Südafrika: Sinkende Corona-Infektionen, aber keine Spur von Normalität

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Südafrikanische Aktivisten des 'Amadiba Crisis Committee" stehen auf einem Hügel der ländlichen Transkei in Südafrika und halten Fläschen mit Handdesinfektionsmitteln hoch.

Südafrika hat schnell und entschieden auf die Corona-Pandemie reagiert. Ende März verhängte die Regierung einen Lockdown, der als einer der härtesten der Welt galt. Nun werden die Maßnahmen langsam gelockert, aber von Normalität ist das Land weit entfernt. Fragen zum Schwerpunkt Corona Global an Leonie March.

Wie entwickelt sich die Corona-Pandemie in Südafrika?

Nach einem langen, harten Lockdown, der den Südafrikanerïnnen viel abverlangt und die sozialen und wirtschaftlichen Probleme ihrer Heimat verschärft hat, flacht die Infektionskurve derzeit langsam ab. Die Hoffnung ist groß, dass der Höchststand Ende Juli erreicht wurde und eine zweite Welle vermieden werden kann.

Aber Corona ist nicht die einzige Sorge der Bürger, viele sagen, dass ihnen Hunger, wachsende Armut und Arbeitslosigkeit mehr Angst machen, als das Virus. Das sogenannte „New Normal“ ist bedrohlich, von Normalität ist das Land weit entfernt.

Insgesamt hat Südafrika derzeit im weltweiten Vergleich nach den USA, Brasilien, Indien, Russland und Peru die meisten nachgewiesenen Infektionsfälle und die mit Abstand meisten auf dem afrikanischen Kontinent. Allerdings hat das Land auch wesentlich mehr getestet als andere afrikanische Länder. Aktuelle Daten zu Neuinfektionen und Todesfällen werden weiterhin täglich bekannt gegeben.

Der Lockdown, der Ende März begonnen hat, wird weiter stufenweise gelockert. Mitte August wurde er auf Stufe 2 gesenkt, das bedeutet zum Beispiel, dass Reisen innerhalb des Landes und Familienbesuche wieder erlaubt sind. Bestehen bleibt unter anderem eine nächtliche Ausgangssperre, auch die Landesgrenzen sind weiterhin geschlossen und in der Öffentlichkeit müssen Gesichtsmasken getragen werden.

Was ist in Südafrika anders als in anderen Teilen der Welt?

In Südafrika waren Alkohol und Zigaretten während der ersten Lockdown-Stufen verboten und dürfen erst seit Mitte August wieder verkauft werden. Die Prohibition war monatelang kontrovers diskutiert worden. Die Regierung rechtfertigte sie als öffentliche Gesundheitsmaßnahme. Der Schwarzmarkt boomte.

Das Alkohol-Verbot war kurzzeitig ausgesetzt und wieder verhängt worden, als die Zahl der Unfälle und Verletzungen infolge Trunkenheit wieder so drastisch angestiegen war, dass aus Sicht der Regierung eine Überlastung der Krankenhäuser drohte. Die Corona-Pandemie hat damit auch Südafrikas massives Alkohol-Problem ins Bewusstsein gerückt.

Als weitere Besonderheit wird immer wieder die vergleichsweise geringe Sterblichkeitsrate genannt, sie liegt unter zwei Prozent. 86 Prozent der Corona-Infizierten in Südafrika haben sich laut Angaben des Gesundheitsministers inzwischen wieder erholt.

Allerdings wirft die massive Übersterblichkeit Fragen auf: Einer Studie des medizinischen Forschungsrats (SAMRC) zufolge, sind im Vergleich zu den Vorjahren seit Anfang Mai nahezu 40.000 mehr Menschen in Südafrika an natürlichen Todesursachen gestorben. Noch ist unklar, wie groß der Anteil unentdeckter Covid-19-Fälle daran ist, bzw. inwieweit es sich um Auswirkungen der Lockdown-Maßnahmen handelt, etwa weil Menschen Kliniken gemieden oder notwendige Medikamente nicht erhalten haben.

Welche Rolle spielen Verschwörungslügen und Wissenschaftsfeindlichkeit in Südafrika?

Auch Südafrika war vor Fake News und Verschwörungsmythen nicht gefeit. Sie wurden vor allem über social media verbreitet. Aber es gibt auch Plattformen, über die Bürger*innen diese melden konnten, wie Real411 oder, auf panafrikanischer Ebene, Africa Check.

Generell ist die Mehrheit der Bevölkerung jedoch dankbar, dass die Regierung bei dieser Pandemie weitgehend auf führende Wissenschaftler hört und nicht auf Scharlatane. Grund dafür sind die verheerenden Erfahrungen mit der Aids-Politik von Ex-Präsident Thabo Mbeki, der die Behandlung HIV-Infizierter mit antiretroviralen Medikamenten lange blockierte und die Existenz des Virus bezweifelte.

Die Unterstützung für die Regierung, deren drastische Lockdown-Maßnahmen zu Beginn noch von der Mehrheit der Bürger*innen gelobt wurde, hat nun jedoch aus einem anderen Grund abgenommen: Korruption. Unter anderem wurden Gelder für Schutzkleidung unterschlagen und sogar Lebensmittelpakete abgezweigt.

Die Regierungspartei ANC hat angekündigt, diese Fälle aufzuklären und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen, noch aber wartet das Land darauf, dass diesen Worten auch Taten folgen.

Wie geht Südafrika mit Tourismus und Reisen um?

Seit Ende März bis Mitte August lag die Tourismusbranche, ein wichtiger Wirtschaftszweig in Südafrika, weitgehend brach. Hotels wurden teils zu Quarantänestationen umfunktioniert, Reisen waren zunächst nur für Berufstätige aus systemrelevanten Berufsgruppen erlaubt.

Seit Mitte August dürfen sich Südafrikaner*innen nun wieder frei bewegen und auch in Urlaub fahren, allerdings nur innerhalb des Landes, denn die Grenzen sind weiterhin geschlossen. Das trifft die Tourismusbranche, die auf internationale Gäste angewiesen ist, hart. Sie buhlt nun um Gäste aus dem eigenen Land und hofft, dass die Grenzen spätestens zur Hauptsaison im südafrikanischen Sommer wieder geöffnet werden. Ansonsten drohen noch mehr Insolvenzen und Entlassungen.

Eine leere rötliche Sandpiste in karger, menschenleerer Landschaft
Südafrika ohne internationale Touristen

Wie sieht die Situation in Deutschland von Südafrika betrachtet aus?

Südafrikanerïnnen, mit denen ich in den letzten Monaten gesprochen habe, sind überrascht und teils auch ein wenig neidisch, dass Deutschland nicht unter einem solch harten Lockdown leiden musste wie sie selbst.

Angesichts der schwerwiegenden sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen, der drastischen Einschränkung von Bewegungsfreiheit und Bürgerrechten sowie Polizeigewalt, vor allem in den ersten Monaten des Lockdowns, fällt es mir selbst außerdem schwer nachzuvollziehen, warum in Deutschland Tausende auf den Straßen gegen die dortigen Corona-Maßnahmen protestieren.

Während sie sich schon durch das Tragen von Gesichtsmasken in ihrer Freiheit eingeschränkt fühlen und sogar von Diktatur reden, ficht die südafrikanische Zivilgesellschaft echte Kämpfe aus, ganz zu schweigen von Menschenrechtlern im Nachbarland Simbabwe.

Wie beeinflusst die Pandemie Deine Arbeit als Journalistin in Südafrika?

Als Journalistin konnte ich mich von Beginn an mit den entsprechenden Genehmigungen im Land bewegen und arbeiten. Allerdings wurde das durch den kompletten Stopp des Flugverkehrs erschwert, denn Südafrika ist ein riesiges Land. Dazu kamen etliche Polizeikontrollen.

Als Radioreporterin habe ich Interviews zuvor ausschließlich in direkten Begegnungen geführt, durch die Pandemie jedoch musste ich viele Interviews per Skype, Zoom & Co aus der Entfernung führen. Es war eine ständige Risiko-Abwägung – nicht nur mit Blick auf meine eigene Gesundheit, sondern vor allem auf jene meiner Gesprächspartner, auch vor dem Hintergrund des schwachen öffentlichen Gesundheitssystems in Südafrika.

Interviews vor Ort sehen bis heute anders aus: Neben Masken bleibt der Abstand wichtig, der allerdings gerade in dicht bevölkerten Vierteln schwer einzuhalten ist. Wo es geht, vermeide ich Innenräume, führe Interviews an der frischen Luft und halte diverse Regeln zum Infektionsschutz ein, packe mein Mikrofon beispielsweise in eine Plastiktüte.

Recherchen in den Nachbarländern, die sonst zum Arbeitsalltag gehören, sind durch die Schließung der Grenzen bis heute nicht möglich. Das ist ein gravierender Einschnitt. Da es wichtig ist, dass Länder wie Simbabwe nicht aus dem Fokus geraten, habe ich verstärkt mit Kollegen in diesen Ländern zusammengearbeitet. Mein über Jahre gewachsenes Netzwerk ist in diesen pandemischen Zeiten so wichtig und wertvoll wie nie zuvor.

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