Algerien: Zwischen Repressionen, verkrusteten Strukturen und der Suche nach regionaler Stabilität

Afrikas größer Flächenstaat zwischen innenpolitischen und geostrategischen Herausforderungen

vom Recherche-Kollektiv Afrika-Reporter:
11 Minuten
Demonstranten in einer engen Straße in Algier schwenken große algerische Fahnen. Im Hintergrund ist ein arabischsprachiges Transparent zu sehen.

Die Bilder, die am 2. April 2019 über die algerischen Bildschirme flimmerten, hatten etwas Surreales: Der algerische Fernsehsender Ennahar TV zeigte, wie der 82-jährige Präsident Abdelaziz Bouteflika dem Vorsitzenden des Verfassungsgerichts sein Rücktrittsgesuch überreicht: schweigend, mit zittriger Hand, im Rollstuhl sitzend. Bouteflika hatte Algerien zwanzig Jahre lang regiert – die letzten sechs Jahre nach mehreren Schlaganfällen massiv gesundheitlich angeschlagen.

Wenige Minuten nach dem Rücktritt strömten die Menschen auf die Straßen, um zu feiern. In der Hauptstadt Algier sammelten sie sich wie immer auf dem großen Platz vor der Hauptpost, dem Epizentrum der Proteste, die das Land seit Ende Februar 2019 erschüttert hatten. Für die Demonstranten war der Rücktritt des inzwischen verstorbenen Bouteflika ein wichtiger Etappensieg. Wochenlang hatte der sogenannte Hirak damals jede Woche demonstriert – die unparteiische Bürgerbewegung, der sich landesweit viele Studenten, aber auch Menschen aus allen anderen Alters- und Gesellschaftsschichten angeschlossen hatten. Regelmäßig gingen Hunderttausende gemeinsam auf die Straße, nachdem Bouteflika, der seit dem Ende des Bürgerkriegs an der Macht war, angekündigt hatte, erneut fürs Präsidentenamt zu kandidieren.

„Beunruhigende Rückschritte“

Doch als sie schließlich seinen Rücktritt erreichten, mischten sich in die Freude schnell weitere Forderungen. Bouteflikas Abgang alleine reiche nicht, solange die verkrusteten Herrschaftsstrukturen nicht aufgebrochen und das Schattenregime der Generäle weiterhin an der Macht seien. Heute, mehr als vier Jahre später, habe sich die Situation nicht verbessert, sondern sogar noch verschärft, beklagt Said Salhi, Zweiter Vorsitzender der algerischen Menschenrechtsliga. „Trotz aller Hoffnung auf einen Wandel, trotz aller Erwartungen, die die Mehrheit des algerischen Volkes auf der Straße geäußert hat, verschlechtert sich die Situation leider immer weiter.“ Der erhoffte Wandel habe nicht stattgefunden. „Schlimmer noch: Wir haben seitdem einen wirklich beunruhigenden Rückschritt erlebt in Hinblick auf Rechte, Freiheiten und zivile Handlungsräume.“

Denn der heutige algerische Präsident Abdelmajid Tebboune steht gerade nicht für die Veränderung, die die Demonstranten forderten. Tebboune, ein Eigengewächs des Systems, der schon mehrfach Ministerämter inne hatte, hatte Ende 2019 die Präsidentschaftswahlen gewonnen, die seit den Protesten mehrfach verschoben worden waren. Offiziell beteiligten sich nicht einmal vierzig Prozent der Wahlberechtigten. Auch das Verfassungsreferendum im Herbst 2020 wurde von weiten Teilen der Bevölkerung boykottiert. Der vom Regime verkündete Neuanfang spiegelt sich in der Verfassung kaum wider.

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