Die tiefen Wurzeln Kubas: DNA-Analyse beweist – Kubas Ureinwohnerïnnen leben noch

Eine kleine Gruppe von Kubanerïnnen und eine Handvoll Historikerïnnen ahnten es schon immer: Die Taíno-Indigenen wurden nicht vollständig ausgerottet. Eine DNA-Analyse schenkt ihren Nachkommen ein neues Selbstbewusstsein. Ulrike Prinz hat sich in Kuba auf Spurensuche begeben.

vom Recherche-Kollektiv Südamerika+Reporterinnen:
11 Minuten
Porträt einer Taíno-Nachkommin auf dem Cover des Buches

Als im Jahr 1510 Diego de Velázquez in Baracoa an Land ging und die Kolonisierung Kubas begann, lebten schätzungsweise 112.000 Ureinwohnerïnnen vor allem im östlichen Teil des Landes. Massaker, eingeschleppte Krankheiten, Sklaverei und andere brutale Folgen der europäischen Besetzung haben den Taíno den Garaus gemacht. Sie wurden von den spanischen Kolonisatoren ausgerottet, berichtet Bartolomé de Las Casas in seiner „Schwarzen Legende“ von der Verwüstung der Westindischen Länder. So stand es in den Schulbüchern, und so glaubten es bis vor kurzem noch viele Historikerïnnen.

Denn bereits 60 Jahre nach Beginn der Kolonisierung waren nur noch 3.000 Indigene übrig – die meisten von ihnen Frauen. Und diese Frauen, so vermutete es der kubanische Historiker und Anthropologe Manuel Rivero de la Calle in den 1960er Jahren, haben sich hauptsächlich mit männlichen spanischen Kolonisatoren vermischt.

Indigene Frau mit weiß-grauem langem Haar blickt freundlich, skeptisch in die Kamera.
Die indigenen Frauen im 16. Jahrhundert verloren nicht nur ihre Männer und Familien im Encomienda-System. An ihre Stelle traten die Kolonisatoren, denen sie unterworfen waren. Reina Ramírez Ramírez ist eine Nachkommin mit 30,4 Prozent indigener DNA. © Héctor Garrido, Proyecto Cuba Indígena

Die kubanischen Taíno leben noch

Dennoch hatte offenbar eine Gruppe Indigener in den palenques, den unzugänglichen hügligen Waldgebieten des kubanischen Ostens, überlebt. So zeigte es die Studie von Beatriz Marcheco, der Direktorin des kubanischen Instituts für medizinische Genetik. Mit ihrem Team hatte sie eine DNA-Analyse durchgeführt, um die Anteile von indigenem Genmaterial in der kubanischen Bevölkerung ausfindig zu machen. Die Ergebnisse waren überraschend: Der Prozentsatz indigener Gene lag auf nationaler Ebene bei acht Prozent und der europäische bei 71 Prozent. Das war viel höher als angenommen.

Und im Oriente, in den östlichen Regionen der Insel, wurden brachte der Gentest fast 20 Prozent indigene DNA zum Vorschein und nur 45,7 Prozent der genetischen Informationen stammten von europäischen Vorfahren (25,4 Prozent stammten von afrikanischen und 8,6 Prozent von asiatischen Vorfahren). Was beweist: Die Ureinwohner Kubas sind nicht ausgestorben.

Blick aus dem Sammeltaxi auf die hügelige Landschaft
„Alemendrones“ werden die Sammeltaxis auf Kuba genannt, die Dank des Erfindungsreichtums und Geschicks ihrer Besitzer immer noch fahren.

Es beginnt mit dem Friedhof

Doch warum gerieten die Taíno in Vergessenheit? Und was hatte es mit der wundersamen Wiederauferstehung der Taíno-Indigenen genauer auf sich? Auf der Suche nach den Ursprüngen war mein erstes Ziel war der älteste Friedhof Kubas: „El Chorro de Maíta“ im Südosten der Insel.

Das Taxi ächzt den Hügel von Yaguajay hinauf. Hinter und unter uns liegt der Touristenstrand von Guardalavaca. Von hier aus hat man einen fantastischen Blick rund über die grünen Berge der Provinz Holguín und hinunter aufs Meer.

„El Chorro de Maíta“ ist der wichtigste archäologische Fundort der Antillen und zugleich Beweis für die frühe Kreolisierung der Inselbewohnerïnnen – ihre frühe kulturelle Durchmischung. Hier gruben die Forscherïnnen Skelette aus präkolumbischen Zeiten bis in die frühe Kolonialzeit (von 1440 bis 1540) aus. Sie zeugen von den frühen Begegnungen der Ureinwohnerïnnen mit anderen Kulturen.

Im Innenraum eines Museums blickt man auf eine freigelegte Gräberfläche, in der mehrere Skelette in verschiedenen Haltungen zu sehen sind.
Der Friedhof von „El Chorro de Maíta“ birgt noch viele Geheimnisse. Zum Beispiel über frühe Handelswege. Aus einer DNA-Analyse der Skelette erwartet man sich interessante Ergebnisse.
Sechs in Größe und Form unterschiedliche Idole aus Muschel geschnitzt. Eines davon zeigt einen Totenkopf mit großen Augenhöhlen und Gebiss.
Aus Muschel geschnitzte Idole, darunter ein Totenkopf, die in den Gräbern des ältesten Friedhofs der Antillen gefunden wurden.
Durch die rekonstruierten palmstrohbedeckten Häuser sieht man Gips-Figuren Ringelreihe tanzen.
Mit 38 lebensgroßen Statuen in Gipsabgüssen soll das Leben der ausgestorbenen Taíno-Indigenen für Touristen verdeutlicht werden. Dazu wird eine „Indianer-Show“ mit Heilungszeremonie aufgeführt.
Selfie der Autorin mit dem Indigenen-Schauspieler
Nach der Show sind Selfies und Fotos Pflicht. Der Schauspieler sagte mir, dass hinter Baracoa die letzten Nachfahren der Taíno gelebt hätten. Heute aber seien sie ausgestorben.
Eine Mutter mit ihren zwei Töchtern und einem Son mit den beiden Hunden sitzen zum Familienfoto vereint vor ihrem „bohío“, einem traditionell mit Palmstroh gedeckten Holzhaus.
Die Nachfahren der Taíno auf Kuba überlebten ein „demografische Debakel unvorstellbaren Ausmaßes“, sagt die Genetikerin Beatríz Marcheco. © Héctor Garrido, Proyecto Cuba Indígena
Ein Mann mit Bart, Sonnenhut und Brille steht neben einer Frau mit dunkler Haut und mandelförmigen Augen, die in die Kamera lächelt
Mit Alejandro Hartmann begegnen wir im „Oriente cubano“ einer Kubanerin mit indigenen Wurzeln.
Eine Frau mit langen schwarzen Haaren, den typischen Augenwulsten, mandelförmigen Augen und einer schmalen Nase vor dem Hintergrund ihrer Holzhauses
Marisela Pileta Rojas lebt in der Provinz Guantánamo. Ihre Mutter trug den Nachnamen Rojas-Ramírez © Héctor Garrido, Proyecto Cuba Indígena
Alte Taíno-Nachkommin mit faltiger Haut sitzt in ihrem Schaukelstuhl
Jetzt haben die Nachkommen der Indigenen Kubas auch den genetischen Beweis. Ihr Erbe hat über 500 Jahre überdauert. © Héctor Garrido, Proyecto Cuba Indígena
Porträt einer Taíno-Nachkommin auf dem Cover des Buches
Im Bildband „Indigenes Kuba heute: Seine Gesichter und DNA“ wurden die Ergebnisse der Forschungen des Teams zusammengefasst. Das Buch verbindet die Wissenschaft mit der Kunst der Porträts und Phänotypen der Nachfahren der Taíno auf Kuba. © Héctor Garrido, Proyecto Cuba Indígena
Alter Mann mit Schnurrbart und einer schwarzen Jacke, deren Kragen aufgestellt ist, blickt fest in die Kamera, seine Hände ruhen auf einen Gehstock
Porträt vom 87-jährigen Francisco Ramírez Rojas, alias „Panchito“. Er wird von seiner Familie als Kazike anerkannt und hat einen Teil des kulturellen Erbes bewahrt.