Umweltpolitik: Das Lebenselixier für den Multilateralismus

Trumpismus, Ukraine-Krieg und China-Nationalismus zum Trotz: Der Multilateralismus ist nicht tot. Die internationale Umweltdiplomatie erzielt ein Abkommen nach dem anderen und beweist die Schlagkraft globaler Verhandlungen

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Fahnenmasten ohne Fahnen vor dem Messegebäude Berlin.

Wer in den USA und auch in Europa als „Globalist“ bezeichnet wird, muss dies seit einiger Zeit nicht mehr als Kompliment für Weltgewandtheit, sondern als versuchte Beleidigung verstehen. Republikaner und Rechtspopulisten brandmarken mit dem Begriff Menschen, die nicht rein nationalistisch denken und handeln, sondern die multilaterale Ordnung hochhalten. Das Schimpfwort ist auch in Russland beliebt, das mit seinem Angriff auf die Ukraine so grundsätzlich gegen das Völkerrecht verstoßen hat, dass es sich damit aus dem multilateralen System vorerst ganz verabschiedet hat. Die kürzlich vor aller Welt zelebrierte russische Allianz mit dem ebenfalls zunehmend nationalistischen China führt zu einer neuen Blockbildung, bei der sich wie im Kalten Krieg zwei Antagonisten gegenüberstehen.

Bereits in den 1920er Jahren hat der Völkerbund es zum Grundprinzip der internationalen Diplomatie und Politik erklärt, dass nicht einfach jeder Staat versucht, seine Interessen auf Kosten anderer Staaten durchzusetzen, sondern auf dem Weg der Verhandlungen ein gemeinsamer Weg gefunden wird. Aus der Asche des Scheiterns bei diesem Ziel sind die Vereinten Nationen entstanden. In ihrer Charta verpflichten sich die Staaten, „eine internationale Zusammenarbeit herbeizuführen, um internationale Probleme wirtschaftlicher, sozialer, kultureller und humanitärer Art zu lösen“.

Russland, Trump und China zum Trotz: der Multilateralismus ist nicht am Ende

Doch schon lange wurde dieses Grundprinzip und die vielen internationalen Organisationen, die ihn tragen, nicht mehr so grundsätzlich infrage gestellt und attackiert wie heute.

Adieu, Multilateralismus?

Nein. Denn erfreulicherweise ist der Geist der internationalen Kooperation in einem Politikfeld, das enorm an Bedeutung gewinnt, nicht nur am Leben, sondern in einer so gar nicht zur politischen Wetterlage passenden Blütezeit. In der globalen Umweltpolitik reiht sich seit einer Weile eine gute Nachricht an die andere.

Menschen stehen mit ihren Laptops im Kreis in einer Konferenzhalle.
Ringen um jedes Wort: Bei den Verhandlungen in Montreal beraten Delegierte über das Weltnaturabkommen.

Die Erfolgsserie begann im März 2022 nach vierjährigen Vorarbeiten mit der Einigung bei der Umweltversammlung der Vereinten Nationen (Unea), bis Ende 2024 ein globales Abkommen für den Kampf gegen die Plastikverschmutzung zu schaffen. Ziel ist es, gemeinsam dagegen vorzugehen, dass jährlich viele Millionen Tonnen Plastik in der Umwelt landen.

Im November folgte ein Weltklimagipfel in Ägypten, der zwar keine bahnbrechenden Durchbrüche bei der CO2-Reduktion brachte, aber bei dem es die Staaten immerhin schafften, der seither auch vom Weltklimarat IPCC bestätigten Wahrheit ins Auge zu sehen. Bis zum Jahr 2030 muss der globale Ausstoß an Kohlendioxid um 43 Prozent im Vergleich zu 2019 sinken, um eine hochgefährliche Erwärmung abzuwenden, hieß es in der Abschlusserklärung (siehe IP Nr. 1/2023). So viel Ehrlichkeit gab es bisher nicht.

Weltnaturabkommen von Montreal markiert eine Sternstunde des Multilateralismus

Im Dezember 2022 dann gelang im kanadischen Montreal bei einem weiteren UN-Umweltgipfel ein Erfolg, der als historisch gelten kann: Mit dem Weltnaturabkommen gibt es seither einen umfassenden Fahrplan dafür, bis zur Mitte des Jahrhunderts den Niedergang der Biodiversität – also der Vielfalt von Lebewesen, Arten und Lebensräumen – zu stoppen. Das neuartige Abkommen, das über mehrere Jahre hinweg unter den erschwerten Bedingungen der Pandemie vorbereitet worden war, ist eine Blaupause zur Rettung der Natur: In 23 konkreten Zielen bis zum Jahr 2030 buchstabieren die Vertragsstaaten aus, wie sie die Zerstörung etwa von Regenwäldern und Korallenriffen beenden und dazu Milliardenbeträge zum Schutz der Natur umwidmen wollen. Die vereinbarten Maßnahmen werden den Staaten viel abverlangen.

Natürlich wurden an vielen Stellen Formulierungen abgeschwächt und Wörtchen eingefügt, die Juristen dazu nutzen können, die Verpflichtungen zu relativieren. Das Weltnaturabkommen stand zudem bis zur letzten Minute auf der Kippe, wegen Blockadeversuchen einzelner Staaten, aber auch, weil die Demokratische Republik Kongo noch kurz vor dem rituellen Hammerschlag für einen Beschluss versuchte, ihre Forderungen durchzusetzen. Der chinesische Umweltminister, der die Konferenz leitete, schlug unter großem Applaus in Sekundenschnelle auf den Tisch. Er musste sich für diese Eile zwar anschließend bei den Repräsentanten des Kongo entschuldigen. Aber auch das trübte das Happy End, von dem auch führende Wissenschaftler auf dem Gebiet der Biodiversität sprachen, nicht.

Umweltpolitik zeigt, wie internationaler Dialog funktionieren kann

2023 setzte sich der Höhenflug der globalen Umweltpolitik fort, als Anfang März in New York über einen gewaltigen Teil der Erdoberfläche und ihrer unterseeischen Tiefen verhandelt wurde. Das Besondere an der Hochsee ist, dass sie über Jahrhunderte außerhalb staatlicher Regeln genutzt worden war. Seit einem wegweisenden Traktat des niederländischen Philosophen und Juristen Hugo Grotius hatte die Maxime der „freien See“ gegolten, die ausgefeilten Regeln entgegenstand. Doch diese Ära endete nun endgültig.

Zwar haben die Mühlen der internationalen Diplomatie sehr langsam gemahlen. Das Seerechtsabkommens „Unclos“, das Regeln für die internationale Kooperation auf der Hochsee und dem schlicht „das Gebiet“ genannten Meeresboden unter ihr aufstellt, stammt bereits aus dem Jahr 1982. Bis zur Konferenz in New York klaffte eine riesige Lücke beim Schutz und bei der Nutzung der Lebewesen und Ökosysteme der Hochsee (siehe IP Nr. 1/2023), die jetzt geschlossen werden konnte.

Nachdem der weltweite Naturschutz bisher von national verantworteten Schutzgebieten geprägt war, werden künftig internationale Meeresschutzgebiete unter UN-Verwaltung möglich. Wer die Hochsee nutzen möchte, muss vorher den anderen Staaten die Umweltfolgen darlegen und diese minimieren. Vorbei auch die Zeit, wo Forscher und Firmen sich unkontrolliert aus dem Meer Genproben holen und damit Produkte mit enormen Umsätzen entwickeln konnten. Ein Teil der Einnahmen soll künftig in einen Fonds für den Naturschutz fließen. Zudem soll das Abkommen dafür sorgen, dass ärmere Länder Zugang zu marinen Technologien bekommen.

Natürlich waren alle diese Konferenzen keine blumigen Happenings mit Händchenhalten. Es wurde hart verhandelt, um jedes Wort gerungen. Doch genau darin besteht ja die Essenz des Multilateralismus: Diesen schwierigen Weg gemeinsam zu gehen, statt den Dialog zu beenden und nur die eigenen Ziele und Regeln im Blick zu haben.

Umweltpolitik hält das politische Ökosystem Multilateralismus am Leben

Dafür, dass der Multilateralismus ausgerechnet in der Umweltpolitik gelingt, gibt es verschiedene mögliche Erklärungen: Eine zynische Interpretation könnte lauten, dass man in Umweltfragen ohne Opportunitätskosten hehre Versprechen machen kann, die anschließend sowieso nicht eingehalten werden müssen. Dann würden die UN-Umweltkonferenzen für reine Schaufensterpolitik genutzt, die einen gut aussehen lassen, während in den Hinterzimmern die eigentlichen Deals laufen.

Diese Betrachtungsweise ist aber aus der Zeit gefallen. Denn längst ist die Umweltpolitik kein Nebenschauplatz mehr. Sie ist vielmehr immer stärker mit wirtschaftlichem Erfolg und den Finanzmärkten verzahnt. Klimafragen und neuerdings auch Biodiversitätsthemen rücken an Börsen und in Boardrooms mit ins Zentrum und entscheiden über Milliardeninvestitionen. „Soft“ ist an der globalen Umweltpolitik gar nichts mehr – und selbst der abgebrühteste Regierungschef dürfte inzwischen von Beratern oder gar Geheimdiensten die Analysen auf dem Tisch haben, wie ein Scheitern in der Umweltpolitik ausnahmslos jedem Land in Form von Hunger oder Naturkatastrophen um die Ohren fliegen könnte.

Deshalb ist am plausibelsten, dass das gewachsene Umweltbewusstsein die internationale Kooperation wie von selbst befördert. Ohnehin haben nationale Grenzen weder für das Klima noch für Ökosysteme an Bedeutung. Die Natur selbst ist ein gigantisches multilaterales Geflecht, von dessen Funktionieren unser Überleben abhängt. Während der Rechtspopulismus gegen den „Globalismus“ kämpft und der Ukrainekrieg neue Machtblöcke schafft, schafft die Umweltpolitik nicht nur bessere Lebensbedingungen. Sie sorgt auch dafür, dass der überragend wichtige Multilateralismus am Leben bleibt.

Dieser Artikel ist zuerst im Magazin „Internationale Politik“ erschienen.

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