Die Asphaltknackerinnen: „Wir sind die Cheerleaderinnen fürs klimafreundliche Parken“

Aus Grau mach Grün: Zwei Schweizerinnen brechen versiegelte Flächen auf und ersetzen sie durch pflanzen- und insektenfreundliche Kies- und Sandbeläge

vom Recherche-Kollektiv Busy Streets:
5 Minuten
Zwei Frauen und zwei Männer stehen auf Asphaltbrocken vor einem Bagger

Presslufthammer finden Isabella Sedivy und Bettina Walch richtig gut. Zehnmal haben sie damit in den vergangenen anderthalb Jahren in und um Zürich Asphaltdecken von Parkplätzen und Zufahrtswegen geknackt. Der Moment, wenn die armdicke Teerdecke bricht und heller Boden im Untergrund sichtbar wird, ist für die beiden Journalistinnen jedes Mal ein besonderer. „Ein versiegelter Boden kann nicht atmen, er ist tot“, sagt Bettina Walch. Mit ihrem Projekt „Asphaltknackerinnen“ helfen sie, private Parkplätze oder Innenhöfe zu entsiegeln. Die meisten der Flächen haben jahrzehntelang keinen Platz zum Leben geboten.

Versiegelte Flächen aus Beton und Asphalt gibt es zuhauf in den Städten. In Deutschland sind etwa 44 Prozent der Siedlungsfläche versiegelt. In Schweizer Ortschaften mit mehr als 10.000 Einwohnern sind es sogar 64 Prozent. Spätestens seit der Klimawandel deutlich spürbar wird, bereitet das den Stadtbewohnerïnnen Schwierigkeiten. An warmen Sommertagen heizt sich der Asphalt stark auf und gibt die Hitze bis spät in die Nacht ab. Bei Starkregen kommt es zu Überschwemmungen, weil der Regen nicht versickern kann. Der Regierungsrat des Kantons Zürich will deshalb mit jedem Bauvorhaben auch grüne und blaue Infrastruktur in die Zentren bringen, also Wasserläufe, Pflanzen und Bäume.

Der Hitze trotzen

Isabella Sedivy und Bettina Walch reicht das nicht. Sie gehen einen Schritt weiter. Sie knacken den Straßenbelag von privaten Parkplätzen, Innenhöfen, kleinen Zufahrtsstraßen oder Firmenareale von Unternehmen und ersetzen ihn durch klimaangepasste Beläge. „Wir nehmen niemanden den Parkplatz weg, wir entsiegeln ihn nur“, betont Isabella Sedivy. Autos, Fahrräder und schwere Fahrzeuge können die Flächen nach wie vor befahren oder auf ihnen parken. Der Unterschied ist: Der neue Belag kann mehr als der alte.

Über 90 Prozent aller Parkplätze könnten entsiegelt werden.

Isabella Sedivy

In den neuen Oberflächen aus Sand, Splitt und Schotter kann das Regenwasser leicht versickern und es können auch Pflanzen wachsen. Das verbessert das Mikroklima vor Ort. „Durchlässige Böden sind an heißen Sommertagen um die 25 Grad kühler als asphaltierte“, sagt Bettina Walch. Das steigert die Lebensqualität von Tieren und Menschen im Sommer. Außerdem finden bedrohte Insekten wie erdnistende Wildbienen in den kargen Böden einen neuen Lebensraum. Für die Biologin Isabella Sedivy ist das ein wichtiges Argument fürs Entsiegeln: „Die Zahl der Fluginsekten in deutschen Naturschutzgebieten ist in den vergangenen 30 Jahren um 75 Prozent gesunken“, sagt die Biologin. Umso schlimmer sei es vermutlich auf den vielen Flächen außerhalb der Schutzgebiete.

Unversiegelte Parkplätze waren Standard

Wenn Isabella Sedivy in der Stadt oder auf dem Land unterwegs ist, sieht sie unzählige Flächen, die unnötigerweise versiegelt sind. „Über 90 Prozent aller Parkplätze könnten entsiegelt werden“, sagt sie, das gelte für öffentliche wie auch für private Grundstücke. Warum sie versiegelt werden? „Weil Asphalt praktisch ist, lange haltbar, leicht zu reinigen und man sich dran gewöhnt hat, alles bis zur Hauswand zu versiegeln“, sagt sie. Ein klimafreundlicher Parkplatz sehe anders aus, wilder, weil dort auch Gras und Pflanzen wachsen. „Aber die Parkplätze mit natürlichen Belägen oder Rasengittersteinen halten ebenfalls lange“, sagt die Biologin. Sie sind keine neue Erfindung von Naturschützern. Sie waren jahrzehntelang Standard, bevor das Versiegeln Mode wurde.

Tote Bereiche in der Stadt wiederbeleben

Den Trend zum Asphalt wollen die Frauen brechen. Kennengelernt haben sie sich 2019 beim Projekt Mission B. Die Initiative des Schweizer Radio- und Fernsehsender (SRF) wollte Menschen zum Thema Biodiversität sensibilisieren und hat Menschen, Unternehmen sowie Gemeinden vorgestellt, die das machen, was die beiden heute tun: Tote Bereiche in der Stadt und auf dem Land für Pflanzen und Tiere wiederbeleben.

Rotweißes Flatterband trennt die asphaltierte Fläche zum Parken von der asphaltierten Restfläche.
Vorher: Viele Flächen am Rand von Parkplätzen werden versiegelt.
Eine Frau hockt in einem Beet am Straßenrand und steckt ein Pflanze ins Erdreich
Nachher: Die neue Fläche aus Kies und Erde wird bepflanzt und bietet Insekten einen neuen Lebensraum.

Sie leisten Hilfestellung beim Asphaltknacken

Als das Projekt planmäßig nach eineinhalb Jahren endete, wollten Isabella Sedivy und Bettina Walch selbst anpacken und andere ermutigen, ebenfalls aktiv zu werden. Die Idee ließ sie nicht los. Neben ihrer Arbeit als Journalistinnen gründeten sie ein Umweltkommunikationsbüro und beraten seitdem im Rahmen ihres Projekts „Asphaltknackerinnen“ Privatleute und Firmeneigentümer. „Wir sind die Cheerleaderinnen fürs klimafreundliche Parken“, sagt Bettina Walch lachend. Die beiden Frauen machen es ihren Auftraggebern leicht. Sie übernehmen die Erstberatung, stellen den Kontakt zu den Gartenbauunternehmen her, koordinieren den Umbau und übernehmen die Kosten für das Recyceln und den Abtransport von Beton und Asphalt.

Was passiert, wenn der Asphalt weg ist?

Mit ihrer Hilfe wurden in den vergangenen Jahren rund 1200 Quadratmeter entsiegelt. Rund 21.000 Euro hat die Entsorgung der alten Beläge gekostet. Möglich macht das ein Preisgeld in Höhe von 70.000 Franken (rund 74.000 Euro), dass die „Asphaltknackerinnen“ bei «Für Züri», der Jubiläumsdividende der Zürcher Kantonalbankgewonnen haben. Die Umgestaltung der Fläche durch die Gartenbaufirma zahlen die Kunden. Je nach Aufwand und Belag fielen dafür in den zehn Projekten zwischen 75 oder 290 Euro pro Quadratmeter an.

Grünpflanzen wachsen in den freien Flächen der Rasengittersteine
Rasengittersteine sind gut fürs Klima. Hier kann das Regenwasser versickern.

Ein funktionierendes Ökosystem ist die Basis unseres Wirtschaftssystems.



Bettina Walch

Wichtiger als der finanzielle Anreiz für ihre Auftraggeber ist aus Sicht der Asphaltknackerinnen die Kommunikation. „Die Leute sorgen sich, was an Schäden passieren könnte, wenn der Asphalt weg ist“, sagt Bettina Walch. Die Angst sei nicht gerechtfertigt. Mit viel Regen komme der Boden klar und Schnee könne weggeschaufelt werden, sagt sie. Ein Hinweis, dass es ähnliche Parkplätze zwei Straßen weiter in der Nachbarschaft gebe, hilft oft weiter.

Entsiegeln schafft neue Lebensräume

Zehn Projekte haben die beiden Frauen inzwischen umgesetzt. Ihr bislang größtes Projekt ist der Umbau eines Parkplatzes in der Größe von zwei Tennisplätzen der Schweizerischen Bundesbahnen (SBB). Für sie ist entscheidend, die biologische Vielfalt zu erhalten. „Wenn es den Insekten schlecht geht, geht es auch uns schlecht“, sagt Bettina Walch. „Jeder Quadratmeter zählt.“ Sie erlebten es immer wieder. Nach dem Bepflanzen einer zuvor tote Zone seien nur wenige Tage später Dutzende Insekten da und inspizierten den neuen Lebensraum.

Entsiegeln als Vorsorge und Bestandsschutz

„Ein funktionierendes Ökosystem ist die Basis unseres Wirtschaftssystems“, sagt Walch. Das haben unter anderem die verheerenden Überschwemmungen im Sommer 2021 in Deutschland vom Ahrtal bis ins südliche Ruhrgebiet gezeigt. Das Bewusstsein, dass Entsiegeln eine wichtige Rolle spielt, um die Auswirkungen der Klimaerwärmung abzupuffern, ist in vielen Städten vorhanden. Die Stadtregierungen in Bremen, Hannover, Osnabrück und anderen unterstützen Privatleute beim Entsiegeln ihrer privaten Flächen. Laut der Sprecherin der Bremer Umweltsenatorin fördert die Hansestadt die Entsiegelung mit durchschnittlich 20 Euro pro Quadratmeter. In den vergangenen Jahren wurden so rund 150 Quadratmeter in Bremen entsiegelt.

Weiteres Versiegeln von Flächen stoppen

Jede und jeder kann auf seinem Grundstück etwas unternehmen, sagen die Asphaltknackerinnen. Wichtig ist ihnen, dass das Umdenken bereits bei den Stadt- und Verkehrsplanerïnnen beginnt. Bettina Walch sagt: „Was wir tun, ist ja bloß die zweitbeste Lösung. Am besten ist es, von Anfang an, möglichst wenig Flächen neu zu betonieren oder zu asphaltieren.

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