„Energie verbindet alles“

Die Wissenschaftsautorin Olivia Judson hat die Erdgeschichte neu eingeteilt – ein Interview.

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Bild von Cyanobakterien unter dem Mikroskop.

Frau Judson, Sie haben als Wissenschaftsjournalistin für die New York Times, den Economist, National Geographic und andere Medien gearbeitet und sind mit Ihrem Buch "Dr. Tatiana's Sex Advice to all Creation" und der dazugehörigen Show bekannt geworden. Aber kürzlich haben Sie im Wissenschaftsmagazin "Nature Ecology and Evolution" einen wissenschaftlichen Artikel mit dem Titel "The energy expansions of evolution" veröffentlicht. Wie kam es dazu?

Ich arbeite seit zehn Jahren an einem Buch über das Zusammenspiel des Lebens mit der Entwicklung der Erde und habe mich unglaublich schwer damit getan, das recherchierte Material zu organisieren. Eines Tages erkannte ich ein Muster…

…die Energie-Epochen in der Entwicklung von Leben und Erde, die Sie in Ihrer wissenschaftlichen Veröffentlichung beschreiben. Was ist das Besondere an dieser Einteilung?

Der Ausgangspunkt ist, dass alles Leben Energie braucht. Ohne Energie können Lebewesen nichts tun, sie können sich nicht bewegen, sie können nicht wachsen, sich nicht fortpflanzen oder ihre Körper vor dem Zerfall bewahren. Während ich auf mein Material starrte, wurde mir klar, dass die Anzahl der Energiequellen, die das Leben nutzt, im Lauf der Evolution immer größer geworden ist. Mir wurde klar, dass es fünf energetische Epochen gibt und jede sich durch eine neue Energiequelle auszeichnet: geochemische Energie; Sonnenlicht; Sauerstoff; Fleisch und Feuer.

Diese Faktoren sind allgemein bekannt. Aber niemand vor Ihnen hat daraus energetische Epochen gemacht und diese benannt?

Natürlich haben schon andere Wissenschaftler über das Verhältnis von Energie und Leben nachgedacht, es ist ein wichtiges Thema in der Ökologie und der Mikrobiologie. Alfred Lotka hat schon in den 1920er Jahren und Leigh Van Valen dann in den 1980er Jahren daran gearbeitet, den Faktor Energien in evolutionäre Ideen zu integrieren. Sie haben dafür aber nicht viel Aufmerksamkeit bekommen.

Und in jüngerer Zeit?

Da haben Forscher wie Mike Russell, Bill Martin, Nick Lane und Everett Shock vor allem über die Rolle der Energie bei der Entstehung des Lebens nachgedacht. Geerat Vermeij und Tim Lenton haben sich mit energetischen Veränderungen über geologische Zeiträume beschäftigt. Was ich jetzt versuche ist, Energie als Faktor für die gemeinsame Entwicklung von Leben und Erde darzustellen. Das Thema stand in der Evolutionstheorie und der Evolutionsforschung bisher am Rand, und ich möchte mit meinem Paper dazu beitragen, dass es ins Zentrum rückt. Als ich Biologie studiert habe, hatten wir zwar Kurse in Physik und Chemie, aber nicht in Geologie. Das ist grundfalsch. Wir sollten uns klar machen, dass Biologie und Geologie in vielerlei Hinsicht ein- und dasselbe sind.

Gehen wir im Schnelldurchlauf durch diese Epochen…

Geochemische Energie entsteht bei chemischen Reaktionen zwischen Wasser und vulkanischem Gestein. Als die Erde vor 4,5 Milliarden Jahren entstand, schien die Sonne natürlich auch schon. Aber die ersten Lebewesen nutzten nicht Sonnenlicht, sondern diese geochemische Energie. Dann entstanden Organismen, die Photosynthese betreiben konnten und dabei Sauerstoff freisetzten. Doch es dauerte unglaubliche 300 Millionen Jahre, bis sich Sauerstoff in der Atmosphäre anreicherte. Es gab sehr viel Material – von vulkanischen Gasen über Oberflächengestein bis zu Meer gelösten Metallen – mit dem der Sauerstoff zunächst reagierte, bis er dann vor 2,3 Milliarden Jahren begann, im Überschuss vorzukommen und zu einem wesentlichen Bestandteil der Luft zu werden…

Portrait von Olivia Judson
Die Journalistin Olivia Judson – bei der Arbeit an einem Buch entstand eine wissenschaftliche Veröffentlichung.
Grafik einer Spirale welche die Erdgeschichte in fünf Kapitel einteilt: Geothermische Energie, Sonnenenergie, Sauerstoff, Fleisch, Feuer.
Olivia Judson teilt die Erdgeschichte in fünf Kapitel ein: Geothermische Energie, Sonnenenergie, Sauerstoff, Fleisch, Feuer.
Fast komplett schwarzes Bild. Man kann aber zwei kleine, leuchtende Punkte erkennen.
Ort der Makroevolution – Erde und Mond aus fast zehn Millionen Kilometern Entfernung, aufgenommen von der Raumsonde Juno.
Ein Trecker der gerade Dünger über einem Feld verteilt.
Der Mensch verbraucht so viel Energie wie kein anderes Lebewesen – auch für die Herstellung von Dünger aus Luftstickstoff.
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