Dürren: Wenn selbst Polarregionen und die Tropen austrocknen
Die Extremereignisse der vergangenen Jahre haben in Europa den Blick auf die Folgen von Dürren gelenkt. Auch jetzt herrscht in weiten Teilen Deutschlands wieder extreme Trockenheit. Aber wie sieht es in Regionen aus, die eigentlich kalt oder feucht sind – etwa in der Arktis und den Tropen?

Im Sommer 2022 erlebte Europa die schlimmste Dürre seit mindestens 500 Jahren. So berichtete es die Europäische Dürrebeobachtungsstelle. Auch jetzt wieder sind in weiten Teilen Deutschlands die oberen 25 Zentimeter des Bodens so trocken, wie statistisch nur einmal in 50 Jahren. Das zeigt der Dürremonitor des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung. Frachtschiffe auf dem Rhein fahren mit halber Ladung, weil der Pegelstand zu niedrig ist; Bauern bangen um ihre Ernten. Mit zunehmendem Klimawandel sehen Fachleute sogar die globale Nahrungssicherheit infolge von gleichzeitigen Dürren in wichtigen Agrarregionen gefährdet. Was aber oftmals übersehen wird: Dürren treten ebenso in Regionen auf, an die man dabei als Laie oft nicht denkt – etwa in der kalten Arktis und in den feuchten Tropen. Auch dort haben sie gravierende Folgen.
Arktische Dürren wirken zeitversetzt
Wer an die Arktis oder Antarktis denkt, stellt sich oft endlose Schneefelder vor, keine Wasserknappheit. „Aber Dürre gibt es auch hier – sie versteckt sich nur hinter Eis und Minustemperaturen“, erklärt Monica Ionita, Klimatologin am Alfred-Wegener-Institut, dem Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven. Im Norden beginnt das Problem oft schon im Winter: Wenn zu wenig Schnee fällt oder er zu früh schmilzt, fehlt es an Schmelzwasser, um Flüsse und Böden im Frühjahr zu speisen. Dieses Phänomen wird „Schneetrockenheit“ genannt, ein Defizit an potenziell flüssigem Wasser. „Wenn es keine Schneedecke gibt, rauschen bereits im Mai kleinere Abflussspitzen durch die Einzugsgebiete; ab Juli befinden sich viele Flüsse auf einem Rekordtiefstand“, erläutert Ionita. Im Jahr 2024 war beispielsweise das System des Mackenzie River im Nordwesten Kanadas so trocken, dass alle Versorgungsschiffe gestrichen wurden. Die Hauptstadt Yellowknife musste Dieselgeneratoren anwerfen, weil die Staustufen nicht mehr genügend Fallhöhe boten.
Auf der Südhalbkugel trägt die Antarktis ohnehin die Bezeichnung „kalte Wüste“, aber auch hier macht sich die Dürre bemerkbar. Die Antarktischen Trockentäler leben von einem einzigen Luxus: einer vier- bis zwölfwöchigen Schmelzsaison, in der Gletscherflüsse wie der 32 Kilometer lange Onyx River für Wasser sorgen. Manche Sommer bleiben so kalt und trocken, dass der Fluss überhaupt nicht fließt; in warmen Extremjahren jedoch überschwemmt er das Tal. „Langzeitstudien bestätigen diese Spanne und zeigen, wie empfindlich das gesamte Ökosystem auf nur wenige Millimeter Wasser reagiert“, berichtet die Forscherin Ionita.
Nie zuvor verzeichnete Situation in der Arktis
„Im Grunde bedeutet Dürre in kalten Regionen zu wenig Wasser in der richtigen Form und zur richtigen Zeit“, sagt die Klimatologin. Fehlt das Schneereservoir, trocknen Flüsse aus, sterben mikrobielle Matten in den antarktischen Seen ab, brennen boreale Wälder und kommen Versorgungswege zum Erliegen. „Die Landschaft mag weiß sein – aber das Wasserdefizit liegt darunter verborgen.“
Schneedürren sind keine Ausnahme mehr. „In der Arktis war Eurasien in 11 von 14 Jahren seit 2010 im Juni praktisch schneefrei – eine Situation, die noch nie zuvor verzeichnet wurde“, berichtet Ionita. Gleichzeitig schrumpfe die Schneemenge im Mai um etwa vier Prozent pro Jahrzehnt, sodass das natürliche Wasserreservoir vor dem Sommer fast leer sei.
Dürren treten inzwischen in beiden Polarregionen mehrmals pro Jahrzehnt auf und können mehrjährige Episoden bilden. Für die Natur bedeuten sie Instabilität des Permafrosts, Austrocknung von aquatischen Lebensräumen, veränderte Stoffkreisläufe und Brände: In der Feuersaison 2023 verbrannten 3,5 Millionen Hektar borealen Waldes. Für den Menschen bedeuten diese Dürren Versorgungsrisiken, teurere Energie, gefährdete Infrastruktur und vermehrte Treibhausgasfreisetzungen aus den Wäldern und dem Permafrostboden.

Tropische Ökosysteme reagieren sensibel auf Wassermangel
Auch tropische Regionen stellen sich die meisten Menschen eher feucht vor. „Allerdings gibt es auch dort Dürren“, betont Nils Moosdorf, Klimaforscher am Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung in Bremen. Dürren sind die Folge einer gestörten Bilanz aus Niederschlags- und Verdunstungsmenge. Und in den Tropen ist die Verdunstung immer hoch. „Gerade weil dort Wasser üblicherweise sehr verfügbar ist, reagieren die Pflanzen besonders sensibel, wenn es fehlt“, fährt Moosdorf fort.
Das Thema wird wissenschaftlich zunehmend aktuell, weil auch die Frequenz von Dürren in den Tropen zunimmt. Allerdings sind die Tropen eine große Region: Sie verhalten sich keineswegs einheitlich. „Dürren werden dort aus Wetterphänomenen wie unserer Omega-Wetterlage und durch klimatische Phänomene wie El Niño verursacht“, erklärt der Klimaforscher. Aber auch menschliche Einflüsse spielten eine Rolle. Wenn etwa zu viel Regenwald gefällt wird, kann der sein feuchtes Mikroklima nicht mehr aufbauen und es wird trockener.
Versteppung des Amazonas-Regenwalds ist gefährlicher Klima-Kipppunkt
Eine wichtige Folge einer Dürre im tropischen Regenwald ist, dass er nicht mehr so gut als Kohlenstoffsenke arbeiten kann, weil die Bäume dann weniger wachsen. Im Zuge des Klimawandels werden Dürren zunehmen, auch in den Tropen. Insbesondere am Amazonas-Regenwald könnte es zu einer gefährlichen Rückkopplung kommen – einer der großen Kipppunkte im Klimasystem: Wird der Wald zu klein, kann sein Klima kippen und ein trockeneres Klima sich durchsetzen. Er würde zu einer steppenartigen Landschaft. „Eine solche Landschaft bindet weniger CO2 als vorher der Regenwald und beschleunigt den Klimawandel, der wiederum den Wald intensiver in eine Steppenlandschaft verwandelt – eine selbstverstärkende Rückkopplung“, warnt Moosdorf.
Waldschäden sind aber nicht die einzigen Folgen. „Dürre in den Tropen hat im Grunde die gleichen Folgen für die Menschen wie hier: geringere Ernten, Feuergefahr, Wassermangel“, sagt Moosdorf. Nur ist die Resilienz der Gesellschaften dort oft geringer. „Wo wir unsere Gärten nicht bewässern sollen, fehlt an anderer Stelle vielleicht Trinkwasser.“ Das sei auf kleinen Inseln, von denen es in den Tropen viele gebe, besonders folgenreich: „Diese Inseln haben oft eine unterirdische Süßwasserlinse als einzige Trinkwasserquelle. Wenn die versiegt oder versalzt, weil zu wenig Niederschlag fällt, kann das für die Bevölkerung dramatisch sein“, erläutert der Klimaforscher. Auch entlang von Küsten allgemein könne zu wenig Niederschlag, insbesondere gepaart mit dem Meeresspiegelanstieg, zur Versalzung des Grundwassers führen, das dann nicht mehr als Trinkwasser genutzt werden könne.
Wie sehr Dürren in den Tropen auch die Tierwelt treffen können, zeigte sich im Jahr 2023 an einem Massensterben von Flussdelfinen in der Amazonas-Region.
Rund um den Globus ist es daher wichtig, dass sich die Gesellschaften auf häufigere Dürren einstellen. Begrenzen lässt sich dieser Trend nur, indem es gelingt, die Treibhausgasemissionen zu verringern und die weitere Erderwärmung zu stoppen.