen Shabaab-Miliz, allerdings finden nach Morden meist keine Ermittlungen statt.

Die Behörden gehen massiv und oft mit Willkür gegen Medienschaffende vor, sie werden verhaftet, manchmal sogar gefoltert, Medienhäuser vorrübergehend oder endgültig geschlossen. Derzeit sind zwei Journalistïnnen in Haft. Abdalle Ahmed Mumin, Generalsekretär des somalischen Journalistensyndikats (SJS), wurde Anfang April nach 166 Tagen in Haft und massiven Einschüchterungen freigelassen.

Ein Porträtfoto des Journalisten, er trägt einen Anzug, hinter ihm ist Mogadishu zu sehen
Abdalle Ahmed Mumin, Generalsekretär des somalischen Journalistensyndikats

Nordafrika: Druck auf Journalisten steigt

In Nordafrika hat sich die Situation für Medienschaffende im letzten Jahr erneut verschärft, berichtet Sarah Mersch aus Tunis. Während Journalistïnnen in Marokko schon seit Jahren Schmierkampagnen ausgesetzt sind, wurden Medienschaffende im vergangenen Jahr auch in den Nachbarländern Algerien und Tunesien zunehmend unter Druck gesetzt.

Seit Februar sitzt der Direktor des größten privaten tunesischen Radiosenders in Untersuchungshaft. Ihm werden zusammen mit rund 30 weiteren Oppositionellen Umsturzpläne vorgeworfen. In Algerien wurde Anfang April Ihsane El Kadhi zu fünf Jahren Haft verurteilt. Der Journalist leitete eines der letzten unabhängigen Medienunternehmen in Algerien, das nach dem Gerichtsbeschluss aufgelöst werden soll.

Bild der Seite einer tunesischen Zeitung mit einem Artikel zur Pressefreiheit
Presse- und Meinungsfreiheit ist in den tunesischen Zeitungen ein zunehmend großes Thema

Mosambik: Doch kein Volk an der Macht

Als Weltreporter Stefan Ehlert am 18. März morgens im Zentrum von Maputo aus dem Taxi stieg, wunderte er sich über die Qualmwolken, die über der Straße hingen. Es war Tränengas. Damit bedachte die Polizei mutmaßliche Demonstranten und Anwohner, lange bevor ein Marsch zu Ehren des verstorbenen Protestmusikers Azagaia begonnen hatte. Mit dem Song „Povo no Poder“ (Volk an der Macht) hatte sich der Rapper in die Herzen der Jugend gesungen. Aber unter dem Slogan zu demonstrieren, wurde mehrfach mit „unnötiger und unverhältnismäßiger“ Polizeigewalt unterbunden, wie der UN-Menschenrechtsrat kritisierte.

Das Frelimo-Regime – seit 1975 an der Macht – unterbindet nahezu jede Menschenansammlung, die es nicht selbst organisiert hat. Doch mit Hunden, Gummigeschossen und Tränengas auf friedliche Zivilisten loszugehen, die eine behördlich genehmigte Demonstration abhalten wollten, wird von vielen als Steigerung des Machtmissbrauchs gewertet.

Hinter einem Pickup steht ein gepanzertes Polizei-Einsatzfahrzeug auf der Straße
Straßenszene vom 18. März

Indien: Immer mehr Attacken auf die Presse

Es war ein Armutszeugnis für Indiens Pressefreiheit: Im Februar durchsuchten Behörden die Büros der BBC in Mumbai und Delhi. Kurz zuvor hatte der britische Nachrichtensender eine Dokumentation über die tödlichen anti-muslimischen Unruhen von 2002 in Gujarat gesendet und auch die Rolle des Premierministers Narendra Modi kritisch beleuchtet. Indien zählt laut Reporter ohne Grenzen zu den fünf gefährlichsten Staaten für Journalistïnnen und Medienschaffende.

Trotzdem sprechen deutsche Politikerïnnen, die den Subkontinent besuchen, von einer Wertepartnerschaft mit „der größten Demokratie der Welt“. Über das Verhältnis zu Deutschland, die Behandlung von Minderheiten und die Pressefreiheit hat Christina zur Nedden mit Hartosh Singh Bal gesprochen. Er ist Political Editor des Magazins „The Caravan“ und gehört zu den wenigen indischen Journalisten, die sich nicht scheuen, die hindunationalistische Regierung kritisch zu beleuchten.

Der Mann sitzt vor einem Bücherregal, er hat einen Vollbart und schaut ernst in die Kamera
Redakteur Hartosh Singh Bal in seinem Büro

Indonesien: Neues Strafrecht gefährdet die Pressefreiheit

Im Dezember hat das indonesische Parlament nach jahrelanger Debatte ein neues Strafgesetzbuch verabschiedet. Während in Deutschland vor allem das Verbot von vorehelichem Sex Schlagzeilen machte, ist die indonesische Allianz Unabhängiger Journalisten (AJI) höchst besorgt über die Auswirkungen des neuen Gesetzeswerks auf die Pressefreiheit. Einheimischen wie ausländischen Journalistïnnen oder Bürgerïnnen, die den Präsidenten oder staatliche Behörden kritisieren, droht künftig je nach Auslegung eine Haftstrafe wegen Beleidigung, berichtet Christina Schott.

Andere Gummiparagraphen besagen, dass Medienschaffende aufgrund unvollständiger oder falscher Berichte, die zu Ausschreitungen führen, inhaftiert werden können. „Das Gesetz ist ein Rückschlag für den Schutz der bürgerlichen Freiheiten im Land, insbesondere der Meinungs- und Pressefreiheit“, erklärt Usman Hamid, Direktor von Amnesty International Indonesien.

Demonstratierende in Yogyakarta halten Spruchbänder, mit denen sie gegen das neue Strafrecht protestieren.
Demonstration gegen das neue Strafgesetzbuch in Yogyakarta

Spanien/Polen: U-Haft für spanischen Journalisten

Julia Macher hat zu Beginn des Monats bereits über den Fall des spanischen Journalisten Pablo González berichtet. Seit mehr als 14 Monaten sitzt er in Polen in Untersuchungshaft. Dem Reporter, der für mehrere spanische Medien über den Beginn des Krieges in der Ukraine berichtete, wird Spionage für Russland vorgeworfen. Doch bisher gibt es weder eine Anklage noch veröffentlichte Beweise.

Die spanische Sektion von Reporter ohne Grenzen kritisiert das Vorgehen der polnischen Behörden scharf. Dass ein europäischer Journalist in einem EU-Land so lange ohne stichhaltige Beweise festgehalten wird, sei ein „absolutes Novum“. Der Fall zeige auch die spezifische Gefährdung von freien Journalistïnnen im Ukrainekrieg. „Wer kein großes Medium hinter sich hat, ist verletzlicher als festangestellte Kollegïnnen – auch für staatlichen Machtmissbrauch“, so eine Sprecherin.

Ein Selfie des Journalisten auf einer verschneiten Straße, im Hintergrund stehen zwei Kameramänner
Pablo González berichtete als freier Journalist für verschiedene spanische Medien vom Krieg in der Ukraine

Skandinavien: Pressefreiheit als hohes Gut

In Skandinavien ist die Pressefreiheit traditionell ein hohes Gut. Bei Rankings landen die nordischen Länder regelmäßig auf den ersten Plätzen – laut Reporter ohne Grenzen belegten Norwegen, Dänemark und Schweden 2022 die ersten drei Plätze. Tatsächlich finden Journalistïnnen hier gute Bedingungen vor, kommen leicht an Informationen und müssen zumindest im realen Leben selten mit Übergriffen rechnen. Die Gesetze zum Schutz der Pressefreiheit sind stark und Feindseligkeit gegenüber Medien ist eher die Ausnahme als die Regel.

Als Sicherheitskräfte in Katar versuchten, den dänischen Fernseh-Journalisten Rasmus Tantholdt während der Fußball-Weltmeisterschaft an der Berichterstattung zu hindern, löste das in Dänemark einen Aufschrei aus. Trotzdem gibt es auch hier Herausforderungen, betont Julia Wäschenbach, Weltreporterin in Kopenhagen – etwa angesichts von Online-Hetze oder sehr zögerlichen Antworten von Behörden auf Presseanfragen.

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