Warum Selbstzweifel mutig machen

Der Zweifel ist mein ständiger Begleiter. Nie fühle ich mich zufrieden oder glaube, etwas Gutes geschafft zu haben. Die Angst vor Zurückweisung nagt an mir, sie verlässt mich nie. Hier möchte ich erzählen, wie ich ihr einmal die lange Nase gezeigt habe.

37 Minuten
Selbstzweifel gehören dazu. Der Weg zum Erfolg ist nicht leicht.

Ich habe einen Roman geschrieben, zusammen mit einem Freund. Doch schnell habe ich gemerkt: Mit dem Schreiben allein ist es nicht getan. Der Weg zum Buch ist damit noch lange nicht zu Ende. Sowohl das Schreiben als auch alles, was danach kommt, ist vielmehr ein perfektes Einfallstor für Selbstzweifel. Zweifel piesacken mich schon, so lange ich denken kann. Doch mein Roman eröffnete mir auch die Chance, dem Zwillingsbruder des Selbstzweifels ins Auge zu schauen: meinem Perfektionismus.

Als Autor kann man alles auf eine Karte setzen und die Mühen, ein Buch zu publizieren, selbst in die Hand nehmen. Um diesen Weg zu finanzieren, gibt es das Konzept des Crowdfunding: Viele Unterstützer kommen auf einer Plattform zusammen, um einem Projekt Leben einzuhauchen, das sonst das Licht der Welt nie erblicken würde. Soweit die Theorie. In der Praxis sieht es oft anders aus. Selbst wenn man eine Kampagne startet, heißt das noch lange nicht, dass sich Förderer finden, die einem helfen, genug Geld zusammenzubringen.

Das größte Hindernis dabei: Die Angst vor Ablehnung, gepaart mit Perfektionismus. Diese Paarung ist der perfekte Nährboden für zwei Gedanken, die die innere Bremse bis zum Anschlag durchtreten: Erstens findet sich bestimmt jemand, der sich von meinem Projekt gestört fühlt, zweitens sind die Leser Fachleute und sehen in meinem Buch sofort die Schwachstellen.Diese Gedanken tauchten in dem Moment auf, als ich es wagte, mein Buch anderen zu zeigen. Und sie ließen sich nicht einfach so abstellen.

Vielleicht ist das aber auch ganz normal? James N. Frey lehrte Schreiben in den USA. Er riet vehement davon ab, anderen Menschen von einem Romanprojekt zu erzählen. In seinem Buch „Wie man einen verdammt guten Roman schreibt“ berichtet er von Autoren, die zur Lüge greifen, wenn sie auf ihren Roman angesprochen werden – und damit gute Erfahrungen machen. Frey ist überzeugt von der Strategie: „Sagen Sie, Sie schreiben ein Sachbuch. Das geht. Ihre Freunde werden beeindruckt sein. Sachbücher zu schreiben ist okay. Sachbuchautoren gelten als Menschen, die mit beiden Beinen auf dem Boden stehen. Niemand wird bezweifeln, dass ihr Vorhaben von Erfolg gekrönt sein wird“.

Auf in die Arena

Ich hielt mich nicht an Freys Rat. Bevor es mit dem Crowdfunding losging, zeigte ich das Manuskript einem meiner besten Freunde. Zu meiner Überraschung las er es sogar. Als ich das Buch von ihm zurück bekam, gestand er mir, dass er es nur angefangen hatte zu lesen, weil wir Freunde waren. Aber dann hätte es sich als eine so spannende Geschichte entpuppt, dass er sich die Mühe machte und Anmerkungen hinterließ. Sofort meldete sich meine Urangst und mein innerer Perfektionist entlarvte sein Feedback als gut geschminkte Lüge. Ich unterstellte ihm, dass er in Wahrheit dachte: „Wenn ich nett zu Björn bin, werden wir Freunde bleiben.“ Das nahm ich ihm noch nicht mal übel. Und machte sogar weiter.

Auf einer Feier präsentierte ich das Buch einigen Freunden und bat sie um ihre Meinung. Dabei fochten in meinem Innersten meine Ängste Schlachten mit dem finnischen Teil meines Charakters aus: der Sturheit. Die Sturheit gewann. „Scheiß drauf“, dachte ich mir „was genau habe ich denn zu verlieren?“ In Gedanken badete ich in Eiswasser und härtete mich ab, wie meine Vorfahren in einem der vielen finnischen Waldseen.

Nun war ich bereit fürs Crowdfunding. Dachte ich. Die US-amerikanische Autorin Brené Brown nennt diesen Schritt „in die Arena gehen“. Ich war wild entschlossen, den Kampf aufzunehmen. Und was soll ich sagen? Es war gut.

Ich startete eine Kampagne und probierte dabei viele verschiedene Varianten aus, mit denen ich die Leute ansprach. Es klappte und brachte mir eine Unmenge an Kontakten. Ich sah mir die Zahlen an und bekam langsam ein Gefühl dafür, auf welchen Kanälen welche Ansprache besser oder schlechter funktionierte. Die Anzahl an Unterstützern wuchs Tag für Tag. In gleichem Maße wuchs mein Mut. Mein Selbstvertrauen bekam einen gehörigen Schub. Das alles trug mich über die Ziellinie. Geschafft: mein Buch kann gedruckt werden!

Mein bester Freund rührte gegen Ende der Kampagne übrigens heftig die Trommel. Auf den letzten Metern brachte mir das noch eine Menge Unterstützung ein. Das rührt mich. Immer noch. Die vielen Anmerkungen, die er mit Bleistift im Mansukript hinterlassen hatte, arbeitete ich in drei Tagen ein. Seine Korrekturen waren aufwendig und extrem hilfreich, denn er fand Logikfehler, die sogar unser professionelles Lektorat übersehen hatte. Ich bedankte mich überschwänglich in einer E-Mail bei ihm.

„Dein Buch darf auf keinen Fall in der Schublade enden“, sagte er, als wir uns einige Tage später trafen. Es machte mich ein wenig traurig, dass ich mich so hart hatte machen wollen, um all die Ablehnung zu ertragen, mit der ich rechnete.

Was ich in der Arena gelernt habe

Perfektionismus gilt als ein Übel, von dem die meisten Menschen befallen sind . Die Forscher Paul L. Hewitt und Gordon L. Flett haben ein ein Drei-Facetten-Modell entwickelt, das drei verschiedene Arten von Perfektionismus definiert. Das Drei-Facetten-Modell dreht sich:

  1. um den selbstorientierten Perfektionismus: („ich muss perfekt sein“),
  2. den sozial vorgeschriebenen Perfektionismus: ( „die anderen erwarten das von mir“)
  3. und den fremdorientierten Perfektionismus: („andere müssen perfekt sein“)

Die Forscher sagen, es gebe eine Konstante, die alle Perfektionist*innen verbindet. Die Wurzel des Übels liege in der quälenden Unsicherheit, dass wir allen Bemühungen zum Trotz nie gut genug sind.

Die Angst, innere Schwächen zu zeigen, ist angesichts der allgegenwärtigen Hochleistungskultur heute größer als jemals zuvor. Leistungszwang und Schönheitsideal sind das Ergebnis der Bilder, die wir in den Medien konsumieren und leicht leiten sie uns in die Irre. Nur mit Mut können wir uns dem entgegenstellen und die Angst ertragen, dass wir es nicht jedem recht machen können. Ein perfektes Buch abzuliefern ist genauso wenig möglich, wie ein perfekter Film oder ein perfekter Bühnenauftritt.

Es ist schwer, sich einzugestehen, dass das Scheitern mit dazu gehört. Scheitern ist ein wichtiger Bestandteil von innerem Wachstum. Natürlich hat die Angst auch eine wichtige Aufgabe. Sie lässt uns aufmerksamer sein, sie schärft unsere Sinne – besonders, wenn wir Risiken eingehen. Wenn wir uns von ihr den Mut nehmen lassen, bringt sie uns jedoch um das Schöne im Leben. Und um die guten Gefühle, die damit einhergehen, wenn man etwas fertig gestellt hat.

Deswegen freue ich mich jetzt doppelt auf den Moment, wenn ich meinen Roman in den Händen halten werde.