Protest gegen Moor-Zerstörung durch Stausee im Platzertal

Naturschützer fordern mit Aktion Stopp des Ausbaus des Wasserkraftwerks Kaunertal

vom Recherche-Kollektiv Flussreporter:
14 Minuten
Weißes Transparent über Gebirgsbach

Für den Umbau des Speicherkraftwerkes „Kaunertal“ zu einem Pumpspeicherkraftwerk soll Wasser aus dem Ötztal abgeleitet und zwei Täler weiter im Platzertal aufgestaut werden. Dadurch würde ein Moor-Feuchtgebiets-Komplex mit einer Fläche von mehr als sechs Hektar zerstört. Mit einer Aktion im Platzertal haben Gegnerïnnen dieser Pläne ihren Protest gezeigt. Ein Lokalaugenschein.

„Platzertal bleibt!“ steht auf dem 50 Meter langen und fünf Meter hohen Banner, das Naturschutzorganisationen und junge Wissenschafterinnen am Morgen des 8. Juli 2023 im Platzertal in den Ötztaler Alpen in Tirol aufspannen. 24 Aktivistïnnen von WWF Österreich, Global 2000, Wildwasser erhalten Tirol, Lebenswertes Kaunertal und River Collective ziehen das Banner auf einem Drahtseil quer über den Platzerbach und stabilisieren es mit langen Seilen gegen den Wind. Die Aktion wird fotografiert und gefilmt und soll darauf aufmerksam machen, dass das Platzertal davon bedroht sei, für die Stromproduktion geopfert zu werden.

Banner weht im Wind über alpinem Hochtal
24 Aktive haben im Platzertal ein Banner gespannt als Protest gegen das Kraftwerksprojekt.

Der Wind weht stark in Richtung mehr erneuerbare Energie – „grüne“ Energie, wie Kraftwerksbetreiber und Politik sie gerne nennen. Doch Strom aus Wasserkraft sei nicht „grün“, wenn damit Flüsse beeinträchtigt oder ganze Flusstäler zerstört werden, betonen Naturschutzorganisationen und Wissenschafterïnnen seit vielen Jahren. Ein Wasserkraftwerk störe das Flusskontinuum, also die Möglichkeit für Fische, Schnecken, Insektenlarven und Pflanzen, in und an einem Fluss auf und ab zu wandern. Jedes Querbauwerk verhindere außerdem den Weitertransport des Geschiebes, also Kies und Sand, wodurch sich der Fluss unterhalb der Barriere immer tiefer in die Landschaft eingrabe und die Verbindung mit der Aulandschaft oder dem Grundwasser verliere.

Der Plan der Tiroler Wasserkraft AG TIWAG, das bestehende Kraftwerk „Kaunertal“ zu einem Pumpspeicherkraftwerk auszubauen, hätte sogar Auswirkungen auf mehrere Täler und Flüsse in Tirol: Im Ötztal sollen dafür die Venter und die Gurgler Ache aufgestaut und ihr Wasser bis zu 80 Prozent über einen Stollen in den zwei Täler weiter gelegenen Gepatschspeichersee im Kaunertal abgeleitet werden. Dort soll ein Krafthaus gebaut werden, zusätzlich zu dem bestehenden in Prutz am Inn. Vom Kaunertal soll ein Stollen in das Platzertal führen und etwa zwei Drittel des wenig berührten Hochtals in einen Speichersee verwandeln. Dafür soll auf etwa 2350 Meter Seehöhe an der engsten Stelle des Tals, an eben jener Stelle, an der am 8. Juli das Banner „Platzertal bleibt!“ im Wind weht, ein 120 Meter hoher Staumdamm aufgeschüttet werden.

Taleinwärts würden der Boden und die gesamte Vegetation samt der an Land und im Wasser lebenden Tiere bis auf den felsigen Untergrund mit Baggern ausgeräumt und das Tal mit dem Wasser des Platzerbaches und Zuleitungen aus dem Ötztal von der Venter und der Gurgler Ache und ihrer Zuflüsse geflutet werden. Der Staubereich würde nach Auskunft des Projektleiters der TIWAG, Wolfgang Stroppa, eine Fläche von 90 Hektar haben.

Das Wasser soll dann zwischen dem Gepatschspeicher im Kaunertal und dem Platzertal hin und her gepumpt oder zur Stromerzeugung ins Kaunertal oder nach Prutz und danach in den Inn abgeleitet werden. Für den unteren Teil des Platzertals und die weiter unten gelegenen Wiesen und Wälder bliebe nur noch das sogenannte Restwasser.

Weites Hochtal mit mäanderndem Bach
Wenn im Platzertal ein Stausee errichtet würde, würde hier nur mehr wenig Wasser ins Tal fließen.

Die Naturschutzorganisationen warnen, dass das Kraftwerksprojekt vielfache Auswirkungen hätte. Es würde im Tiroler Oberland das Ötztal, das Kaunertal, das Platzertal und das Inntal betreffen und Auswirkungen auf die Flüsse und Flusslandschaften, die Wasserversorgung, die Bewirtschaftung der Almen, die Landwirtschaft und den Tourismus haben. Am Inn würde die Belastung durch Schwall und Sunk, also das plötzliche Ansteigen und Abschwellen des Wassers, größer. Die NGO Lebenswertes Kaunertal befürchtet außerdem, dass der Pumpbetrieb das Risiko von alpinen Naturgefahren erhöhen könnte. Die Hänge des Gepatschspeichers seien bereits instabil und könnten auf häufige Wechsel des Wasserstandes im Speichersee mit größeren Murenabgänge oder Hangrutschungen reagieren.

Breiter Widerstand gegen Kraftwerksausbau

35 Organisationen, NGOs und Vereine aus den Bereichen Umwelt- und Naturschutz, Alpenschutz, Lebensraumschutz und Wassersport sowie zwölf Wissenschafterïnnen fordern seit langem, das Projekt „Ausbau Kraftwerk Kaunertal“ zu stoppen. An die 25.000 Menschen haben bis 10. Juli die entsprechenden Petitionen von WWF und Global 2000 unterzeichnet.

Idyllisches Platzertal würde verschwinden

Das Platzertal ist ein wenig berührtes Hochtal. Von hier aus sieht man keinerlei menschliche Eingriffe wie Stromleitungen, Liftstützen oder Schneekanonen. Das ist in der stark ausgebauten alpinen Landschaft Tirols eine Seltenheit.

Von etwa Mitte Juni bis Mitte September wird das Platzertal als Weide für Mutterkühe und Jungrinder genutzt. Die Tiere können sich im Tal und auf den Hängen frei bewegen und fressen und erhalten so die offenen Wiesen, auf denen man eine große Vielzahl an Gräsern, Kräutern und Blumen entdecken kann. Auf den Steinen dazwischen wachsen Moose und Flechten.

Im unteren Platzertal gibt es die Platzeralm, eine einfache Almhütte für die Almhüter und ein Stallgebäude. Wanderer und bergaffine Radfahrer, die von Pfunds über die steile Alpstraße gehen oder fahren, können sich bei der Platzeralm stärken. Abgesehen von ihren Gesprächen, Kuhglockengebimmel und gelegentlichen Warnpfiffen der Murmeltiere ist es ruhig im Platzertal. Ab und zu steigen Wanderer noch weiter hinauf und schauen sich das rund 500 Jahre alte ehemalige Erzbergwerk im Platzertal an, das in den vergangenen 15 Jahren von einem lokalen Verein und Freiwilligen restauriert wurde.

Grüne Almwiesen, im Hintergrund Berge
Das Platzertal Blick taleinwärts. Links oben sieht man die historischen Bergwerksgebäude und einen Stollen.

Kraftwerksprojekt bedroht Moore und Feuchtgebiete

Der Platzerbach schlängelt sich durch das Tal und hat an vielen Stellen selten gewordene Moore und Feuchtwiesen geschaffen, die für die Biodiversität, den Wasserrückhalt und den Klimaschutz von großer Bedeutung sind. „Moore bedecken drei Prozent der Landfläche der Erde und in den Mooren sind 30 Prozent des Kohlenstoffs in allen Böden und in der Atmosphäre der Erde gespeichert. Moore spielen deshalb eine bedeutende Rolle für den Kohlenstoffhaushalt der Erde“, erklärte der Moorforscher Gert Michael Steiner, emeritierter Professor der Universität Wien, bei einem Besuch des Platzertals im Herbst 2022. Er hat vor rund 40 Jahren begonnen, den ersten Österreichischen Moorschutzkatalog zu erstellen, und hat an der aktuellen Moorstrategie des Landes mitgearbeitet.

Werden Moore durch Drainagierung oder auf andere Weise geschädigt oder zerstört, wird das im Torf gespeicherte Kohlendioxid wieder an die Atmosphäre abgegeben und trägt damit zur Klimaerhitzung bei. Der Schutz von Mooren gilt deshalb unter Fachleuten als besonders wichtig für den Klimaschutz. Gleichzeitig sind Moore und Feuchtwiesen ökologisch sehr wertvoll. „In Mooren leben Arten, die unter den Bedingungen der dauernden Wassersättigung wachsen können. Das sind zum Teil Arten, die seit Jahrtausenden, zumindest ab der Eiszeit, in diesen Feuchtgebieten auftreten. Wenn wir diese zerstören, verlieren wir viel für unsere Biodiversität“, sagt Gert Michael Steiner.

Mann in roter Wanderjacke in Almtal
Der Moorforscher Gert Michael Steiner im Platzertal im Herbst 2022.

Seitens des Kraftwerksbetreibers TIWAG heißt es, die Zerstörung der Moore und Feuchtgebiete im Platzertal würde durch Naturschutzmaßnahmen an anderen Stellen ausgeglichen werden. Doch Moore, die sich über sehr lange Zeiträume bilden, seien nicht wiederherstellbar, so das Urteil des Moorforschers.

Wegen der drohenden unwiederbringlichen Zerstörung des Moor-Lebensraumes im Platzertal sieht auch der Biologe und Tiroler Umweltanwalt Johannes Kostenzer das Kraftwerksprojekt sehr kritisch: „Wir müssen uns bewusst sein, dass solche Moorbereiche, wie wir sie da im Platzertal vorfinden, mehrere 100 Jahre, wenn nicht 1000 Jahre benötigen, um in diesen Zustand zu kommen. Das ist auch ein Grund, warum sie so ein starker CO2-Binder sind. Es ist uns unmöglich als Menschen, so etwas nachzubauen oder zu rekonstruieren.“ Für diese empfindlichen alpinen Lebensräume trage Österreich auch auf europäischer Ebene Verantwortung.

Weltweit wurden in der Vergangenheit viele Moore trockengelegt, in Ackerflächen umgewandelt oder durch andere Maßnahmen zerstört, wie der „Mooratlas 2023“ von Heinrich-Böll-Stiftung, Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland und Michael Succow Stiftung zeigt. In Österreich beträgt die Moorfläche nach Schätzungen zwischen 26.000 und 30.000 Hektar. Es handle sich dabei nur noch um einen Bruchteil jener Moorfläche, die einst in Österreich existiert hat, heißt es im Mooratlas. Davon seien nur 2,3 Prozent naturnah und 1,3 Prozent renaturiert, der Rest der verbliebenen Moorflächen befinde sich in einem schlechten Zustand.

Feuchtwiese mit Wollgras
Diese Moore und Feuchtgebiete müssen geschützt werden, fordern Naturschutzorganisationen.
Frosch auf Wiese neben Schlammfläche
Für Frösche und andere Tiere würde der Lebensraum knapp.
Feuchtwiese
Im Platzertal gibt es mehr als sechs Hektar wertvoller Moore und Feuchtwiesen.

Moor und Feuchtgebiete im Platzertal besonders wertvoll

Für den ersten Moorschutzkatalog aus dem Jahr 1992 wurden allerdings nur Moore bis zur Baumgrenze erfasst. Über 2000 Meter Seehöhe wäre die Kartierung zu aufwändig gewesen, sagt der Moorforscher Gert Michael Steiner rückblickend.

Im Auftrag der Naturschutzorganisation WWF hat der Ökologe Marlon Schwienbacher deshalb im vergangenen Jahr hochalpine Moorlandschaften in Österreich per Fernerkundung erfasst. Aus Infrarot-Luftbildern, Höhenlinien, Gewässer-Daten und dergleichen mehr hat er 34 hochalpine Moor-Feuchtgebietsflächen identifiziert, die sehr abgeschieden sind und deshalb vermutlich noch weitgehend in gutem Zustand. Bis auf eine in Kärnten befinden sich alle in Tirol, und da vor allem in den Ötztaler Alpen. „Das Platzertal ist ein besonders wertvoller Spot für die Moor-Feuchtgebietskomplexe. Hier gibt es enorm große Flächen mit über 20 Hektar und das Tal ist abgeschieden. Deswegen sind diese Moor-Feuchtgebietskomplexe noch intakt und deswegen ist es besonders wichtig, diese Flächen dauerhaft zu erhalten und zu schützen“, erklärt Marlon Schwienbacher. Außerdem wäre es wichtig, die von ihm identifizierten Flächen aufzusuchen und zu kartieren, um seine Fern-Analyse zu verifizieren, sagt er. Er selbst konnte sich Anfang Juli beim Besuch des Platzertals während der Protestaktion „Platzertal bleibt!“ davon überzeugen, wie artenreich die Feuchtgebiete dort sind. Trotzdem stehen die Moore im Platzertal nicht unter Naturschutz.

Junger Mann mit Rucksack in Alpental
Der Ökologe Marlon Schwienbacher hat untersucht, wo in den Alpen es noch intakte Moorflächen gibt. Das Platzertal ist ein Hotspot dafür.

Antrag auf Naturschutz abgelehnt

Angesichts der Erkentnisse von Marlon Schwienbacher haben der WWF Österreich, die IG Moorschutz und Wissenschafterïnnen im März 2023 beim Tiroler Naturschutz-Landesart René Zumtobel von der SPÖ beantragt, das Platzertal unter Naturschutz zu stellen. Zumtobel lehnte dies umgehend ab. Zwei Wochen später gab seine Pressestelle bekannt, dass Tirol gemeinsam mit vier weiteren Bundesländern ein Projekt zur Renaturierung von Mooren bei der EU-Förderschiene LIFE einreichen werde. In den nächsten zehn Jahren sollen dafür 44 Millionen Euro investiert werden. Warum er gleichzeitig das noch intakte Moor im Platzertal nicht schützen wolle, erklärte René Zumtobel auf Nachfrage damit, dass er nichts von einer anlassbezogenen Schutzgebietserstellung halte. Er vertraue darauf, dass die Fachleute des Landes und externe Gutachter, die die Umweltverträglichkeit des Kraftwerksprojektes im Rahmen der Umweltverträglichkeitsprüfung beurteilen müssen, alles eingehend prüfen und im öffentlichen Interesse entscheiden würden. „Am Ende ist eine Abwägung zwischen Naturschutz und Klimaschutz, leider könnte man sagen, notwendig. Denn wenn ich was für den Klimaschutz tue, braucht es unter Umständen oder wahrscheinlich auch einen Eingriff in den Naturschutz. Wir wollen die Energie-Autonomie schaffen und dann werden wir einfach auch mehr Energie erzeugen müssen“, so Zumtobel.

Sonne und Wind statt Wasserkraft

Bettina Urbanek, Gewässerexpertin von WWF Österreich, sieht das anders: „Es gibt in Österreich schon über 5.200 Wasserkraftwerke und über 1.000 davon stehen in Tirol. Dieser weitere Ausbau ist extrem heikel, weil es nur mehr ganz wenig intakte Flussstrecken gibt. In Österreich sind nur mehr 14 Prozent in einem sehr guten ökologischen Zustand. Diese letzten intakten Strecken und Schutzgebiete muss man deshalb in Ruhe lassen.“ Stattdessen sollte der Strom- und Wärmebedarf mit Photovoltaik, Wind und Geothermie gedeckt werden. In Tirol gebe es in diesen Bereichen noch großes, bisher ungenutztes Potential.

Frau steht auf großem Stein an Gebirgsbach
Bettina Urbanek, Gewässerexpertin des WWF Österreich
Gelbe Blume vor einem Stein
Im Sommer zeigt sich die volle Pracht der Natur im Platzertal. So findet man z.B. den Gepunkteten Enzian.

Angst vor öffentlicher Kritik am Projekt

Wenn in den Gemeinden des Tiroler Oberlandes über das Kraftwerksprojekt gesprochen wird, fragen Bürgerïnnen immer wieder, ob Tirol tatsächlich mehr Strom aus Wasserkraft erzeugen müsse und die weitere Verbauung von Flüssen alternativlos sei. Doch laut sagen trauen sich das nicht viele. Zu mächtig erscheint ihnen der landeseigene Wasserkraftbetreiber TIWAG, zu sehr haben sie Angst vor Benachteiligung bei der Verteilung von Steuergeldern und der Genehmigung von Projekten ihrer Gemeinden.

Er sei einer der wenigen, die sich öffentlich gegen das Kraftwerksprojekt Platzertal aufzutreten trauen, sagte Bruno Schuchter aus Pfunds bei einer Journalistïnnen-Exkursion ins Platzertal im Herbst 2022: „Es sind in der Gemeinde sehr viele Menschen gegen dieses Projekt, aber im Dorf ist es ganz, ganz schwierig, Stellung zu beziehen. Ich mache das öffentlich und gerne, weil das Tal für mich eines der schönsten unberührten Täler ist, die es in Tirol, vielleicht sogar weltweit gibt.“

Bruno Schuchter hat vier Sommer lang als Vorarbeiter an der Restaurierung der Gebäude des historischen Bergwerks im Platzertal mitgewirkt. Dabei sei ihm das Tal sehr ans Herz gewachsen, sagt er. „Da kann man Erholung suchen in diesem Tal. Und ich glaube, dass es in zehn, 20, 30 Jahren noch viel mehr an Bedeutung gewinnen wird, weil es unberührt ist. Vielleicht suchen die Gäste in 20, 30 Jahren so ein Tal und nicht einen Staudamm mit See.“

Am frühen Morgen des 8. Juli hatte es im Platzertal nur wenige Grad Celsius über Null, tagsüber nicht mehr als 18 Grad, während es unten in Pfunds über 30 Grad heiß und schwül war. Nicht nur der Verlust an Biodiversität, auch die Klimaerhitzung ist ein Grund, warum alpine Hochtäler und kalte Gebirgsbäche in Zukunft noch wichtiger sein werden.

Kleine Almhütte und Stall
Die Platzeralm im Platzertal in Tirol.

Almbetrieb wäre nicht mehr möglich

Wenn man das Platzertal besucht und bei der Platzeralm einkehrt, erfährt man auch von anderen Einheimischen und Gästen, was sie von den Kraftwerksplänen halten: Eine Tragödie, eine Schande, ein Skandal, ein großer Verlust.

Der Almpächter Mathias Westreicher kennt die Platzeralm seit seiner Kindheit, weil sein Vater schon in den 1980er Jahren hier den Almbetrieb geführt hat. Das Platzertal gehört den Österreichischen Bundesforsten. Für die aus aktuell 60 Bauern bestehende Almgemeinschaft gibt es 127 Weiderechte. Der Bau des 120 Meter langen Staudammes, des fünf Meter hohen Zuleitungsstollens aus dem Kaunertal und das Abgraben des Bodens aus dem Staubereich würde mehrere Jahre dauern. Statt Kuhglockengebimmel, Murmeltierpfiffen und frischer Luft gäbe es wohl Hubschrauberflüge, ein Lager mit Baumaterial, eine Abraumdeponie, Container, LKWs, Staub, Lärm, Abgase. Im Längental bei Kühtai, wo ebenfalls eine Moorlandschaft ausgebaggert wurde sowie ein Damm und ein Wasserstollen errichtet werden für einen Speichersee, kann man sich ansehen, was so eine Baustelle bedeutet.

Während der Bauzeit könnten die Rinder nicht auf die Alm im Platzertal gebracht und die Almhütte nicht betrieben werden. Während dieser Zeit würden die über Jahrhunderte gepflegten Almflächen verbuschen und nicht mehr nutzbar sein oder nur mit großem Aufwand wieder geschwendet werden können, sagt Mathias Westreicher. Durch den Stausee würde außerdem die Weidefläche kleiner und maximal noch für 40 Rinder reichen, schätzt er. Das sei wirtschaftlich nicht mehr machbar. Ersatzweideflächen gibt es keine.

Kalb läuft auf Wiese
Die Bauarbeiten und der fertige Stausee würden den Almbetrieb zum Erliegen bringen.

Auswirkungen auf historisches Bergwerk im Platzertal

Großen wirtschaftlichen Schaden könnten der Baustellenbetrieb und der Stausee auch für den Verein Bergwerk Platzertal bedeuten. Der Verein hat rund 500.000 Euro aus Mitgliedsbeiträgen und Fördergeldern der Regionalförderung Regio L und des Tourismusverbandes aufgewendet, um das aus dem 15. Jahrhundert stammende Bergwerk unter Mitwirkung des Bundesdenkmalamtes zu restaurieren, erzählt die Vereins-Obfrau Elisabeth Kofler-Sturm. Das restaurierte Bergwerk – es ist eines der höchstgelegenen in Europa – in einer Landschaft, die großteils noch so aussieht wie zu dessen Gründung vor mehr als 500 Jahren, ist auch Anziehungspunkt für historisch interessierte Wanderer. Zwar läge das Stauziel, also der Spiegel des Stausees, laut Wolfgang Stroppa von der TIWAG etwa 100 Meter unterhalb der Bergwerksgebäude, doch während der Bauzeit wäre das Bergwerk vermutlich aus Sicherheitsgründen nicht erreichbar. Und die Landschaft würde danach völlig anders aussehen als jetzt.

Elisabeth Kofler-Sturm fragt sich generell, ob um den Preis der Zerstörung von Natur und Kulturgut wirklich mehr Strom produziert werden muss. Ihr Vater, der vor ihr Obmann des Bergwerksvereins war, hat deshalb schon gegen den Bau des Gemeinschaftskraftwerkes am Inn jahrelang gekämpft und diesen Kampf verloren.

Auch Bruno Schuchter war damals dabei: „Die, die sich da eingesetzt haben, die sind so des Kampfes müde, dass man keine Hilfe mehr kriegt. Sie sagen: Das darf nicht gebaut werden! Aber sie wollen nichts mehr dagegen unternehmen.“

Deshalb, und weil das Platzertal so abgelegen ist und dadurch wenig öffentliche Aufmerksamkeit erhalten hat, haben die Naturschutzorganisationen Global 2000 und WWF mit Unterstützung von Vereinen und Initiativen Anfang Juli 2023 das 50 Meter lange Transparent mit der Aufschrift „Platzertal bleibt!“ auf den Berg geschleppt und über den Platzerbach gespannt, während die Kühe neugierig geschaut haben, was da passiert.

“Energiewende und Klimaschutz sollen endlich gemeinsam gedacht werden. Dazu müssen wir ausnahmslos alle intakten Moore wie das im Platzertal schützen“, forderten Viktoria Auer, Klima- und Energiesprecherin von GLOBAL 2000, und die WWF-Gewässerexpertin Bettina Urbanek im Zuge der Aktion. Die Tiroler Landesregierung und die Tiwag sollten endlich auf zukunftsfähige Lösungen setzen, denn „die Menschen in Tirol haben eine Energieversorgung verdient, die ihre Natur schont, klimafreundlich und leistbar ist”, so Auer.

Mann schaut in Alpental
Werner Gfall, Obfrau-Stellvertreter des Vereins Lebenswertes Kaunertal.

„Es war wichtig, dass man diese Aktion gestartet hat und der Öffentlichkeit zeigt, dass nicht nur unser Verein dagegen ist, sondern auch der WWF, Global 2000 und viele andere“, sagte Werner Gfall, Obfrau-Stellvertreter des Vereins Lebenswertes Kaunertal, Samstag Mittag nach der Aktion. Auch er findet: „Das darf einfach nicht kommen, das ist viel zu viel Naturzerstörung. Das Projekt ist nicht mehr zeitgemäß, es gibt andere Möglichkeiten.“

Alpines Tal mit Bach, Berge
Für die Errichtung des Stausees im Platzertal würden das Tal hier bis auf den Felsen ausgebaggert und geflutet werden und alle Pflanzen und Tiere verschwinden.
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