World Wetlands Day: „Ohne Feuchtgebiete gäbe es uns uns nicht“

Zum UN-Welttag der Feuchtgebiete: Die Generalsekretärin der Ramsar-Konvention Musonda Mumba über die Bedeutung von Flüssen, Mooren und Seen für Mensch, Natur und Klimaschutz, den Zustand der Ökosysteme weltweit und ihr Lieblingsfeuchtgebiet in Deutschland.

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Ein Boot mit Vater und Sohn, der Vater hält ein Fischernetz in der Hand.

Seit 1997 wird in jedem Jahr am 2. Februar der Welttag der Feuchtgebiete begangen. Mit Veranstaltungen, Exkursionen und politischen Initiativen wollen die Vereinten Nationen an diesem Tag das Bewusstsein für die überlebenswichtige Rolle der Feuchtgebiete für Mensch und Erde schärfen. Das Datum wurde gewählt, weil am 2. Februar 1971 im iranischen Ramsar das erste UN-Abkommen zum Schutz und zur nachhaltigen Nutzung von Feuchtgebieten verabschiedet wurde. Heute gehören der Ramsar-Konvention 172 Staaten an.

Aus Anlass des World Wetland Days sprachen wir mit Musonda Mumba, der Generalsekretärin der Konvention.

Porträtfoto Musonda Mumba
Seit zwei Jahren ist die aus Sambia stammende Gewässerökologin Musonda Mumba Generalsekretärin der Ramsar-Konvention mit Sitz in Gland in der Schweiz. Die von 172 Staaten getragene Konvention koordiniert den Schutz und die nachhaltige Entwicklung von Feuchtgebieten weltweit.

Warum sollten sich Menschen für Feuchtgebiete interessieren, Frau Mumba?

Die kurze Antwort lautet: Weil Feuchtgebiete für unser aller Leben existenziell sind. Ohne sie gäbe es uns nicht.

Was meinen Sie damit?

Unsere gesamte Zivilisation dreht sich um Wasser und damit um Feuchtgebiete. Nicht ohne Grund sind fast alle Städte, alle Zentren des menschlichen Miteinanders, dort entstanden, wo es Wasser gibt, an Flüssen oder entlang anderer Feuchtgebietsökosysteme. Denken wir eine Minute nach und uns werden sehr viele überlebenswichtige Dinge einfallen, die aus Feuchtgebieten, aus Gewässern kommen. Trinkwasser, das sich ständig reinigt, Nahrung, Medizin, Transportmöglichkeiten – und in Zeiten des Klimawandels auf der einen Seite Schutz vor Hochwasser, und andererseits gespeicherte Wasserreserven für Dürreperioden oder auch Kühlung.

Warum wurden für den diesjährigen World Wetlands Day das Motto „Feuchtgebiete und menschliches Wohlergehen“ gewählt?

Der Aufenthalt am Wasser, in Feuchtgebieten gibt uns Inspiration, verschafft uns Erholung und psychische Gesundheit. Auch diese immateriellen Leistungen von Feuchtgebieten wollen wir hervorheben.

Viele Menschen werden die Ramsar-Konvention nicht kennen. Was ist ihre Aufgabe?

Unsere Hauptaufgabe ist es, sicherzustellen, dass die Mitgliedstaaten unseres Übereinkommens den globalen Schatz der Feuchtgebiete auf eine nachhaltige, für Mensch und Natur verträgliche Art und Weise nutzen. Weil zum Beispiel Flüsse, ebenso wie der gesamte Wasserkreislauf, keine staatlichen Grenzen kennen, ist die internationale Zusammenarbeit beim Schutz von Feuchtgebieten der Schlüssel zu deren Erhalt. Ohne einen multilateralen Ansatz kämen wir nicht weit, und diesen Prozess für die inzwischen 172 Unterzeichnerstaaten der Ramsar-Konvention zu organisieren, ist eine der wichtigsten Aufgaben unseres Sekretariats.

Was heißt das in der Praxis?

Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Ich spreche aus Genf mit ihnen. Die Schweiz ist die Wiege von vier Flüssen oder ihrer wichtigsten Nebenflüsse in ganz Europa – Rhône, Rhein, Donau und Po. Wie die Schweiz mit ihren Feuchtgebieten umgeht, was mit den Gletschern hier passiert, das geht nicht nur die Schweiz selbst etwas an. Es ist sehr wichtig für über ein Dutzend Länder bis zum Schwarzen Meer, dem Mittelmeer und der Nordsee. Oder nehmen wir die Brände, die durch das Austrocknen von Mooren in Indonesien, in Kanada oder Sibirien entstanden sind: Rauch und Kohlendioxid machen nicht an politischen Grenzen halt. Deshalb ist es eine unserer wichtigsten Aufgaben, die kluge Nutzung dieser Ressourcen zu organisieren und den Staaten mit fachlicher Expertise zur Seite zu stehen.

Die Ramsar-Konvention ist auch Namensgeberin für die gleichnamigen Schutzgebiete in aller Welt. Was hat es damit auf sich?

Wir können nur schützen, was wir kennen. Deshalb gehört es zu unseren Aufgaben, die Feuchtgebiete zu ermitteln, die international besonders wichtig sind, damit sie als „Ramsar-Gebiete“ geschützt werden können. Inzwischen gibt es mehr als 2400 Ramsar-Gebiete. Damit bilden sie das weltweit größte Schutzgebietsnetz mit einer Fläche von mehr als 2,5 Millionen Quadratkilometern.

Können Sie einige Beispiele nennen?

Die Gebiete spiegeln die ganze Vielfalt von Feuchtgebieten. In Afrika und Asien sind Mangrovenwälder Schlüsselökosysteme, die als Ramsar-Gebiete geschützt werden. Indem ihre Regierungen sie schützen, leisten sie auch einen wichtigen Beitrag zur Ernährungssicherheit dort, denn Mangroven sind wichtige Brutstätten für Fische. Großflächige Ramsar-Schutzgebiete von vielen tausend Quadratkilometern finden sich in Brasilien oder im Kongo, andere sind nur klein. In der Schweiz ist sogar ein Gletscher als Ramsar-Gebiet ausgewiesen.

Blick auf die Hallig Oland, Drohnenfoto
Das Wattenmeer entlang der Nordseeküste gehört zu den weltweit wichtigsten Ökosystemen.

Wie sieht es in Deutschland aus?

Deutschland hat mehr als 30 Ramsar-Gebiete, darunter das Wattenmeer, Abschnitte von Rhein, Elbe und Havel, aber auch die großen Voralpenseen.

Die meisten Feuchtgebiete sind nicht über die Ramsar-Konvention geschützt. Wie steht es insgesamt um sie?

So unterschiedlich Feuchtgebiete sind – Flüsse, Moore, Seen, Watt, Gletscher – so eindeutig ist die Antwort auf diese Frage: Sie sind in keinem guten Zustand. Wir haben allein seit 1970 weltweit mehr als ein Drittel unserer Feuchtgebiete verloren. Ihre Zerstörung schreitet dreimal so schnell voran wie die Abholzung von Wäldern.

Woran liegt das?

Das meiste hat mit zu starker menschlicher Nutzung zu tun, vor allem durch Landwirtschaft. Auch der Klimawandel spielt eine große Rolle, und immer häufiger kommt beides zusammen. Das ist ein weltweites Problem. Es zeigt sich in Europa und auf allen anderen Kontinenten. Die Wasserkrise ist global. Davon sind auch Ramsar-Schutzgebiete nicht ausgenommen.

Wo sind die Hotspots dieser Krise?

Nehmen wir die großen Seen. Das sind Ökosysteme, von denen jeweils Millionen Menschen abhängen. In Südamerika trocknet der Titicacasee aus, in Zentralasien der Aralsee und in Afrika ist der Tschadsee dramatisch zusammengeschrumpft. Riesige Wasserspender und bestimmende Räume für Millionen Menschen und natürlich Tiere und Pflanzen. Diese Lebensräume schwinden. Der Tschadsee zum Beispiel ist schon um 95 Prozent geschrumpft, wegen der übermäßigen Entnahme von Wasser für die Landwirtschaft und durch den Klimawandel. Davon sind viele Länder betroffen: Niger, der Tschad, Nigeria und Kamerun. Daraus entstehen weitreichende Probleme: Ökologisch, sozial, ökonomisch.

Manchmal sogar militärisch …

Richtig, auch das. Der richtige Umgang mit Wasser kann eine Frage von Krieg und Frieden sein. Die Krise dort führt zu Konflikten und schürt Gewalt und damit Migrationsprobleme. Ein anderes Beispiel: Ägypten als ein Land, das flussabwärts am Nil liegt, muss eine Vielzahl diplomatischer Beziehungen flussaufwärts unterhalten, denn wenn dort Staudämme gebaut werden, hat das enorme Auswirkungen auf Ägypten und seine Landwirtschaft, die vom Wasser des Nils abhängig sind. Wegen dieser Zusammenhänge ist das Element des Dialogs, des Konsenses, des Multilateralismus so wichtig. Denn scheitert der Dialog, endet das schnell im Krieg.

Ein dicht bewachsener Fluss
Flussökosysteme sind Hotspots der Artenvielfalt, Trinkwasserlieferanten und Kohlenstoffsspeicher.
Gegenlichtaufnahme eines Bootes mit drei Menschen im flachen Wasser.
Lebensraum Wasser. Szene aus einem Flussdelta in Benin.
Kinder springen in einen Fluss im Westen Afrikas
Erfrischung und Lebensqualität: Auch sie gehören zu den sogenannten Leistungen von Ökosystemen für Menschen.

Wie sehr fürchten Sie um die Feuchtgebiete am Mittelmeer?

Wir haben in einigen Regionen am Mittelmeer eine sehr schwierige Situation. In Ländern wie Italien und Griechenland gab es zuletzt Temperaturen von über 50 Grad. Das bedeutet, dass der Boden nicht in der Lage ist, Feuchtigkeit zu erhalten und produktiv zu sein. Es ist also höchste Zeit, dass die Länder im Mittelmeerraum gemeinsam Lösungen suchen, um ihren Wasserhaushalt so gut wie möglich in Ordnung zu bringen. Da ist Eile geboten. Wenn 2023 das wärmste Jahr der Geschichte war, weiß ich nicht, was 2024 sein wird. Die Zeit läuft uns davon.

Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen spricht in diesem Zusammenhang von Feuchtgebieten als den „unbesungenen Helden des Klimaschutzes“. Zu Recht?

Nehmen Sie die Moore. Weltweit machen sie nur drei Prozent der Landfläche aus, binden aber doppelt so viel Kohlenstoff wie alle Wälder des Planeten zusammen. Wir wissen aus den Berichten des Weltklimarates, dass das im Pariser Klimaabkommen vereinbarte Ziel, die Erderwärmung möglichst auf 1,5 Grad zu begrenzen, sich nur erreichen lässt, wenn der Beitrag natürlicher Ökosysteme voll ausgeschöpft wird.

Viele Boote ankern vor einem Steg, von dem aus über einen dicken Schlauch Wasser in Kanister auf den Booten gepumpt wird.
Feuchtgebiete sind eine überlebenswichtige Trinkwasserspender für lokale Gemeinschaften, hier im westafrikanischen Benin.
Ein Mangrovenreiher sitzt auf einem Ast
Mangrovenwälder sind Hotspots der Artenvielfalt. Eine Vogelart trägt sogar ihren Namen: der Mangrovenreiher
Eine Bootsspitze und Mangrovensümpfe
Viele Mangrovensümpfe sind nur über Boote zu erreichen.

Sie sprechen hier den sogenannten natürlichen Klimaschutz an. Welche Rolle spielen hier Feuchtgebiete?

Feuchtgebiete stehen im Zentrum naturbasierter Lösungen für den gleichzeitigen Schutz von Klima und Biodiversität. Wenn wir die Mangrovenwälder Afrikas und Indonesiens bewahren, verhindern wir die Freisetzung riesiger Mengen Kohlenstoffs, sichern den Menschen ihre Ernährung und helfen einer Vielzahl von Tieren beim Überleben. Solche Ökosysteme reinigen das Wasser, schützen die Dörfer vor Überflutungen, sind Lebensraum vieler Tierarten. Solche wunderbaren Dinge leisten auch andere Feuchtgebiete. Gerade die Rolle der Natur bei der Anpassung an den Klimaschutz waren lange fast ausschließlich ein Thema für den globalen Süden. Das hat sich mit den Katastrophen der letzten Jahre in Europa geändert – mit den verheerenden Überschwemmungen, Bränden und Hitzewellen.

Können Sie ein Erfolgsbeispiel nennen?

Mich begeistert zum Beispiel der Weg, den Costa Rica gegangen ist. Als erstes Land hat es eine „Blue-Carbon-Strategie“für seine Mangrovenwälder entwickelt. Das Land hat zugesagt, im Kampf gegen den Klimawandel sämtliche seiner Feuchtgebiete an der Küste zu schützen. Damit werden Emissionen verhindert und eine unglaublich reiche Artenvielfalt bewahrt. Ich habe mir das angesehen. Es ist beeindruckend, wie dort die Mangrovenökosysteme bewirtschaftet werden, aber auch frühere Zuckerrohrplantagen renaturiert werden, obwohl Zucker eines der Hauptexportprodukte ist.

Drohnenaufnahme eines Waldmoores inmitten eines Buchenwaldes im Herbst
Wiedervernässte Waldmoore, wie hier in Brandenburg, sind Hotspots der Artenvielfalt.

In der EU steht das sogenannte Renaturierungsgesetz kurz vor seiner Verabschiedung. Es wurde im Verhandlungsprozess gerade beim Thema Feuchtgebiete abgeschwächt, aus Rücksicht auf Landwirte. Erwarten Sie trotzdem eine positive Wirkung?

Ja, ganz eindeutig. Ich bin sehr zuversichtlich, denn was jetzt geschieht, ist ein echter Aufbruch. Ich setze große Hoffnung in das Gesetz.

Warum glauben Sie, dass sich ausgerechnet jetzt etwas ändern wird?

Das hat viel mit den dramatischen Erfahrungen zu tun, die viele Menschen in den vergangenen Jahren hier in Europa gemacht haben. Die Tatsache, dass in den Hitzesommern Lastwagen Wasser in Flussregionen bringen mussten, die sonst andere Gegenden mit Wasser versorgen; dass Flüsse wie Rhein, die Loire, die Rhône auf großer Fläche trockengefallen sind –das hat die Menschen schockiert und grundlegende Fragen darüber aufgeworfen, was mit unseren Wasserquellen geschieht, wie wir weitermachen wollen. Es ist etwas ins Rutschen geraten, das wir dringend wieder in Ordnung bringen müssen. Geradezu sinnbildlich hat das eine wissenschaftliche Studie gezeigt, die belegt hat, dass wir so viel Grundwasser abgepumpt haben, dass sich sogar die Neigung der Erde verändert. Das muss man sich vor Augen halten.

Was kann jede und jeder einzelne tun, um Feuchtgebiete zu bewahren?

Unser Konsumverhalten ist äußerst problematisch. Wie wir uns kleiden, was wir einkaufen, das hat einen großen Effekt. Das wunderbare Feuchtgebiet der Coto Donana in Südspanien zum Beispiel trocknet aus, weil dort zu viel Wasser entnommen wird. Nur, weil wir einen unersättlichen Appetit darauf haben, auch im Winter Erdbeeren zu essen. Verbraucherinnen und Verbraucher müssen verstehen, dass ihre Nachfrage zu Konsequenzen an einem anderen Ort führt. Für Palmöl, das in unseren Süßigkeiten oder Kosmetika steckt, werden Moore in Indonesien zerstört. Oder das Lithium in den Telefonen, die wir alle benutzen. Es stammt fast vollständig aus Feuchtgebieten. Ich sage nicht, dass man Lithium nicht verwenden darf, aber ich plädiere dafür, mehr darüber zu sprechen, wie wir Produkte und Rohstoffe schonender und weniger umweltschädlich nutzen oder eben wiederverwerten können.

Wenn Sie einen Wunsch an die Politik frei hätten, wie würde dieser lauten?

Politik sollte mehr auf junge Menschen und indigene Völker hören, denn sie haben uns schon lange gewarnt. Vor allem junge Menschen zeigen mit viel Elan und Veränderungswillen und fordern wirklich viel Aktion und auch Reflexion. Auch indigene und traditionelle Völker haben uns in vielen Teilen der Welt vor den Veränderungen in der Natur gewarnt. Und viele Politiker haben lange Zeit nicht auf sie gehört.

Haben Sie auch in Deutschland ein Feuchtgebiet, das Ihnen besonders gut gefällt?

Ich glaube, der schönste Ort, den ich in meinen jungen Jahren gesehen habe und der sich so sehr in mein Gedächtnis eingebrannt hat, dass ich viele Jahre später wiederkommen musste, ist das Elbtal. Ich war damals Ende der 1990er in Dresden und habe so etwas noch nie gesehen: Den Fluss, die Felsen, es ist eine der spektakulärsten und faszinierenden Landschaften, die ich kenne. Jedes Mal, wenn ich mit Freunden spreche, die ich in den 90er Jahren in Dresden kennengelernt habe, frage ich, wie es dort heute aussieht. Ich liebe diese Region. Sie ist wirklich atemberaubend.

Was ist Ihre persönliche Botschaft zum Welttag der Feuchtgebiete?

Ich möchte möglichst vielen Menschen vermitteln, dass unser Alltag eng mit Feuchtgebieten verbunden ist: Wie wir leben, wie wir essen, was wir einatmen, hängt mit ihnen zusammen. Es macht uns glücklich, wenn wir einen schönen Bach, einen See oder einen Fluss besuchen. Feuchtgebiete sind aber nicht selbstverständlich da, sondern durch uns bedroht. Sie brauchen unseren Schutz.

Die Recherche zu diesem Beitrag wurde durch die Andrea von Braun Stiftung gefördert.

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