„Der Blick auf die Vogelwelt ist immer noch männlich geprägt. Das möchte ich ändern“

Silke Hartmann, Vogelfan seit Kindertagen, hat sich in der von Männern dominierten Birder-Szene nie wirklich heimisch gefühlt. Und deshalb im Internet ein Angebot geschaffen, das vor allem Frauen für Vogelbeobachtung begeistern will

vom Recherche-Kollektiv Flugbegleiter:
13 Minuten
Silke Hartmann blickt durchs Fernglas über eine offene Landschaft

Wer sich für Vögel interessiert und häufiger im Internet unterwegs ist, wird ihr früher oder später begegnen: Silke Hartmann, der „Vogelguckerin“. Mit dem Slogan „Lass mehr Vögel in dein Leben!“ wirbt die Kommunikationsberaterin für das intensive Wahrnehmen von Vogelwelt und Natur – mit Podcast, Instagram-Posts, Online-Bestimmungskursen und demnächst einem Buch. Das Besondere an ihrem Angebot: Es richtet sich vor allem an Frauen. Ein Gespräch über Fremdheitsgefühle unter altgedienten „Ornis“, die Tücken des Vogelstimmenlernens – und die Magie von Buntspechten.

Liebe Silke: Was hast du gegen ältere Herren in Khaki-Kleidung?

Gar nichts! Aber ich ahne, worauf du hinauswillst …

Auf deiner Webseite schreibst du von der „khakifarbenen Altherrenwelt der Ornis“, in die du nicht hineinpasst. Und deshalb die „Vogelguckerin“ erfunden hast, dein digitales Alter Ego, das für einen anderen Blick auf die Vogelwelt wirbt. I

Ich habe, natürlich in zugespitzter Form, aufgeschrieben, was ich selbst erlebt habe: Mit meiner Art, mich für Vögel zu begeistern, habe ich mich in etablierten Vogelkunde-Gruppen und Naturschutzverbänden immer wieder fremd gefühlt. Die Art, wie dort Vogelwissen vermittelt wurde – meist eben von älteren Männern – hat mich nicht angesprochen. Und es ist auch nicht die Art, mit der man Menschen zum Beispiel auf Instagram erreicht.

Was hat dich konkret gestört?

Viele erfahrene Ornithologen, die ich im Laufe der Jahre getroffen habe, schienen gar kein ernsthaftes Interesse daran zu haben, andere für Vögel zu begeistern, ihr Wissen weiterzugeben. Die hatten eher so die Haltung: Wir sind hier eh schon genug, es sollen bloß nicht zu viele Leute durch unser Biotop latschen und die Zwergdommeln verscheuchen!

Das kann man auch irgendwie verstehen – Vögel und ihre Lebensräume sind heute schließlich so bedrängt wie nie zuvor.

Natürlich. Aber gerade deshalb brauchen wir doch „all hands on deck“! Also mehr Menschen denn je, die sich Vögeln zuwenden, sie beobachten, sich für sie engagieren. Und um diese Menschen zu gewinnen, braucht es neue, zeitgemäße Alternativen zu den etablierten Angeboten.

Blonde Frau mit Brille blickt freundlich in die Kamera, das Fernglas in der Hand
Als „Vogelguckerin“ wendet sich Silke Hartmann via Webseite und Instagram vor allem an Menschen, die Vögel grundsätzlich spannend finden, aber nicht wissen, wie und wo man sie am besten beobachten kann

Bevor wir darüber reden, möchte ich kurz eine Lanze für die „khakifarbenen älteren Herren“ brechen. Auch ich habe im Laufe der Jahre viele von ihnen kennengelernt, Wissenschaftler ebenso wie Hobby-Ornithologen. Und nach meiner Erfahrung überwiegen unter ihnen jene, die ihr Wissen leidenschaftlich gern teilen, anschaulich erklären und erzählen können. Vielleicht liegt es an meinem Alter und meiner Vorliebe für Khakihosen, aber ich frage mich doch: Braucht es wirklich diesen neuen, zeitgemäßeren Blick auf die Vogelwelt, für den du mit deinem Internet-Auftritt wirbst?

„All hands on deck“, das heißt für mich auch: Wir brauchen ein breites Spektrum von Angeboten. Der NABU und die ornithologischen Arbeitsgemeinschaften bieten an vielen Orten tolle Programme, aber eben längst nicht in allen. Und diese Veranstaltungen richten sich immer an ein allgemeines Publikum, an „alle“. Sie sprechen also niemanden direkt an. Das mache ich anders. Ich trete im Internet als Person auf, als die „Vogelguckerin“, mit meinem ganz subjektiven, auch emotionalen Zugang zur Vogelwelt. Man kann das mögen oder auch nicht, ich polarisiere durchaus. Aber ich registriere auch, dass ich viele anspreche, die mit den gängigen Angeboten nichts anfangen können.

Frauen sind in der Ornithologie nach wie vor unterrepräsentiert, ihre Arbeit ist zu wenig sichtbar. Deshalb biete ich ihnen eine Bühne

Das sind offenbar vor allem Frauen. Sie stellen die Mehrheit deiner Follower – jedenfalls nach dem Feedback auf deinem Insta-Account zu urteilen – und auch in deinem Podcast kommen ausschließlich Frauen zu Wort: zuletzt etwa die „Waldrapp-Mama“ Helena Wehner, die Autorin und Journalistin Kerstin Mauersberger und die Biologin und Illustratorin Véro Mischitz. Warum diese Fokussierung?

Ich schließe Männer nicht aus; sie stellen sogar ein Viertel meiner Follower. Aber mein Angebot richtet sich in der Tat gezielt an Frauen. Aus zwei Gründen: Frauen sind in der Wissenschaft, auch der Ornithologie, nach wie vor unterrepräsentiert, ihre Arbeit ist zu wenig sichtbar; deshalb biete ich ihnen in meinem Podcast – und demnächst auch in meinem Buch – eine Bühne. Außerdem glaube ich, dass es vielen Frauen so geht wie mir früher und sie sich in etablierten Gruppen fremd fühlen – auch, weil die Birder-Szene immer noch sehr männerlastig ist.

Ist sie das wirklich? Mein Eindruck ist eher, dass die Szene zunehmend jünger und weiblicher wird – das zeigt sich sogar bei den Jahrestagungen der Deutschen Ornithologischen Gesellschaft, wo früher die „Silberrücken“ weitgehend unter sich waren. Und beim diesjährigen Birdrace lag der Frauenanteil schon bei 37 Prozent!

„Schon“ ist gut. Immerhin sind es mehr als im Bundestag! Was aber nichts daran ändert, dass Männer die Birder-Szene immer noch dominieren. Und zwar nicht nur zahlenmäßig, sondern auch, was bestimmte Praktiken des Beobachtens und des Austauschs angeht. Männer neigen eher dazu, sich zu vergleichen, Vogelarten zu „sammeln“, auch mit sportlichem Ehrgeiz: Wer hat die längsten Artenlisten, die teuerste Ausrüstung, wer spürt die meisten Raritäten auf?

Braun, ocker und weiß gefärbte Ente mit dunklerem Scheitelstreif schwimmt nach rechts
Enten paaren sich gelegentlich auch über Artgrenzen hinweg. Diese Hybride aus Stock- und Hausente entdeckten Silke Hartmann und ihr Mann Kai Pätzke auf dem Göttinger Kiessee – und tauften sie wegen ihrer aparten Färbung „Yeti-Ente“.

Führst du nicht Buch über die Arten, die du beobachtet hast?

Doch, schon, aber nur, um für mich selbst zu dokumentieren, welche Vögel ich wann wo gesehen habe. Das ernsthafte „Sammeln“ von Vogelarten, bei dem es nur um das Abhaken von Namen auf einer Liste geht – das reizt mich ebenso wenig wie Fachdiskussionen über spezielle Altersfederkleider, Verwandtschaftsverhältnisse oder die Unterscheidung von jungen Großmöwen anhand der Handschwingenspitzen. Ich gehe raus zum Vogelgucken, weil ich es liebe, überrascht zu werden: von einem Gelbspötter zum Beispiel, der vorgestern noch nicht da war. Ich freue mich über das Wiedersehen mit der hellblonden Yeti-Ente, ich staune über die rasanten Flugkünste der Rauchschwalben. Diese Begeisterung kommt mir in Gesellschaft vogelbeobachtender Männer oft zu kurz.

Als Anfängerin bekam ich auf Fragen schon mal die Reaktion: Mädchen, lies erst mal ein Fachbuch, dann reden wir weiter

Wenn Männer eher zum Fachsimpeln, Sammeln und Wetteifern tendieren – was kennzeichnet dann den frauentypischen Blick auf die Vogelwelt? Nehmen Frauen Vögel, und Natur überhaupt, generell anders wahr, und wie?

Generell natürlich nicht Aber ich lehne mich mal so weit aus dem Fenster, zu behaupten: Frauen haben häufiger einen eher emotionalen Zugang zur Natur. Wir finden Vögel, Insekten, Säugetiere auch mal „süß“. Das habe ich von männlichen Ornis noch nie gehört. Frauen zeigen und teilen ihre Begeisterung, sind nicht so ergebnisorientiert. Männer dagegen freuen sich eher nach innen, und sie teilen ihr Fachwissen oft in einer Weise, die zugleich Status und Macht demonstriert.

Wie das denn?

Ich habe auf Exkursionen schon dumme Kommentare zu meinem Fernglas bekommen. Und wenn ich es früher gewagt habe, Anfängerinnenfragen zu stellen, waren die Reaktionen oft herablassend, so nach dem Motto: „Mädchen, lies erstmal dieses oder jenes Fachbuch, und dann reden wir weiter“.

Ich habe zum Glück ganz andere Erfahrungen gemacht – vielleicht, weil ich das Beobachten gemeinsam mit meinen Eltern gelernt habe. Und zu einer Zeit, wo man selbst mit einem mittelmäßigen Fernglas und einem Anfänger-Bestimmungsbuch fast schon als ornithologische Koryphäe durchging.

Da hast du tatsächlich Glück gehabt. Ich hatte niemanden, der mir die Vogelwelt hätte nahebringen können, weder meine Eltern noch irgendeinen Mentor oder gar eine Mentorin. Aber bei uns in der Nähe – ich bin in Nordhessen aufgewachsen – gab es einen Ententeich, da stand eine Schautafel mit Vogelarten, die hab ich mir immer angeschaut. Und gedacht, boah, ein Buntspecht! Ein Kleiber! Ich fand die Bilder toll, konnte mir aber überhaupt nicht vorstellen, dass ich die Vögel jemals in echt sehen würde. In meiner Vorstellung war der Buntspecht riesig, fast so groß wie eine Katze. Ein Fabelwesen, das niemand aus meiner Umgebung je gesehen hatte, und ich habe wirklich alle gefragt – Familie ebenso wie Freunde.

Frau hält zwei Kanadagänsen ein Sträußchen Kräuter und Löwenzahn hin, dahinter Wasser.
Natürlich weiß die „Vogelguckerin“, dass man Wildgänse nicht füttern sollte. Aber hier tut sie es unter Aufsicht und mit ausdrücklicher Erlaubnis der Wissenschaft, denn die Kanadagänse sind „Angestellte“ des Max-Planck-Instituts für Ornithologie in Seewiesen.

Du warst aber dann hartnäckig genug, um so lange auf eigene Faust zu suchen, bis du schließlich einen Buntspecht entdeckt hast. Und einiges andere wahrscheinlich auch.

Ja, aber es hat lange gedauert. Ich wusste zunächst gar nicht, wo ich nach Vögeln gucken sollte, und bei welchen Gelegenheiten. Ich dachte, Vögel leben im Wald, aber da habe ich nie welche gesehen, denn wenn ich im Wald unterwegs war, dann meist mit der ganzen Familie oder der Schulklasse. Da ließen sich natürlich kaum Vögel blicken. Irgendwann habe ich dann begriffen, dass man zum Beobachten besser allein oder mit wenigen Leuten losgeht und dass der Wald nicht der beste Ort ist, um als Anfängerin Vögel zu entdecken.

Aber eines Tages flog dir dann doch der Buntspecht über den Weg …

Den entdeckte ich beim Frühstück, vom Esszimmer aus an einem Baum im Nachbargarten. Ich war erst kurz enttäuscht, weil er so viel kleiner war, als ich ihn mir vorgestellt hatte, aber dann war ich natürlich total gehypt – wow, ich habe einen Buntspecht entdeckt, ganz allein! Das fand ich ganz super, eine kleine Offenbarung. Und solche Erlebnisse möchte ich heute möglichst vielen anderen verschaffen.

Ich möchte es Menschen leicht machen, Vögel zu entdecken. Meine Botschaft: Ihr braucht nichts zu wissen, geht einfach raus und macht Augen und Ohren auf

Ich verstehe jetzt besser, weshalb du in deinen Instagram-Posts so oft die absoluten Basics des Vogelbestimmens erklärst. Also den Unterschied zwischen Kohl- und Blaumeisen, oder dass nicht alle kleinen braunen Vögel Spatzen sind. Du richtest dich gezielt an diejenigen, die wirklich überhaupt keine Ahnung haben, so wie du damals. Ich frag mich nur: Muss man es den Leuten wirklich SO leicht machen? Wer ernsthaft vorhat, Vögel zu beobachten, sollte doch ein gewisses Grundinteresse aufbringen. Und sich zumindest ein paar Allerweltsarten schon mal näher angeguckt haben.

Natürlich kann man dieses Interesse voraussetzen. So, wie es der NABU oder andere Vereine tun, die Vogelexkursionen anbieten. Wer daran teilnimmt, hat meist schon auf eigene Faust mit dem Beobachten angefangen, ein Fernglas gekauft, einige Arten im Garten bestimmt. Aber es gibt auch Leute, die sind sich unsicher, ob das überhaupt was für sie ist, haben vielleicht auch Angst, sich bei einer Exkursion als ahnungslos zu outen. Oder wissen gar nicht, dass es überhaupt Vogelexkursionen gibt, und wie spannend Vögel sein können. Bei diesen Leuten setze ich an. Mit der Botschaft: Ihr braucht nichts zu wissen; macht einfach Augen und Ohren auf und geht raus. Ich möchte das Hobby Vogelbeobachten ein bisschen entzaubern. Und biete deshalb einen Zugang, der es Menschen am Anfang tatsächlich leicht macht.

Sechs braune, knapp storchengroße Vögel mit gebogenen Schnäbeln stehen im flachen Wasser einer Flussaue
Es gibt zum Glück Vögel, die selbst für ungeübte Beobachterïnnen auf den ersten Blick identifizierbar sind. Wie diese Sichler, ebenso seltene wie markante Gäste aus Südeuropa und Afrika, die im Mai 2023 in den Leineauen bei Göttingen Station machten.

Wen genau erreichst du mit dieser Botschaft?

Meine Durchschnittsfollowerin ist zwischen 25 und 44 Jahre alt, naturinteressiert und lebt in einer der zehn größten Städte Deutschlands. Aber mir folgen auch viele Landbewohnerinnen, die sich wieder mehr Verbindung wünschen mit ihrer natürlichen Umgebung – oder dem, was die intensive Landwirtschaft noch davon übriggelassen hat.

Du bietest auch Online-Kurse in Vogelbeobachtung und -bestimmung an. Von den Macherïnnen der Plattform naturgucker.de weiß ich, dass solche Kurse sehr gefragt sind, nicht nur zum Thema Vögel. Aber ich kann mir ehrlich gesagt nicht so richtig vorstellen, wie man das Wahrnehmen von Natur übers Internet vermitteln kann.

Mein Basiskurs für Einsteigerinnen beginnt mit einer simplen Aufgabe: Geh raus, schau, wie viele Vögel du siehst! Und dann setz dich hin und hör ihnen zu. In sechs Kurswochen stelle ich um die 30 Vogelarten vor, zeige zu jeder ein zehnminütiges Video, in dem ich erkläre, welche besonderen Merkmale sie hat, wie ihr Gesang klingt, wo sie nistet und in welchen Lebensräumen man sie entdecken kann. Dazu gibt es Arbeitsblätter mit Aufgaben für jede Woche. Der Aufruf am Ende lautet immer: Ab nach draußen mit dir! Denn schließlich lernt man, Vögel zu sehen nur, indem man selbst nach ihnen guckt. Ich helfe lediglich dabei, sie zu entdecken und wiederzuerkennen.

Wenn alle vogelbegeisterten Menschen von jeder Exkursion nur drei Teile Müll mit nach Hause brächten – das würde schon einen Unterschied machen

Auf die „Basics“ folgen dann aufbauende Kurse, wie zum Beispiel ein „Vogelstimmen-Bootcamp“. In dem du die ultimative, 100 Prozent zuverlässige und kinderleichte Methode vermittelst, Vogelstimmen zu erkennen und abzuspeichern …

Nein, denn die gibt es nicht. Ich denke, ich kann das ziemlich sicher sagen, weil ich anfangs sehr viele Lerntechniken gründlich ausprobiert habe, bei jeder Vogelart einzeln. Denn ich bin nicht besonders musikalisch und habe mich mit dem Erkennen und Merken schwergetan. Merksprüche, Visualisieren, Bilder assoziieren – keine der empfohlenen Techniken hat bei mir so richtig funktioniert. Am Ende habe ich festgestellt, dass ich mir Stimmen dann am besten merke, wenn ich sie nachsingen kann.

Das ist aber schwierig bei Vögeln, die keine einprägsamen Tonfolgen hervorbringen. Wie singst du zum Beispiel die Mönchsgrasmücke nach?

Ich bin sehr auf Sprache, auf Inhalte fokussiert. Mönchsgrasmücken erkenne ich eher an der Art, wie sie etwas „erzählen“, an ihrem Stimm-Charakter, ihrer akustischen Botschaft. Wenn ich die oft genug gehört habe, ist sie mir irgendwann so vertraut, dass ich sie innerlich mitsummen kann. Ich weiß, das klingt ein bisschen kompliziert. Deshalb würde ich auch nie behaupten, dass das die ideale Methode ist. Ich ermuntere die Teilnehmerinnen meiner Kurse vielmehr, alles auszuprobieren und rauszufinden, was für sie selber am besten passt. Mir ist es wichtig, dass sie begreifen: ‚Es liegt nicht an mir, wenn es nicht gleich klappt mit dem Wiedererkennen, ich habe einfach noch nicht die richtige Methode für mich gefunden.‘

Möwenschwarm vor Schilf und Bäumen, dahinter Türme einer Kirche
Lachmöwen segeln über dem Kiessee am Rand von Göttingen, der zu den beliebtesten Vogelhotspots in Südniedersachsen zählt – auch, weil dort immer wieder ungewöhnliche Arten auftauchen.

Auf deiner Webseite lese ich, dass du mit deinem Internet-Angebot eine doppelte Mission verfolgst: einerseits Menschen für Vögel zu begeistern, andererseits auch, die Welt für Vögel zu einem besseren Ort zu machen. Der zweite Anspruch klingt ganz schön ambitioniert. Wie wirst du ihm gerecht?

Das fängt mit kleinen Dingen an: Ich habe meinen persönlichen Konsum umgestellt und hinterlasse die Natur ein bisschen sauberer, als ich sie vorgefunden habe. Außerdem gebe ich allen Teilnehmerinnen meiner Kurse, aber auch meinen Insta-Followern, eine Art Verhaltenskodex mit auf den Weg. Sie sollen wissen: Verantwortungsvolle Beobachter und Beobachterinnen laufen nie querfeldein, verfolgen wegfliegende Vögel nicht, locken sie nicht mit Klangattrappen und nehmen selbstverständlich ihre Hunde an die Leine. Bei meinen Vogel-Rallyes gibt es außerdem immer die Zusatzaufgabe, unterwegs Müll aufzusammeln. Wenn alle Menschen, die sich für Vögel begeistern, von jeder Exkursion nur drei Teile Müll mit nach Hause brächten – das würde schon einen Unterschied machen.

Aber, bei allem Respekt: nur einen sehr kleinen, wenn man bedenkt, mit wie vielen riesigen Problemen die Vogelwelt zu kämpfen hat.

Das stimmt schon, und diese Probleme betreffen ja nicht allein die Vogelwelt, die nur einen kleinen Teil der gesamten Naturvielfalt bildet. Aber ich glaube – und hoffe – dass die Vögel für viele Menschen einen Zugang zu dieser Vielfalt eröffnen, eine Möglichkeit zu erkennen, dass jedes Lebewesen Teil eines großen Ganzen ist. Zu dem wir Menschen letztlich auch gehören! Und wenn man die Vögel einmal entdeckt hat – das ist meine zweite Hoffnung – dann verspürt man früher oder später auch den Wunsch, sie zu schützen. Weil man ja zwangsläufig sieht, dass es ihnen nicht gut geht.

Mit dem, was ich tue, verändere ich im besten Fall Leben. Und das lohnt sich definitiv, finde ich

Die „Vogelguckerin“ ist seit mittlerweile zweieinhalb Jahren im Internet präsent, seit 2022 auch mit eigenem Kurs- und Podcastangebot. Mittlerweile 4500 Menschen folgen dir auf Instagram. Das ist ordentlich, aber ist es nicht doch immer noch viel zu wenig, um die Welt zu einem besseren Ort für Vögel zu machen?

Es gibt schon Tage, an denen ich denke: „Meine Güte, ist doch total egal, ob sich fünf Leute mehr oder weniger für den Unterschied zwischen Feld- und Haussperling interessieren. Ist doch eh alles zu spät. Ich bleib heute lieber im Bett und bestell eine Pizza.“ Aber an guten Tagen sehe ich, dass ich etwas bewirke. Dass ich mit dem, was ich mache, die Wahrnehmung vieler Menschen verändere. Eine Teilnehmerin aus meinem allerersten Kurs hat ihren Job gekündigt und studiert, weil sie ihre Begeisterung für Vögel zum Beruf machen will. Eine andere bietet Vogelexkursionen für Kinder an. Eine engagiert sich im Stadttaubenschutz. Das sind nur drei der Beispiele, die zeigen: Das, was ich tue, verändert das Leben von Menschen, die dann ihrerseits wieder Leben verändern. Und das lohnt sich definitiv, finde ich – auch wenn ich noch keine zweieinhalb Millionen Followerinnen habe.

Frau in blauem Anorak auf einem Holzsteg, im Hintergrund schilfgesäumte Wasserfläche
Silke Hartmann zieht es zum Beobachten immer wieder ans Wasser – etwa einen Altarm der Elbe bei Magdeburg, wo sie vor Kurzem ihren ersten Fischadler des Jahres beobachtete.

Zum Schluss noch eine Frage an die reale „Vogelguckerin“: Wohin gehst du, wenn du selbst Vögel beobachten willst?

Ich wohne inzwischen in Göttingen, und wir sind hier im südniedersächsischen Bergland ganz gut ausgestattet mit spannenden Vogelbiotopen. Mein „Stammrevier“ ist der Kiessee direkt vor den Toren Göttingens. Dort überwintern Kormorane, hunderte Graugänse kommen zur Mauser vorbei und man kann dort immer auf Überraschungen gefasst sein. Vor ein paar Jahren war ein Rosenstar zu Gast; Ende Mai habe ich einen spannenden Entenhybrid aus Krick- und Reiherente entdeckt. Auf einer kürzlich renaturierten Ackerfläche am See haben sich Flussregenpfeifer angesiedelt, Kampfläufer Zwischenstopp gemacht. Mein letztes Highlight waren sechs Sichler, die ich dort morgens nach ihrem nächtlichen Zwischenstopp habe abfliegen sehen.

Wow. Hast du auch den Triel gesehen, den ersten für Süd-Niedersachsen gemeldeten, was Mitte Mai einen kleinen Birder-Auflauf verursachte?

Nee, den habe ich verpasst! Ich hatte an dem Nachmittag einen Termin, und abends hat es dauernd geregnet. Am nächsten Morgen war er schon wieder weg. Aber das ist okay. Ich vertraue darauf, dass die Vögel, die da sind, immer die richtigen sind.

VGWort Pixel