Das Merkel-Lexikon: Von Sauer über Schlafen und Stammzellforschung bis Syrien

94 Minuten
Ihr Markenzeichen ist die Raute: Angela Merkel

Sanktionen

Merkel ist ein Fan dieses Instruments, um unwillige Regierungen mit Hilfe internationaler Sanktionen vor allem im wirtschaftlichen Bereich zum Einlenken zu bewegen – gerade weil sie den Einsatz von Militär meist skeptisch sieht. „Wir sagen, das ist Fortschritt, dass wir im 21. Jahrhundert in Europa Konflikte nicht militärisch lösen. Nur muss man sich fragen, was tut man dann? Einfach Schwamm drüber? Was haben wir an Mitteln? Man kann nicht einfach zur Tagesordnung übergehen“, sagte sie mit Blick auf die russische Annexion der Krim.[1] Wie ernst ihr diese Sanktions-Option ist, hat sie zur Verärgerung einiger deutscher Firmen etwa in den Fällen Iran und Russland gezeigt. Merkel gehört also in die Phalanx deutscher Kanzler, die auf „Wandel durch Handel“ setzen – aber eben auch auf „Wandel durch Nicht-Handel“. „Die Frage ist immer: was kostet uns das Nichthandeln?“, sagte sie 2010 in Bezug auf das iranische Atomprogramm. Diese Haltung hatte auch die SPD geteilt. Bei den Sanktionen gegen Russland dagegen gab und gibt es graduelle Differenzen mit der SPD.

An dieser Position hat sich seit der schrittweisen Verschärfung der Sanktionen 2014 nichts geändert. „Wir verhängen wirtschaftliche Sanktionen gegen Russland, soweit und solange sie notwendig sind. Das Ziel dieses Ansatzes – nichts davon ist Selbstzweck – ist eine souveräne und territorial unversehrte Ukraine, die über ihre Zukunft selbstbestimmt entscheiden kann“, betonte Merkel.[2] Sie warnte die Firmen, nicht zu kurzfristig zu denken: „Gerade den Stimmen in der deutschen Wirtschaft, die zweifeln, ob es richtig ist, Sanktionen zu verhängen, kann ich immer wieder nur sagen, dass auch wirtschaftlicher Erfolg abhängig ist von verlässlichen politischen Rahmenbedingungen.“[3] An dieser Position hielt sie weiter fest und sorgte zusammen mit dem französischen Präsidenten im halbjährlichen Rhythmus dafür, dass die EU-Sanktionen gegen Russland verlängert wurden. „Wir haben festgestellt, dass keine Voraussetzungen gegeben sind, um die Sanktionen aufzuheben oder zu erleichtern“, sagte sie etwa im Dezember 2018.[4]

Angesichts der unilateralen Politik von US-Politik Trump warnte sie aber, dass USA und Europäer gemeinsam agieren müssten. Es sei ihre “herzliche Bitte“, neue Sanktionen etwa wegen der russischen Blockade der Straße von Kertsch im Nordosten des Schwarzen Meeres abzusprechen. „Wir haben nichts davon, wenn jeder seine eigenen Sanktionen entwickelt“, betonte sie.[5]

Als im Juni 2019 gleich mehrere Ministerpräsidenten die Russlands-Sanktionen infrage stellten, blieb Merkel entschieden. „Wir sind uns darüber einig, dass die Sanktionen nicht aufgehoben werden können, solange hierbei keine Fortschritte erzielt worden sind, und dass auch die Sanktionen im Zusammenhang mit der Krim nur aufgehoben werden können, wenn die Krim wieder zur Ukraine zurückkehrt“, sagte sie in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj.[6]

Sie würde sich ja freuen, sagen zu können, dass die Gründe für die Sanktionen weggefallen seien, sagte sie zu Schülern. Aber man könne nicht einfach geschehen lassen, dass sich ein Land in Europa einfach ein Stück Land wegnimmt. „Ich sage das jedem Ministerpräsidenten. Ehrlich gesagt haben wir eine Arbeitsteilung: Außenpolitik wird von der Bundesregierung gemacht.“[7]

  • [1] Merkel in der Robert-Jungk-Schule in Berlin, 31. März 2014.
  • [2] Merkel-Rede zur Entgegennahme der Wilhelm-Leuschner-Medaille in Wiesbaden, 28. November 2014.
  • [3] Merkel-Interview, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16. Januar 2015.
  • [4] Merkel in der Pressekonferenz nach dem Ende des EU-Gipfels in Brüssel, 14. Dezember 2018.
  • [5] Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz, 16. Februar 2019.
  • [6] Pressekonferenz mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskji, 18. Juni 2019.
  • [7] Diskussion mit Schülern in Goslar, 20, Juni 2019.

Sarkozy, Nicolas

Nicolas Sarkozy hat einen erheblichen Teil der Kanzlerschaft von Angela Merkel mitgeprägt – im positiven wie im negativen Sinne. Sprunghaft, leidenschaftlich und eitel bildete er einen echten Gegenpart zu Merkel, der im Gegensatz zu der in Privatangelegenheiten sehr verschlossenen Kanzlerin auch seine Liebesbeziehung zu der Sängerin Carla Bruni in aller Öffentlichkeit zelebrierte. Mit Sarkozy verband sie aber zum einen die Mitgliedschaft in der konservativen europäischen Parteienfamilie EVP und eine Leidenschaft für die EU. Zum anderen kamen beide als Außenseiter in die zentrale Machtposition.[1] Sarkozy hatte zudem Gespür für große symbolische Gesten: Am 11. November 2009 lud er Merkel als erste Bundeskanzlerin ein, an den Feierlichkeiten zur Erinnerung an das Ende des Ersten Weltkriegs in Paris teilzunehmen.

Ein Dauerärgernis waren wiederholte Berichte aus Paris über angebliche französisch-deutsche Initiativen, die sich oft als reine französische Wünsche herausstellten. Beim Treffen in Deauville in der Normandie 2010 sorgte vor allem Sarkozy dafür, dass beide mit überraschend präsentierten eigenen Vorstellungen zur Reform des Stabilitätspaktes den Rest Europas verprellten.[2] Im Präsidentschaftswahlkampf 2012 hatte Sarkozy dann erst den Wunsch, dass ihm die Konservative Merkel im Wahlkampf gegen den Sozialisten François Hollande helfen sollte. Als ein gemeinsamer TV-Auftritt im französischen Fernsehen laut Umfragen in die Hose ging, stoppte Sarkozy Auftritte mit Merkel aber wieder. Sehr kritisch sah sie seine militärische Intervention in Libyen 2011 (s. Libyen) sowie das Ausbleiben der von ihm versprochenen Strukturreformen in Frankreich. In der Euro-Politik drückte er die Rettung französischer Banken durch, scheiterte aber mit der Einführung von Euro-Bonds (s. Euro-Bonds).

Der Unterhaltungswert in den Beziehungen des Duos war hoch, auch wenn damals schon von einem schlechten Verhältnis zwischen Berlin und Paris geschrieben wurde. Sarkozy versuchte dies bei der Laudatio für Merkel bei der Verleihung des Karlspreises 2008 wett zu machen, indem er in höchsten Tönen von der Kanzlerin schwärmte, mit der er sich wesentlich besser verstehe, als immer geschrieben werde. Er habe sehr viel von ihr gelernt – unter anderem, „dass Hoffnung nur sehr langsam in Erfüllung geht“.[3] Angeblich hatte sich Merkel von ihrem Mann ein paar DVDs mit Filmen des französischen Komikers Louis de Funès gewünscht – um den hyperaktiven Franzosen besser verstehen zu können. „Irgendwann hat sie dann auch Nicolas Sarkozy erst verstanden und dann im Griff gehabt“, hieß es.[4]

  • [1] Sehr gut über das Verhältnis der beiden: Vgl. Roll, Die Kanzlerin, S. 399 ff.
  • [2] Merkel und Sarkozy in Deauville, 18. Oktober 2010.
  • [3] Laudatio Nicolas Sarkozy am 1. Mai 2008 in Aachen.
  • [4] Vgl. Christoph Schwennicke, Die Glucke der Nation, Cicero, Heft 6/2012.
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