Entropie – so hat das Streben des Universums nach Ausgewogenheit seine Entsprechung im Leben.

Was ich aus der Physik über den kreative Prozess gelernt habe.

10 Minuten
Blick in ein schillerndes Universum voller Galaxien und Sterne.

Ausgewogenheit war für mich ein Begriff, aus dem ich erst nicht schlau wurde, der in meinem Leben aber zunehmend mehr Sinn ergab. Als Fotograf hatte ich irgendwann verstanden, dass eine Bildkomposition ausgewogen zu sein hat, um ein gutes Bild zu ergeben. Ich suchte in der Menge der von mir gemachten Fotografien stets nach dem einen Bild, in dem alle Elemente stimmten und am richtigen Platz lagen. Darin wurde ich immer besser. Doch die Erkenntnis über das ausgeglichene Verhältnis der Dinge reifte in mir weiter. Ich suchte danach in der Musik, beim Schreiben, im Leben, in der Partnerschaft. Im Gespräch mit der Physikerin Sabine Hossenfelder, die mir das Universum erklärte, fiel sie mir zum ersten Mal direkt vor die Füße.

Viele Fotos in einem Foto-Editor
Die Suche nach Ausgewogenheit in der Fotografie

Ich traf die Physikerin für ein Interview über ihr Buch „Mehr als Atome“. Sorgfältig hatte ich mir Fragen zurechtgelegt, nachdem ich ihr Buch gelesen hatte. Physik hatte ich zwar im Abitur gehabt, aber ein mathematisch-logisches Verständnis hatte mir das Universum der Schule vorenthalten. Ich war immer eher der visuelle Typ, dem Zahlen fremd blieben. Dennoch wollte ich Sabine Hossenfelder nicht enttäuschen. Bei der Vorbereitung auf unser Gespräch gab ich mir alle Mühe. Und dabei stieß ich auf den Begriff der Entropie. Man könnte Entropie bezeichnen als ein Maß für Unordnung. Aber da Unordnung kein definierter physikalischer Begriff ist, ist es besser, man begreift die Entropie als ein objektives Maß für die Menge an Information, die benötigt würde, um von einem Zustand in einen anderen zu gelangen.

Entropie ist wie ein Zustand, der sich erklären lässt wie ein Kuchenteig.

Inmitten des Buches verwies die Autorin auf den wissenschaftlichen Beleg, dass Ausgewogenheit nicht nur existierte, sondern dass das Universum danach strebte. Doch während die Physikerin das Thema „Entropie“ mit einer Portion Schrecken betrachtete, da diese verantwortlich sei, dass wir am Ende unseres Lebens den Tod erleiden, empfand ich Erleichterung. Eine Corona-Erkrankung diente der Wissenschaftlerin als Beispiel dafür, wie die Entropie uns zusetzt. Der junge Körper ist dabei widerstandsfähiger als der alte. Letzten Endes sind es die vielen kleinen Blessuren, die wir im Leben davontragen, die dafür verantwortlich sind, dass der Körper immer länger braucht, um sich von diesen Verletzungen zu erholen. Je älter der menschliche Leib wird, desto weniger Widerstandskräfte hat er gegen Krankheiten wie Demenz, Krebs oder den Angriff durch Viren. Am Ende müssen wir sterben.

Faszinierender fand ich den Gedanken, Entropie zu verstehen als einen Zustand, der sich erklären lässt wie ein Kuchenteig. Stellen Sie sich das vor: Sie wollen einen Kuchen backen. Dazu benötigen Sie Ingredienzien. Die stehen in einem Rezept. Sagen wir mal, es kommen dann Zucker, Mehl, Eier und andere Zutaten in einen Topf. Das Rezept gibt das Mischungsverhältnis vor. Es nachzubacken, ist der sicherste Weg, denn er ist bewährt. Schon die Großmutter hat es so gemacht. Somit ist das Backrezept eine Art Schatz voller Wissen. Ein anderes Mischungsverhältnis auszuprobieren ist vollkommen unnötig und führt nicht selten zu Frustration. Halten wir uns daran, gelingt der Kuchen.

Sind alle Zutaten im Topf, fehlt ein wichtiges Element. Die Wissenschaftlerin erklärt es so: „Mischen würden sich Eier, Mehl und Zucker auch von selber, es würde alleine aber sehr lange dauern, vielleicht sogar Millionen Jahre. Wenn die Zutaten bis dahin nicht schlecht geworden sind.“ Was man benötigt, ist ein Zeitverstärker, bekannt unter dem Begriff Mixer. Er mischt die einzelnen Teile so lange, bis der Teig die richtige Konsistenz hat. Dann kann man aufhören zu rühren: ein längerer Einsatz des Mixers würde nichts bringen, der Kuchenteig würde nicht fertiger werden. Das bestätigt jeder, der schon einmal Kuchen gebacken hat. Und hier kommen wir an den entscheidenden Punkt: die Entropie.