Patientenleitlinien zu Volkskrankheiten: Vorerst nur schwierig zu finden

Bei den Nationalen Versorgungsleitlinien haben die Zuständigkeiten gewechselt. Das beeinflusst aktuell auch informierte Gesundheitsentscheidungen.

vom Recherche-Kollektiv Plan G:
5 Minuten
Ein älterer Mann sitzt vor einem geöffneten Laptop und rauft sich die Haare.

Für die evidenzbasierte patientenorientierte Gesundheitsversorgung war es eine schlechte Nachricht, als im letzten Frühjahr das Aus für das Ärztliche Zentrum für Qualität (ÄZQ) zum Jahresende 2024 bekannt wurde. Das in der Allgemeinbevölkerung recht unbekannte Zentrum hatte eine Schlüsselrolle für die evidenzbasierte Medizin. So fürchteten viele Fachleute, dass mit dem Ende des ÄZQ auch die Nationalen Versorgungsleitlinien (NVL), die koordinierten medizinischen Leitlinien für wichtige Volkskrankheiten, vor dem Aus stehen. Für Patient:innen wäre das auch deshalb problematisch gewesen, weil zu den NVL gut verständliche Patienteninformationen gehören.

Jetzt steht offiziell fest, dass es eine Lösung für die NVL gibt: Wie bereits im letzten Jahr gemutmaßt wurde, ist die Arbeit künftig am Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi) angesiedelt. Für Patient:innen ist das eine gute Nachricht. Trotzdem gibt es einen Pferdefuß: Denn die Patienteninformationen aus den NVL sind vorerst nicht so leicht zu finden. Das macht es für Patient:innen schwieriger, sich über Untersuchungen und Behandlungen zu wichtigen Krankheiten zu informieren und informierte Entscheidungen zu treffen. Wo sind die Informationen aktuell „versteckt“?

Wo Patienteninformationen der NVL jetzt zu finden sind

Wie die Pressemitteilung des Zi nahelegt, scheinen derzeit noch nicht alle rechtlichen Fragen gelöst, die sich durch den Übergang der NVL zum Zi ergeben. Das ist nicht nur eine juristische Fußnote, sondern hat auch praktische Konsequenzen für Patient:innen.

Zu den NVL gehören nicht nur die ausführlichen Empfehlungen und Hintergrundinformationen für medizinische Fachleute, sondern auch Patientenleitlinien und Kurzinformationen zu einzelnen Aspekten der jeweiligen Krankheiten. Die waren bisher über das Patientenportal des ÄZQ unter patienten-information.de sowie auf der NVL-Website leitlinien.de zu finden. Bei beiden Websites sind die Inhalte wegen der offenen rechtlichen Fragen aktuell aber nicht erreichbar.

Was die meisten Patient:innen (und Ärzt:innen) nicht wissen dürften: Sie sind trotzdem im Netz verfügbar, allerdings gut versteckt im Leitlinien-Register der AWMF bei den jeweiligen NVL-Texten. Hier gibt es sowohl die Patientenleitlinien als auch Kurzinformationen und Entscheidungshilfen.

Auf patienten-information.de waren bis Ende 2024 jedoch auch verlässliche Gesundheitsinformationen zu weiteren Themen zu finden, die nicht im Zusammenhang mit den NVL stehen, etwa allgemeine Themen wie der richtige Umgang mit Hitze, zu Krankheiten, zu denen es keine NVL gibt, sowie zu seltenen Erkrankungen oder Gesundheitsinformationen in Einfacher Sprache.

Einige der Informationen sind noch über Websites von Partnerorganisationen des ÄZQ verfügbar, etwa die Allianz Chronischer Seltener Erkrankungen oder Special Olympics. Für andere dagegen müssen Patient:innen das Internet-Archiv bemühen.

Bei allen Gesundheitsinformationen, die nicht zum NVL-Programm gehören, ist zudem nicht damit zu rechnen, dass sie zukünftig aktualisiert werden – das ist ein Verlust.

Leitlinien-Arbeit verzögert sich

Mit der Übernahme durch das Zi sind zwar wichtige Voraussetzungen für den Fortbestand der NVL erfüllt. So leitet eine erfahrene ehemalige ÄZQ-Mitarbeiterin das NVL-Programm. Als Stiftung ist das Zi inhaltlich unabhängig. Auch die Finanzierung scheint zu stehen: Gelder für die NVL stellt die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) bereit, die künftig zusammen mit dem Zi die NVL herausgibt. Finanzielle Unterstützung kommt auch von der Bundesärztekammer sowie der Kassenärztlichen Bundesvereinigung. Für die beiden Organisationen scheint es jetzt billiger zu werden: Der Etat für das NVL-Programm allein liegt bei etwa der Hälfte der Gelder, die den Jahresetat des ÄZQ ausmachten. Davon wurden allerdings auch weitere ÄZQ-Aufgaben finanziert.

Es dürfte auch noch ein bisschen dauern, bis die nächsten Updates der NVL kommen. In der Zi-Pressemitteilung heißt es: „Die Arbeit soll aufgenommen werden, sobald alle rechtlichen Fragen abschließend geklärt sind.“ Heißt: Derzeit liegt die Leitlinien-Arbeit wohl auf Eis.

Was das konkret bedeutet und welche Auswirkungen die Ankündigung der ÄZQ-Schließung wohl auf die laufende Arbeit hatte, zeigt ein Blick in das Leitlinien-Register und in den letzten Tätigkeitsbericht des ÄZQ für das Jahr 2023.

So hatte das Update der NVL Chronische Herzinsuffizienz teilweise bereits 2023 begonnen und sollte bis Ende 2026 beendet sein. Ob sich der Zeitplan angesichts der Unterbrechung halten lässt, ist fraglich. Auch die Arbeiten für die NVL Nicht-spezifischer Kreuzschmerz waren 2024 in vollem Gange, eigentlich sollte das Update Ende März 2025 erscheinen. Daraus wird wohl nichts, im Leitlinien-Register findet sich aktuell nur die Fassung, die bis 2021 gültig war.

Wohl um Vorarbeiten zu retten, haben Mitarbeitende des ÄZQ noch im Dezember 2024 bei einigen NVL Ergänzungen veröffentlicht. So heißt es etwa in einem Zusatzdokument zur NVL Typ-2-Diabetes: „Nach Bekanntgabe der Auflösung des ÄZQ zum 31.12.2024 konnte das Kapitel aufgrund mangelnder Ressourcen nicht mehr in gewohnter Weise mit öffentlicher Konsultation und eingebunden in das Gesamtdokument veröffentlicht werden. Um die Ergebnisse der Arbeit der Leitliniengruppe in eine zitierfähige Form zu bringen, erfolgt die Veröffentlichung als separates Dokument.“

Fazit

Ist bei den NVL alles doch noch gut gegangen? Vieles spricht dafür, dass sich die Leitlinien-Arbeit und die Umstellung der NVL-Website wohl im Laufe des Jahres zurecht ruckeln werden. Künftig soll es jährliche Updates der NVL geben.

Allerdings ist auch deutlich geworden, dass der Übergang nicht ganz ohne Reibungsverluste abgelaufen ist. Und da müssen sich die Verantwortlichen bei Bundesärztekammer und Kassenärztlicher Bundesvereinigung durchaus den Vorwurf gefallen lassen, dass die Kollateralschäden vermutlich zu vermeiden gewesen wären, wenn das Aus des ÄZQ nicht so plötzlich gekommen wäre.

Gesundheitsprofis dürften aktuell vor allem die komfortable HTML-Ansicht und -Navigation in den NVL vermissen, wie es über leitlinien.de möglich war. Denn das Leitlinien-Register enthält nur deutlich schlechter navigierbare PDF-Fassungen.

Wesentlich größer ist der Verlust aber für Patient:innen. Die NVL-Inhalte sind zwar über das AWMF-Leitlinien-Register verfügbar. Allerdings dürften das nur die wenigsten Patient:innen wissen und dann auch finden – und vermutlich kommen auch nur wenige auf die Idee, das Internet-Archiv zu bemühen.

Die neuen NVL-Verantwortlichen sollten Gehirnschmalz in die Frage stecken, wie Patient:innen zukünftig die relevanten Informationen finden. In der Zi-Pressemitteilung ist von patienten-information.de nicht die Rede. Das lässt vermuten, dass es diese Website künftig nicht mehr geben wird. Dann wäre es zumindest wichtig, die NVL-Website so zu gestalten, dass Patient:innen leicht die für sie relevanten Informationen finden.

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