- RiffReporter /
- International /
Ex-General Agmon: „Netanjahu zu isolieren, wäre beste Unterstützung Deutschlands für Israel“
Früherer israelischer General: „Netanjahu zu isolieren, wäre die beste Unterstützung Deutschlands“
Asaf Agmon, hochdekorierter israelischer Militärführer, fordert die Bundesregierung auf, Israel von einer Fortsetzung des Gazakriegs abzuhalten. Kanzler Merz solle Netanjahu in Berlin keinen roten Teppich ausrollen, sondern israelische Bürger zum Dialog einladen, sagt er im Interview.

Asaf Agmon, Jahrgang 1948, ist ehemaliger Brigadegeneral der israelischen Luftwaffe. Er leitete in den 1980er Jahren die geheime „Operation Salomon“, bei der mehr als 14.000 äthiopische Juden mit einer Luftbrücke nach Israel gebracht wurden. Für diese und weitere bis heute geheime Operationen erhielt er die höchste militärische Auszeichnung des Staates Israel. Nach seiner Pensionierung war Agmon zehn Jahre lang Direktor des Fisher Instituts für strategische Studien der israelischen Luftwaffe und Experte für das iranische Raketenprogramm. In den vergangenen Jahren ist er zu einem der führenden Köpfe der israelischen Protestbewegung gegen die Regierung Netanjahu und die Fortsetzung des Krieges im Gazastreifen geworden.
Im Interview spricht er über die Kritik aus Deutschland am Vorgehen Israels in Gaza, einen möglichen Besuch des mit internationalem Haftbefehl gesuchten israelischen Regierungschefs Benjamin Netanjahu in Berlin und seine Sorge um die Demokratie in Israel.
Herr Agmon, Bundeskanzler Friedrich Merz hat seinen Ton gegenüber der israelischen Regierung wegen deren Vorgehen im Gaza-Konflikt in den letzten Tagen deutlich verschärft. Wie beurteilen Sie das?
Es ist ein großer Schritt, der längst überfällig war.
Der Kanzler hat gesagt, das Vorgehen gegen die Zivilbevölkerung könne nicht länger mit dem berechtigten Kampf gegen den Hamas-Terrorismus gerechtfertigt werden. Liegt er damit richtig?
Natürlich hat der damit recht. Wir verlieren in Gaza unsere wichtigsten menschlichen Werte, wir verlieren unerträglich viele Menschenleben und wir bekommen dafür nichts – erst recht nicht das wichtigste: die Geiseln, denen wir versprochen haben, sie heimzuholen.
Was erwarten Sie nun von der Bundesregierung?
Kanzler Merz und die deutsche Regierung sollten alles unternehmen, Benjamin Netanjahu und seine Regierung von jeglicher Form internationaler Unterstützung zu isolieren. Das wäre nicht gegen die Interessen eines demokratischen Israel, sondern im Gegenteil die beste Unterstützung, die Deutschland geben könnte.
Die Einladung Netanjahus nach Deutschland schwächt in Israel unseren Kampf für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und eine gerechte Lösung für den Nahen Osten.
Einige EU-Staaten fordern, die Verhandlungen über ein Assoziierungsabkommen mit Israel auf Eis zu legen. Auch über den Stopp weiterer Waffenlieferungen wird diskutiert. Sollte es ein solches Waffenembargo geben?
Das ist eine heikle Entscheidung, denn beide Schritte hätten weitreichende Folgen. Deutschland und die anderen EU-Staaten sollten zunächst deutlich machen, dass sie solche Schritte für den Fall erwägen, dass Netanjahu nicht bereit ist, den Krieg sofort zu beenden und einen Deal zur Freilassung der Geiseln mit der Hamas abzuschließen. Die Warnung auszusprechen, dass eine Fortsetzung des für die Menschen auf beiden Seiten unmenschlichen Krieges Folgen hat, ist sehr wichtig.
Merz hat Israel nicht nur kritisiert. Er hat auch betont, dass Netanjahu trotz eines Haftbefehls des Internationalen Strafgerichtshofs wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Deutschland nichts zu befürchtet hat. Die Vorstellung seiner Verhaftung sei abwegig. Wie sehen Sie das?
Die Einladung Netanjahus nach Deutschland schwächt in Israel unseren Kampf für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und eine gerechte Lösung für den Nahen Osten. Denn ein Deutschland-Besuch des Regierungschefs ist für Israel etwas sehr Symbolisches. Netanjahu ist ein Meister darin, das für sich zu nutzen. Er wird es zu Hause so darstellen, dass ganz Deutschland seine Politik unterstützt. Wollen die Deutschen wirklich den Eindruck erwecken, dass sie das stärken, was Netanjahu jetzt in Gaza tut? Wollen die Deutschen Netanjahus Unterstützung für Trumps Plan stärken, die Palästinenser aus Gaza zu vertreiben? Glaubt die Mehrheit der Deutschen daran? Ich bezweifle das.
Viele umstrittene Politiker kommen nach Deutschland. Das bedeutet nicht, dass die Bundesregierung ihre Politik unterstützt. Ist ein Besuch nicht die beste Gelegenheit, Netanjahu direkt die Kritik zu übermitteln?
Der Einwand ist berechtigt. Aber Merz sollte wissen, dass eine Einladung Konsequenzen in Israel haben wird. Netanjahu wird das innenpolitisch ausschlachten – ganz gleich, wie kritisch die Fragen in Deutschland an ihn ausfallen. Ein Besuch in Berlin würde seine Position in einer Situation stärken, in der er keinesfalls noch stärker werden sollte. Das sollte Kanzler Merz in seiner Entscheidung berücksichtigen. Ich weiß, es ist schwierig für Deutschland – aber Netanjahu in Berlin willkommen zu heißen ist einfach der vollkommen falsche Weg, die besondere Verbundenheit mit Israel, die besondere Verantwortung, ja, die Staatsräson, zum Ausdruck zu bringen.

Wie könnte eine Lösung in dieser politisch heiklen Frage aussehen?
Die Bundesregierung sollte ihm sagen: Solange es einen Haftbefehl gibt, können wir Sie nicht empfangen, denn niemand steht über dem Recht. Dies zu betonen, würde auf diplomatischer Ebene das Gesicht wahren und zugleich eine klare Botschaft senden. Und dann sollte die deutsche Regierung demonstrativ Menschen aus Israel einladen, – Persönlichkeiten aus der Wissenschaft, aus Kultur und Wirtschaft, Schüler, Lehrer, normale Menschen, – um über die Situation zu sprechen und die Verbindung zwischen den Ländern zu stärken. Das wäre ein großes Zeichen, die besondere Verantwortung Deutschlands gegenüber dem Staat Israel, seiner Sicherheit und seinen Bürgern zu untermauern – das, was in Deutschland als Staatsräson bezeichnet wird.
Sie werfen Netanjahu vor, an der Spitze einer illegitimen Regierung zu stehen. Aber er stützt sich auf eine Mehrheit im Parlament, das frei gewählt wurde.
Ich erinnere an die Probleme, die Sie in Deutschland gerade hatten, um eine Koalitionsregierung zu bilden. Bei uns ist es noch zehnmal komplizierter. Wir haben ein extrem zersplittertes Parteiensystem, in dem kleine Minderheiten sehr strikt einen bestimmten Teil der Gesellschaft repräsentieren. Das macht es sehr kompliziert, eine Koalition zu bilden.
Das ist nichts Neues für die israelische Politik …
Ja, aber jetzt haben wir einen Premierminister, der mutmaßlich in schwere Straftaten verwickelt ist. Er wird vom Staat Israel angeklagt – wegen Korruption, Betrug, Untreue, Bestechlichkeit. Um politisch zu überleben, das heißt, um nicht ins Gefängnis zu gehen, ist er bereit, alles zu tun, was ihn an der Macht hält. Wir befinden uns also in einer Situation, in der wir einen Regierungschef haben, der die Unterstützung dieser kleinen, äußerst messianisch-extremistischen Parteien hat . Diese verschaffen ihm in unserem Parlament eine Mehrheit, alles zu tun, was er will – solange er dafür ihre Interessen bedient.

Was bedeutet das in der Praxis?
Das Ergebnis ist, dass wir bei jeder wichtigen Frage eine Regierung haben, die gegen den Willen einer Mehrheit der Bevölkerung agiert. Es stimmt: Wir haben einen Staat mit einer demokratisch gewählten Regierung. Es stimmt aber auch: Diese Regierung agiert gegen den Mehrheitswillen, spaltet die Gesellschaft, versucht die Demokratie zu schwächen. Sie steht in existenziellen Fragen gegen das eigene Volk, denn alle Umfragen zeigen, dass Netanjahu für den Krieg und seinen Umgang mit der Geiselfrage keine Mehrheit hat.
Schlittert Israel wie die USA durch eine demokratisch gewählte Regierung in eine Demokratiekrise?
Wir stecken bereits mitten in dieser Krise. Wir haben keine Verfassung und das Parlament ist so fest in der Hand des Netanjahu-Lagers, dass es seiner Aufgabe nicht gerecht wird, die Regierung zu kontrollieren. Dazu kommt, dass Netanjahu mit seinen sogenannten Justizreformen die Möglichkeiten des Rechtsstaats bereits stark geschwächt hat. Es ist sehr schwierig für Richter, die Regierung zu stoppen, selbst wenn sie illegal handelt. Statt drei Gewalten zu haben, auf denen Demokratien basieren, haben wir höchstens noch eineinhalb. Netanjahu kann mithin tun, was er will, solange er seine ultrarechten messianisch-antidemokratischen Koalitionspartner an Bord hält. Andersherum bedeutet das, dass er von ihnen abhängig ist. Sie wollen kein Ende des Krieges, im Gegenteil, sie wollen ihn ausweiten.
Sie sprechen über die zunehmende Gewalt durch Armee und Siedler im Westjordanland?
Die Extremisten in der Regierung wollen das Westjordanland annektieren und sie wollen Gaza für die Juden. Es gibt einen Plan dafür, sie sagen es und sie meinen es ernst. Geht es nach ihnen, haben die Palästinenser die Wahl zu bleiben und Bürger ohne volle Rechte zu sein, oder zu gehen. Wenn sie keine dieser Optionen wollen, gibt es Krieg und sie werden getötet. Das ist die Logik innerhalb einer demokratisch gewählten Regierung! Wenn das keine Gefahr für die Demokratie ist, was dann? Die Bedeutung dessen, was jetzt in Israel, im Gazastreifen, im Libanon, im Nahen Osten geschieht, ist meiner Meinung nach sehr wichtig für die ganze freie Welt. Israel ist so etwas wie der Kanarienvogel im Kohlebergwerk der Welt.

Was gerade in Israel passiert, geht die ganze Welt etwas an.
Wie meinen Sie das?
Wie die Vögel Bergleute vor giftigen Gasen gewarnt haben, ist die Lage bei uns ein Frühwarnsystem für die ganze Region und darüber hinaus. Wenn Israel aufhören sollte, eine Demokratie zu sein, ein jüdischer und demokratischer Staat, dann wird das eine Katastrophe für all jene Kräfte in der Welt, die auf dem aufbauen, was wir aus dem Zweiten Weltkrieg gelernt haben: Dass wir ein System gemeinsamer Werte brauchen, demokratische und starke Institutionen, Verständigung, Menschenrechte – Werte, die dem entgegengesetzt sind, was im Zweiten Weltkrieg und unter den Nazis geschehen ist. Wir stehen jetzt 80 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg wieder an der gleichen Position, an der wir uns vor dem Zweiten Weltkrieg befanden. Wir stehen jetzt an einer Weggabelung. Wir müssen wählen: Wohin gehen wir?
Werden die nächsten Wahlen die wichtigsten in der Geschichte Israels sein?
Die wichtigste Frage ist, wann wir Wahlen haben werden. Wenn es nicht sehr schnell zu Wahlen kommt, ist die Zukunft Israels als demokratischer Rechtsstaat in Gefahr. Von unserem Staatsgründer David Ben-Gurion stammt der Ausspruch, Israels Zukunft hänge davon ab, dass wir unsere moralischen Werte behalten und zusätzlich mindestens eine Supermacht auf unserer Seite haben. Im Augenblick sind wir dabei, unsere grundlegenden Werte zu verspielen – und wir haben die Unterstützung einer Supermacht, die von jemandem angeführt wird, von dem ich keinen Gebrauchtwagen kaufen würde.