Demokratie unter Druck: Populisten und Autokraten haben weltweit Zulauf

Populisten wie Trump oder Bolsonaro setzen die Demokratie unter Druck. Anderswo bekommen Autokraten Beifall, so wie Obrador oder Putin. Was will das Volk?

vom Recherche-Kollektiv Weltreporter: ,
7 Minuten
Obrador in der typischen Selfie-Haltung mit zwei Frauen im Arm, direkt daneben steht eine weitere junge Frau, das Handy schon parat - sie wird das Staatsoberhaupt vielleicht gleich auch zum gemeinsamen Selfie bitten.

Trump wird es wieder tun: Am 15. November verkündete der ehemalige US-Präsident, 2024 nochmals für das höchste Staatsamt kandidieren zu wollen. Zuvor hatten Menschen nicht nur in den USA mit mehr oder weniger nervöser Anspannung auf diese Ankündigung gewartet. Seine Präsidentschaft hat die Demokratie in den USA zwischen 2017 und 2021 massiv herausgefordert, nicht zuletzt der Sturm seiner Anhängerïnnen auf das Kapitol am 6. Januar 2021. Aber nicht nur in den USA ist die Macht des Volkes in Gefahr. Auch in Europa, Afrika und Lateinamerika korrodiert die Substanz der Demokratie, wie Weltreporter-Korrespondentïnnen aus ihren jeweiligen Regionen berichten.

USA: Wählerïnnen wurden eingeschüchtert

Bei den Midterms in den USA hat in der vergangenen Woche fast die Hälfte aller Wahlberechtigten in den USA ihre Stimme abgegeben, wie Weltreporter Bastian Hartig aus New York berichtet. Das Ergebnis liegt nur knapp unter der Rekordbeteiligung von 2018 und könnte als Zeichen einer vitalen Demokratie verstanden werden. Tatsächlich jedoch sei die älteste Demokratie der Welt – im mächtigsten Land der Welt – in einer massiver Schieflage, betont Hartig. Hunderte republikanische Kandidaten, die auf allen politischen Ebenen antraten, leugnen die Legitimität der letzten Präsidentschaftswahlen. Einige der Prominentesten konnten die Gunst der Wähler nicht für sich gewinnen, andere könnten jedoch die Macht haben, den Ausgang der nächsten Wahlen massiv zu beeinflussen.

Ein Wahlplakat mit der Bitte zu wählen, jede Stimme zähle.
Die Midtermwahlen in den USA sind immer wichtig für das Stimmungsbild. 2022 schnitten die Demokraten besser ab als befürchtet.

Wählerïnnen wurden im Vorfeld vor einigen Wahllokalen von teils bewaffneten „Beobachtern“ eingeschüchtert. Und die Republikaner versuchen nach wie vor systematisch, bestimmte Wählergruppen auch in Zukunft an der Stimmabgabe zu hindern. Es steht laut Hartig zu befürchten, dass das Vertrauen in freie und faire Wahlen in Teilen der Bevölkerung noch weiter untergraben wird. Schon jetzt glaubt ein gutes Drittel der Amerikanerïnnen, dass es bei den letzten Präsidentschaftswahlen nicht mit rechten Dingen zugegangen ist.

Großbritannien: Menschenrechte im Visier

Die britische Politik sorgte in den vergangenen Jahren weltweit für amüsiertes Kopfschütteln. Das Land, das laut Peter Stäuber mit Sitz in London lange für seine Stabilität bekannt war, durchlebte zuletzt eine turbulente Zeit, geprägt von mehreren Regierungswechseln und chaotischen Zuständen in Westminster. Weniger Aufmerksamkeit hingegen erregte die Tatsache, dass die konservative Tory-Regierung währenddessen einen dezidiert autoritären Kurs eingeschlagen hat.

Junge Menschen mit Corona-Masken auf der Straße, sie halten Plakate hoch mit der Aufschrift: Löst die rassistischen und sexistischen Polizeieinheiten auf.
In Großbritannien demonstrieren Menschen gegen staatliche Sicherheitskräfte, denen sie Rassismus und Sexismus vorwerfen.

Es ist ein umfassender Angriff auf die Bürgerrechte: Das Demonstrationsrecht, die Rechte von Flüchtlingen und Asylbewerberïnnen, die Rechte von Roma und Fahrenden, die Möglichkeiten der Bürgerïnnen, Regierungsentscheide anzufechten – alles ist stark eingeschränkt worden. Zudem wurden die Befugnisse der Sicherheitskräfte ausgebaut. Darüber hinaus hat die Regierung ein Gesetz erlassen, das laut Kritikern dazu führen könnte, dass etwa eine Million Bürgerïnnen nicht wählen können. Auch das wird der Regierungspartei helfen. Selbst die Vereinten Nationen warnten letztes Jahr, dass grundlegende Rechte in Großbritannien zunehmend gefährdet seien.

Österreich: Korruption und fehlende Aufklärung mindern Vertrauen in Volkspartei

„So sind wir nicht!“, beschwichtigte Bundespräsident Alexander Van der Bellen 2019 die Öffentlichkeit noch, als die Ibiza-Affäre ruchbar wurde und in der Folge die Regierung zu Fall brachte. Vor wenigen Tagen musste der gerade wiedergewählte Staatschef nachlegen: „Das darf doch alles nicht wahr sein!“, entrüstete er sich nach Bekanntwerden der Vernehmungsprotokolle des früheren Generalsekretärs im österreichischen Finanzministerium Thomas Schmid. Wie Weltreporter Alexander Musik mit Sitz in Wien schreibt geht es um Korruption und Günstlingswirtschaft in der rechten ÖVP-Regierung unter Ex-Kanzler Sebastian Kurz. Was durch die Aussagen Schmids ans Licht komme, stelle einen „massiven Schaden“ dar, „der an die Substanz unserer Demokratie geht“, so Van der Bellen. Die ÖVP unter Kanzler Karl Nehammer tut sich schwer damit, durch Transparenz und Aufklärungswillen zu überzeugen, um das längst angeschlagene Image seiner Volkspartei zu verbessern. Schon werden Rufe nach Neuwahlen laut.

Im Anschnitt im Vordergrund eine Frau, im Hintergrund ein Redner.
Mitglieder des Vereins "Yerewolo - Debout sur les remparts" machen Stimmung gegen die Vereinten Nationen und den Westen.

Afrika: Demokratie der Eliten oder des Volkes?

Auch in Afrika steht die Demokratie unter Druck. In den vergangenen Monaten haben Militärs in mehreren Ländern geputscht. 2021 gab es Coups in Guinea, Tschad, Sudan und in Mali: Dort hatte das Militär schon 2020 einen gewählten Präsidenten gestürzt. 2022 folgten zwei Coups in Burkina Faso. Zumindest in Mali ist die Zustimmung der Bevölkerung zu den Militärs offenbar groß, wie Bettina Rühl bei ihren Recherchen in Mali beobachtet hat. Ähnlich ist es im benachbarten Burkina Faso. Aber die Sache ist kompliziert: In Mali scheint die Bevölkerung sowohl hinter der Militärregierung zu stehen, als auch eine Demokratie zu befürworten. Was sie ablehnt, ist die „real existierende Demokratie“ der vergangenen Jahre. Die korrupte Elite habe das Volk schon lange nicht mehr vertreten, meinen viele Menschen nicht nur in Mali. Sie wollen eine „richtige“ Demokratie neu aufbauen. Im Tschad haben Ende Oktober Hunderte für eine Rückkehr zur Demokratie demonstriert. Es ist also nicht gesagt, dass die Bevölkerung den Militärcoup widerstandslos tolerieren wird.

Frauen mit Kopftuch halten die rote tunesische Flagge hoch, auf der Flagge in weiß gefasst Halbmond und Stern.
Frauen in Tunesien demonstrieren für den Erhalt der Demokratie.

Tunesien: Wahlen ja, Legimität nein

Nach der neuen Verfassung kommt ein neues Parlament, schreibt Sarah Mersch aus Tunesien: Am 17. Dezember sind die Tunesierïnnen aufgerufen, ihre Abgeordneten zu wählen, nach dann fast anderthalb Jahren ohne Volksvertretung. Bereits beim Referendum über eine neue Verfassung im Juli, ein Jahr nach der Machtübernahme von Präsident Kais Saied, war die Wahlbeteiligung gering. Die politische Opposition hatte zum Boykott aufgerufen, da weder das Verfahren noch der neue Verfassungstext demokratischen Grundsätzen entsprächen. Jetzt gibt es in sieben Wahlkreisen, unter anderem im Auslandswahlkreis Deutschland, keine einzige Kandidatur, in zehn weiteren der insgesamt 161 Wahlkreise nur eine einzige. Die demokratische Legitimität des zunehmend autoritären Systems in Tunesien werden diese Wahlen also kaum stärken.

Brasilien: Zaghaftes Aufatmen nach Präsidentschaftswahl

Bei der Präsidentschaftswahl in Brasilien hat die Demokratie im Oktober noch einmal knapp die Oberhand gewonnen. Weltreporterin Christine Wollowski schilderte den Jubel in der Nacht des 30. Oktober, als in Brasilien Millionen von Menschen den Sieg von Herausforderer Luis Inácio Lula da Silva gegen den amtierenden Präsidenten Jair Bolsonaro feierten. Der Jubel der Massen habe ihrem Favoriten gegolten, aber mehr noch dem Sieg der Demokratie. Die Militärdiktatur ist in Brasilien vor kaum 40 Jahren zu Ende gegangen und schien in den vergangenen Tagen wieder bedrohlich nah. Der ehemalige Abgeordnete Roberto Jefferson ging mit Granaten und Gewehren auf Polizisten los, die ihn festnehmen sollten. Die Abgeordnete Carla Zambelli griff bewaffnet einen Journalisten an, der sie lediglich beschimpft hatte. Auch in kleinen Orten war der steigende Druck spürbar: Lokalpolitiker drohten öffentlichen Angestellten mit Entlassungen oder boten Geld an, um deren Wahl zu beeinflussen. Bolsonaro isolierte sich nach der Niederlage und vermeidet es bisher, den Namen des Wahlsiegers zu nennen. Seine Regierungszeit hinterlässt ein tief gespaltenes Land, in dem beinahe 50 Millionen Menschen die autokratischen Ideen des Verlierers gutheißen.

Mexikos Staatschef: paternalistisch, eigenwillig, populär

Von Brasilien aus weiter nördlich, in Mexiko, setzt Andrés Manuel López Obrador die Demokratie auf seine Weise unter Druck. Weltreporter Wolf-Dieter Vogel, der aus Oaxaca berichtet, hat immer wieder beobachtet, wie Obrador kritische Medienschaffende, Aktivisten und Feministinnen beschimpft. Darüber hinaus setzt der Staatschef das Militär zunehmend für zivile Aufgaben ein und platziert auf Regierungsämtern Politikerïnnen, die ihm treu ergeben sind. Mexikos Präsident sei nicht dafür bekannt, dass er Macht gerne aus der Hand gibt, und unter Insidern gilt er als beratungsresistent. Der mit dem Label „links“ versehene Staatschef setzt auf den paternalistischen Staat, der für soziale Sicherheit und Auskommen seiner Bürgerinnen und Bürger sorgt. Seine Überzeugung: „Ich bin das Volk.“ Zwar ist nicht zu befürchten, dass seine Regierung demokratische Rechte einschränkt, doch die starke Zivilgesellschaft, die für demokratische Prozesse und Eigenverantwortung eintritt, ist ihm ein Dorn im Auge. Seiner Beliebtheit schadet diese Haltung nicht: Mehr als 60 Prozent der Bevölkerung stehen hinter ihrem Präsidenten.

Irak: Neue Regierung mit alter Garde

Mehr als ein Jahr nach den Parlamentswahlen hat der Irak eine neue Regierung. Man kann auch sagen, eine neue alte Regierung. Denn im Kabinett sitzen altbekannte Politiker, die schon seit Jahren den Irak regieren, ihn ausbeuten und Massen von jungen Menschen auf die Straßen getrieben haben, schreibt Birgit Svensson aus Bagdad. Die Protestbewegung von 2019/2020 habe es zumindest geschafft, den Rücktritt der damaligen Regierung zu bewirken, ein neues Wahlgesetz zu verabschieden und Neuwahlen zu erzwingen. Weiter sind die Reformen laut Svensson nicht gegangen. Hunderte von Demonstranten wurden getötet, bedroht, gekidnappt oder außer Landes getrieben. Ein erbitterter Kampf zwischen Reformern und Bewahrern tobte. Auch die Wiederbelebung der Proteste nach dem Ende der Pandemie im Oktober brachte nicht die Wende, die notwendig wäre, um den Irak auf dem Weg in die Demokratie ein weiteres Stück voranzubringen. Im Moment herrsche also Stillstand.

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