Nützlich oder riskant? Was hinter dem Streit um psychosomatische Reha bei Long COVID steckt

Die Deutsche Rentenversicherung verkündet per Presseerklärung den wissenschaftlichen „Beleg“ für den Nutzen psychosomatischer Rehabilitation bei Long COVID. Doch die zugrundeliegende Studie veröffentlicht sie nicht, und sie erntet vehementen Widerspruch. Selbsthilfegruppen sind empört, Patient:innen berichten von Fehlbehandlungen – ausgerechnet auch in jener Reha-Klinik, in der die Studie gemacht wurde.

vom Recherche-Kollektiv Corona:
9 Minuten
Betroffene von Long Covid, ME/CFS und PostVac protestieren vor dem Deutschen Bundestag, im Vordergrund der Rücken einer Person mit orangefarbener Warnweste und dem Aufdruck: „ #nichtgenesen #mecfs #longcovid #postvac #wirfordernforschung“

Drei Tage lang habe er nach Kräften versucht, sein Reha-Programm durchzuziehen, berichtet Tobias Kaiser – dann sei erst einmal nichts mehr gegangen. „Am vierten Tag hatte ich den totalen Zusammenbruch“, sagt der Pädagogik-Student aus Halle, 31 Jahre alt und seit zwei Jahren an Post COVID erkrankt.

Erschöpfungszustände und Brain Fog hatten ihn, der in Wirklichkeit einen anderen Namen trägt, dazu gezwungen, sein Studium vorerst aufzugeben. Nachdem Ärzte auch den – später bestätigten – Verdacht auf die Multisystemerkrankung ME/CFS, die wohl schwerste Ausprägung von Post COVID, bei Kaiser diagnostizierten, trat er Mitte Februar seine Reha in Norddeutschland an, verbunden mit großer Hoffnung. „Es war eine Katastrophe“, sagt er heute, „eine totale Fehlbehandlung.“

Ärzte der psychosomatisch ausgerichteten Klinik hätten ihm unterstellt, zu simulieren, und ihn zu weitaus mehr Bewegung anleiten wollen, als er bewältigen konnte. Bis zu acht Anwendungen jeden Tag standen auf dem Programm, Therapiepläne belegen das. Immer wieder ging es um körperliche Aktivierung, von Wassergymnastik bis Gewichtstemmen. Vieles habe er abgesagt – stets in Sorge, dass ihm dies zu seinem Nachteil ausgelegt werden könnte. Schließlich ist er auf eine Erwerbsminderungsrente angewiesen und bei der Reha zur Mitwirkung verpflichtet. „Das war auch der einzige Grund, warum ich die Reha nicht abgebrochen habe“, sagt Kaiser. Irgendwie habe er die drei Wochen durchgezogen und mitgemacht, so gut es ging, auch wenn auf den großen noch mehrere kleine Zusammenbrüche gefolgt seien. „Am Ende bin ich deutlich schwächer zurückgekommen, als ich reingegangen bin.“

Ganz anders liest sich da eine Presseerklärung der Deutschen Rentenversicherung (DRV) Braunschweig-Hannover. „Studie belegt: Bei Long COVID hilft eine psychosomatische Rehabilitation“, ist die Mitteilung vom 8. Juni 2023 überschrieben. Bei Selbsthilfegruppen stößt sie auf heftige Kritik, weil Schilderungen wie die von Tobias Kaiser sich häufen. Auch Patient:innen ausgerechnet jener Einrichtung, in der die Studie gemacht wurde, berichten von schlechten Erfahrungen. Was also ist richtig: Nutzt eine psychosomatische Reha – oder schadet sie sogar?

Keine „Freigabe“ für Veröffentlichung der Studie

Grundlage der Presseerklärung bildet eine Studie mit Rehabilitand:innen des Rehazentrums Oberharz im niedersächsischen Clausthal-Zellerfeld. Träger der Einrichtung: die DRV Braunschweig-Hannover selbst.

Ein großes Bürogebäude zeigt den Verwaltungssitz der Deutschen Rentenversicherung Braunschweig-Hannover in Laatzen
In der Kritik: Die Deutsche Rentenversicherung Braunschweig-Hannover (im Bild der Verwaltungssitz in Laatzen).

„Ein Rückfall in pauschalisierende Lagerrhetorik“

Prof. Dr. Martin Walter, Präsident des Long COVID Ärzteverbandes, kritisiert die Kommunikation der Deutschen Rentenversicherung