Dritte Impfung gegen Corona: Wem hilft der Booster wirklich?

Verwirrung um die Auffrischung. Der Booster soll ausbügeln, was bisher versäumt wurde: mehr Menschen überhaupt zu einer Impfung gegen Covid-19 zu bewegen.

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Auf dem Foto ist ein Glasfläschchen zu sehen, in dem der Corona-Impfstoff der Forma Biontech/Pfizer enthalten ist. Im Hintergrund verschiedene Fläschchen und Ampullen unter anderem mit Kochsalzlösung.

Die Infektionszahlen sind so hoch wie nie zuvor, ein mulmiges Gefühl macht sich breit. Ob die Wirkung der Corona-Impfung wohl noch anhält und mich vor dem herbstlichen Ansturm der Delta-Variante schützt?

Die anfängliche Zurückhaltung der Fachleute gegenüber dem Booster – erst einmal nur die immungeschwächten und alten Menschen über 65 oder 70 Jahren nachzuimpfen – fällt angesichts der vierten Welle zusammen, wie eine zu dicht am Ufer gebaute Sandburg.

Der Virologe Christian Drosten plädiert für kurzfristige Maßnahmen, um aus der akuten Notfallsituation herauszukommen. Langfristig müsse die Impflücke geschlossen werden und das Ziel eine dreifach durchgeimpfte Bevölkerung sein. Viola Priesemann fordern in einem Strategiepapier, die vierte Welle schnellstmöglich mit einer Kampagne zur Booster-Impfung zu brechen. In Frankreich gelten Personen, die älter als 65 Jahre sind, ab Dezember nur noch dann als geimpft, wenn sie ihren Arm auch für die dritte Corona-Impfung hingehalten haben. Präsident Emmanuel Macron begründete diesen Schritt in einer Fernsehansprache mit der nachlassenden Immunität und dem erneut höheren Risiko für schwere Covid-19-Verläufe.

Was will man mit dem Booster erreichen?

Inzwischen lautet die Frage offenbar nicht mehr: Booster, ja oder nein? Der Booster für alle ist gesetzt. Selbst die Ständige Impfkommission (STIKO) plädiert nun mittelfristig für die Auffrischungsimpfung für alle. Dabei war bis vor kurzem die Datenlage noch unklar. Hat sich daran inzwischen etwas geändert? Was wissen wir?

Celine Gounder, Infektiologin und Epidemiologin an der New York University sieht den Grund für die Verwirrung rund um das Thema „Booster-Impfung“ darin, dass nicht klar sei, was man mit einer dritten Impfung eigentlich erreichen wolle. Die Virusübertragung verhindern? Oder Durchbruchinfektionen, symptomatische Erkrankungen, schwere Erkrankungen, Krankenhauseinweisungen und Todesfälle?

Bevor man darüber diskutiere, wer einen Booster brauche, müssten zunächst andere Fragen beantwortet werden, meint Alessandro Sette vom La Jolla Institute for Immunology Mitte Oktober gegenüber „Scientific American“. Zum Beispiel: Bringt der Booster überhaupt irgendetwas in Hinblick auf die Immunantwort und den Schutz? Und: Ist der Booster sicher oder gibt es Risiken, wie zum Beispiel stärkere Impfreaktionen?

Wie wirkt sich der Booster auf die Immunabwehr aus?

„Mit dem Booster stelle ich nicht nur den Zustand nach der zweiten Impfung wieder her, meine Immunität wird besser als nach der zweiten Impfung“, schreibt Carsten Watzl, Immunologe an der TU Dortmund und Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Immunologie auf Twitter. Jedes Mal, wenn das Immunsystem mit einem Erreger oder Impfstoff in Kontakt komme, würde die Immunität stärker, besser und dauerhafter werden. Auch bei vielen anderen Impfungen immunisierten wir dreimal, etwa gegen Tetanus, Diphtherie und Polio. Warum das so ist, erklärt Watzl dem Science Media Center: „Mit einer weiteren Impfung kann der Pool an Gedächtniszellen erhöht werden, der stetig Antikörper produziert. So ist es dann eventuell möglich, dass ein Impfschutz auch mehrere Jahre hält.“

Vier Wochen nach der dritten Covid-19-Impfung habe man mindestens fünfmal mehr Antikörper als vier Wochen nach der zweiten Impfung, twittert Watzl. Die Zahlen, die er nennt, stammen aus einer aktuellen Studie, die das „New England Journal of Medicine“ veröffentlicht hat. Bei den zwölf Männern und Frauen im Alter zwischen 65 und 85 Jahren in der insgesamt kleinen Testgruppe lag dieser Wert sogar um das Siebenfache höher als nach der zweiten Impfung. Einen Monat nach der dritten Spritze lagen die Neutralisationstiter gegen die Delta-Variante sogar um das 15– bis 20-fache höher als nach der zweiten Impfung.

Die Daten aus Israel: was bringt der Booster für den Schutz vor Covid-19?

Die dritte Impfung zahlt sich offenbar im wirklichen Leben aus. Israelische und US-amerikanische ForscherInnen verglichen den Impfschutz von knapp 730.000 zweifach mit 730.000 dreifach Geimpften in Israel. Der Altersdurchschnitt in dieser großen Gruppe lag bei 52 Jahren. 29 aus der dreifach und 231 aus der zweifach geimpften Gruppe mussten wegen Covid-19 ins Krankenhaus gebracht werden. Davon waren 20 von 29 und 156 von 231 der Betroffenen über 70 Jahre alt.

Insgesamt sinkt das Einweisungsrisiko durch die dritte Impfung um 93 Prozent, das Risiko schwer zu erkranken, um 92 Prozent und das Risiko, zu sterben, um 81 Prozent. Das Forscherteam untersuchte allerdings nicht, inwieweit eine dritte Impfung mehr als eine zweite vor Ansteckungen mit dem Coronavirus und milden Krankheitsverläufen schützt.

Ist der Booster sicher?

Die dreifach Geimpften zeigen nach den bisherigen Untersuchungen milde bis moderate Impfreaktionen, die in der Stärke vergleichbar sind mit den Symptomen nach der zweiten Impfung. Die häufigsten Beschwerden nach einer dritten Impfung mit Comirnaty (BionTech) sind laut Zahlen aus den USA Schmerzen an der Einstichstelle (83 Prozent), Abgeschlagenheit (64 Prozent), Kopfschmerzen (48 Prozent) und Schüttelfrost (29 Prozent). „Bis auf einen Myokardinfarkt, der am 62. Tag nach Impfung auftrat und als nicht-impfstoffbezogen gewertet wurde, sind keine SAEs (schwere unerwünschte Ereignisse) und Todesfälle beobachtet worden“, schreibt das RKI in einer Einschätzung.

Eine Antikörperbestimmung vor einer Booster-Impfung sei nicht nötig, informiert Carsten Watzl auf Twitter. „Auch bei hohen Antikörper-Titern wäre ein Booster nicht gefährlich.“

Für Menschen, die allergisch auf einen Bestandteil der verwendeten Impfstoffe reagieren, gilt: Jede weitere Impfung – bei der der Körper dem Allergen erneut ausgesetzt ist – erhöhe das Risiko für eine allergische Reaktion. Das schreibt mir Ludger Klimek, Präsident des Ärzteverbandes Deutscher Allergologen: „Somit werden wir bei den Booster-Impfungen sicherlich mehr Reaktionen sehen, genau wie wir bei der zweiten Impfung mehr Reaktionen als bei der ersten gesehen haben.“ Das treffe aber natürlich nur für Allergiker zu. „Bei allen anderen Personen muss man sich hierum wohl wenig Sorgen machen“, so Klimek.

Problem: bisher kein „Correlate of Protection“

Bisher gibt es keinen Labor-Messwert, der genaue Aussagen darüber zulässt, ob eine Person noch vor einer Infektion oder Covid-19-Erkrankung geschützt ist. Immerhin ist bekannt, dass die Höhe des Antikörpertiters mit dem Impfschutz zusammenhängt. „Bei keinen bis geringen Antikörperspiegeln (<50 BAU/ml) ist der Schutz wahrscheinlich sehr gering, bei hohen Antikörperspiegeln (>1000 BAU/ml) ist er wohl gut. Aber dazwischen kann keiner eine seriöse Aussage zum Schutz machen“, schreibt Watzl auf Twitter.

Antikörpermengen mögen ein Kennzeichen für den Immunschutz sein. „Allerdings sind das statistische Korrelationen, die es nicht umgekehrt erlauben, von einem aktuellen Antikörper-Titer auf den Schutz zu schließen“, teilt mir der Infektiologe Bernd Salzberger vom Universitätsklinikum Regensburg mit. Insofern sei die Strategie „Booster-Impfung in Abhängigkeit vom Titer“ in keiner Weise wissenschaftlich fundiert.

Micha Nübling vom Paul-Ehrlich-Institut macht mich noch auf ein weiteres Problem aufmerksam: Die Labore setzen weltweit zum Nachweis von Antikörpern gegen das Corona-Virus viele verschiedene Tests ein. Und: „Bei der üblichen Antikörperbestimmung im Labor werden ohnehin in der Regel bindende Antikörper bestimmt, nicht neutralisierende. Deren Bestimmung ist aufwendiger.“ Die zelluläre Immunität werde hier gar nicht bestimmt. Diese sei aber nicht zu vernachlässigen. „Ich würde nichts weiter wagen zu sagen, als dass ein hoher Antikörpertiter – mit welchem Verfahren auch immer gemessen – eher besser ist, als ein in dem selben Verfahren gemessener kleiner (Wert).“

Was spricht bei wem für eine Auffrischimpfung?

Auch wenn die objektiven Messwerte noch fehlen, gibt es Argumente für eine dritte Impfung in der aktuellen Phase der Pandemie. US-amerikanische ForscherInnen erfassten die Infektionszahlen von knapp fünf Millionen Geimpften. Während des ersten Monats nach der zweiten Impfung lag die Wirksamkeit gegen eine Infektion der im Durchschnitt 46 Jahre alten Männer und Frauen noch bei 88 Prozent, fünf Monate danach war sie auf 47 Prozent gesunken.

Dennoch hielt sich der Schutz vor schweren Erkrankungen, gemessen als Krankenhauseinweisungen wegen Covid-19, in allen Altersgruppen bis sechs Monate nach der zweiten Impfung auf einem hohen Niveau von rund 88 Prozent. Wenn also jetzt wieder viele ältere Menschen – obwohl geimpft – auf den Intensivstationen liegen, hat das auch mit der häufig schlechteren Gesamtkonstitution sowie dem höheren Anteil zusätzlicher, den Körper schwächender Gebrechen im Vergleich zu den Jüngeren zu tun.

Die Zahlen des RKI bestätigen das. „Der Großteil der seit der 5. KW übermittelten COVID-19-Fälle war nicht geimpft. Der Anteil vollständig Geimpfter unter den Meldefällen ist jedoch in den letzten Wochen deutlich gestiegen und liegt mittlerweile in der Altersgruppe ≥60 Jahre bei über 60 Prozent. Dieser Anteil muss jedoch in Zusammenschau mit der erreichten hohen Impfquote in dieser Altersgruppe interpretiert werden“, schreibt das Bundesinstitut in seinem Wochenbericht vom 4. November 2021.

Bezieht man diesen hohen Anteil der geimpften Älteren bei der Berechnung mit ein, unterscheidet sich die geschätzte Impfeffektivität zwischen den Altersgruppen 18 bis 59 Jahre und älter als 60 Jahre gar nicht. Sie lag in den vergangenen vier Wochen in beiden Gruppen bei 73%. Auch beim Schutz vor Krankenhauseinweisungen gab es in diesem Zeitraum nur geringe Differenzen. (RKI Wochenbericht vom 4.11.21)

In welcher Reihenfolge jetzt geboostert werden sollte

Vorrang sollten die Menschen haben, die wegen einer Erkrankung immungeschwächt sind: Transplantierte, AIDS- und Krebskranke, solche, die an einer Autoimmunerkrankung leiden. Eine rasche dritte Impfung sollten außerdem diejenigen bekommen, bei denen die Erstimpfungen am längsten zurückliegt und die wegen ihres höheren Alters ohnehin gefährdet sind, schwer an Covid-19 zu erkranken. Das sind Männer und Frauen ab 70 Jahre. „Wenn jemand immungeschwächt ist oder sehr alt, ist ein Booster sehr ratsam“, sagt Immunologe Alessandro Sette.

Ob Jüngere tatsächlich jetzt schon einen Booster brauchen, um sich vor einer Erkrankung zu schützen, ist fraglich. Ein Booster macht jedoch auch hier Sinn, wenn es gilt, die Menge des zirkulierenden Virus in einer Gesellschaft abzusenken – die Virusübertragung insgesamt also zu hemmen. Für Mitarbeitende in medizinischen oder pflegerischen Einrichtungen ist der Booster denn auch weniger zum Eigenschutz gedacht. „Die dritte Impfung sechs Monate nach der zweiten verhindert auch wieder sehr gut die Weitergabe des Virus. Somit werden die vulnerablen Gruppen besser geschützt“, meint Immunologe Watzl.

Was man mit einer Booster-Impfung erreichen will und erreichen kann

Wenn wir mit den Impfungen nicht nur symptomatische Erkrankungen, sondern auch eine Virusübertragung verhindern wollten, müssten wir uns die Frage stellen: „Können unsere aktuellen Vakzinen das überhaupt?“, gibt die Infektiologin Celine Gounder von der New York University zu Bedenken. Für eine Weile könne durch die Impfung offenbar auch die Virusverbreitung gehemmt werden. Doch der Effekt hält vermutlich nicht lange an, was für Erreger der oberen Atemwege nichts Ungewöhnliches ist. Wenn wir nicht Booster an Booster einplanten, sei es sehr schwierig, alle Infektionen zu verhindern, sagt Gaunder.

Um die Pandemie zu beherrschen, bräuchten wir solche perfekten Impfstoffe aber auch gar nicht, so Gaunder weiter. Das Ziel sei, die Reproduktionsrate unter eins zu bekommen. Das bedeutet, dass eine Person im Durchschnitt weniger als eine andere ansteckt. Dieses Ziel erreiche man auch mit nicht perfekten Impfstoffen und anderen Schutzmaßnahmen.

Wenn also Katrin Göring Eckardt am 11. November 2021 gegenüber dem Deutschlandfunk sagt, Auffrischungsimpfungen seien das beste Mittel, um die vierte Welle zu brechen, hat sie nur teilweise Recht. Auf längere Sicht wird dieser Plan nur aufgehen, wenn noch mehr Menschen sich überhaupt erst- und zweitimpfen lassen. Außerdem müssen sich die Geimpften darüber bewusst sind, dass die Impfung kein Freifahrtschein ist, und dass zusätzliche Schutzmaßnahmen wie Abstandhalten und Maske tragen weiterhin nötig sind.

Wie wenig dieses Grundproblem bisher bei den Menschen und offenbar gerade auch bei den Verantwortlichen angekommen ist, zeigt eine morgendliche Nachrichtensendung, die ich im Deutschlandfunk höre. Direkt nachdem die Sprecherin einen Höchststand an Neuinfektionen mit Sars-CoV-2 vermeldet, thematisiert sie den Kölner Karneval. Er findet wieder statt. Selbst unter 2G ist es ein potenzielles Großverbeitungsereignis für das Virus. Die wenigsten der Tausenden, die dicht gedrängt feiern, dürften sich zuvor noch eine Auffrischungsimpfung geholt haben.

Booster soll ausbügeln, was man an anderer Stelle versäumt hat

Unterm Strich zeigt die gegenwärtige Studienlage, dass die Impfstoffe über Monate zuverlässig schwere Erkrankungen verhindern – auch bei älteren Menschen. Der Booster soll jetzt ausgleichen, was man an anderer Stelle versäumt hat: noch mehr Menschen grundsätzlich zur Impfung zu bewegen und die Impfquote insgesamt zu steigern. Bislang sind 67,4 Prozent der Bevölkerung vollständig geimpft. „Aber wenn wir die nicht Geimpften nicht erreichen können, müssen wir die Geimpften durch den Booster ‚superimmun‘ machen, um die 4. Welle per Impfung zu bekämpfen!“, schreibt Immunologie Watzl.

Christine Dahlke, Expertin für Infektionskrankheiten am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf bringt gegenüber dem Science Media Center auf den Punkt, warum wir wieder so hohe Infektionszahlen haben: Neben der kälteren Jahreszeit erschwerten die Delta-Variante sowie sinkende Antikörperspiegel im Blut der geimpften und genesenen Menschen die Lage: „In meinen Augen ist aber einer der wichtigsten Faktoren die geringe Impfquote in Deutschland. Das Virus trifft noch immer auf zu viele Sars-CoV-2-naive Menschen und kann sich somit ideal verbreiten. Das treibt die Zahl der Fälle auf den Intensivstationen in die Höhe.“

Die Recherchen zu diesem Beitrag wurden über die Riff freie Medien gGmbH aus Mitteln der Klaus Tschira Stiftung gefördert.

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