Kolumne: Ein Herz für den Ekel – Wie Regenwürmer, Maden und Mistkäfer uns und der Umwelt nützen

Vor manchen Tieren schrecken die meisten Menschen zurück. Doch in einigen von ihnen stecken Gärtner, Wunderheiler oder gar Ingenieure. Warum wir mehr Aufmerksamkeit für unliebsame Tiere brauchen.

vom Recherche-Kollektiv Klima & Wandel:
7 Minuten
Ein Arzt in einem Kittel hält ein Röhrchen in einer Hand. Dahinter eine ältere Frau

Die Klima- und Umwelt-Kolumne erscheint alle zwei Wochen - kritisch, nahbar, lösungsorientiert! Hier schreiben Lisbeth Schröder und Elena Matera im Wechsel.

Ich hatte schon immer ein Faible für Außenseiter. In der Schule hat mich ein ruppiger Punk mehr interessiert als das Mädchen, das immer als Erste in die Sportmannschaft gewählt wurde. Und später im Biostudium? Da war das Sezieren eines Regenwurms faszinierender als jede Präsentation über Affen.

So saugte ich Wissen über vermeintlich „eklige“ Tiere in mich auf: Dass Regenwürmer eine „Spermathek“ besitzen, in der sie über Tage Sperma speichern, dass Seepocken einen Penis entwickeln können, der bis zu achtmal länger ist als ihr Körper oder dass manche Spinnenarten UV-Licht sehen können.

Aber abgesehen von diesem vielleicht unnützen Wissen haben eklige Tiere noch viele Superkräfte in der Medizin oder Ökologie. Manche sind sogar unverzichtbar, wenn es darum geht, unsere Umwelt zu schützen.

Lass uns sie nutzen!

Zunächst kann man viele eklige Tiere essen, von ihren chemischen Eigenschaften profitieren oder sie als Helfer nutzen. Ein Beispiel: Quallen. Diese Wesen ohne Herz und Hirn vermehren sich gerade wunderbar in unseren Ozeanen. Gründe dafür gibt es viele: Düngemittel, die in die Ozeane fließen, steigende Wassertemperaturen infolge des Klimawandels und die Überfischung – all das begünstigt ihr Wachstum.

Laut einer Studie der University of British Columbia haben sich Quallen seit 1950 in 62 Prozent von allen untersuchten Regionen vermehrt. Ich besuchte deswegen die Forscherin Jamileh Javidpour von der University of Southern Denmark. Sie initiierte ein Projekt, um die glibbrigen Wesen nutzbar zu machen: In ihrem Labor in Dänemark legte sie eine Qualle – ähnlich wie einen Teefilter – in einen Trichter. Während Wasser den Schleimfilter einfach durchfließt, bleiben Plastikpartikel darin hängen. So könnte die Qualle in Zukunft auch im größeren Maßstab, etwa in Klärwerken, eingesetzt werden.

Um mehr über ein anderes Ekeltier zu erfahren, habe ich mit Ronald Sherman gesprochen. Er merkte während seiner Ausbildung zum Facharzt Ende der achtziger Jahre, dass manche Wunden einfach nicht heilen wollten. Die Lösung: Fliegenmaden. Schon die Maya sollen madenbesetzte Tücher zur Wundheilung verwendet haben. Auch Sherman legte seinen Patienten madenhaltige Verbände an – mit Erfolg. Heute weiß man: Die speziell gezüchteten Tiere vertilgen abgestorbenes Gewebe, töten mit einem enzymreichen Sekret die Bakterien in der Wunde und stimulieren eine Regeneration der Haut. Heutzutage werden die Maden meist in einer Art verschlossenem Teebeutel auf die betroffene Stelle gelegt.

Die Madentherapie ist zwar nicht der heilige Gral in der Wundheilung. Sie sollte laut einer Studie in der Fachpublikation „Annals of the Entomological Society of Amerika“ eher in Kombination mit anderen Mitteln wie Antibiotika angewandt werden. Dennoch wird sie zunehmend interessant in einer Welt mit steigenden Diabetes-Zahlen und den damit einhergehenden chronischen Wunden, die es zu behandeln gilt. Allein in Großbritannien wurden durch den nationalen Gesundheitsdienst von 2007 bis Mitte 2020 fast doppelt so viele Menschen mit medizinischen Maden behandelt.

Lass uns sie schützen!

Gut, aber wir müssen selbst jene Tiere schützen, die wir nicht direkt nutzen. Mistkäfer etwa rollen die Exkremente von Säugetieren zu einer großen Kugel. In diesem „Nest“ kopulieren dann Männchen und Weibchen, aus dem später die Larven schlüpfen. Einige Arten vergraben den Kot auch oder graben kleine Tunnel hinein. Das mag für manche eklig klingen, aber die Tiere erfüllen eine wichtige Funktion: Durchgraben sie den Kot, sorgen sie dafür, dass dieser austrocknet. So können sich Fadenwürmer, die sich ebenfalls im Kot vermehren, schlechter ausbreiten. Die Würmer befallen Kühe oder Schafe, wenn sie von ihnen aufgenommen werden.

Trotz all dieser Fähigkeiten bleiben solche Tiere oft unsichtbar. Und nicht nur Krabbeltiere: Forschende schauten sich 2015 ganze 14.248 wissenschaftliche Publikationen zu australischen Säugetieren an. Fledertiere oder Nager betitelten sie als „Die Hässlichen“. Sie wurden nur in 11 Prozent aller Studien untersucht. Beuteltiere wie Kängurus oder Koalas – „Die Guten“ – hingegen in 73 Prozent.

Vielleicht schlummern noch viele unentdeckte Talente in unliebsamen Arten. Deshalb: Lasst uns mehr tun, als nur kurioses Wissen über sie zu sammeln. Lasst uns die Ekeltiere ins Rampenlicht holen, sie erforschen, vielleicht sogar kleine Theaterstücke über sie schreiben. Lasst uns um die Außenseiter kümmern. Denn oft sind es gerade sie, die einen viel größeren Beitrag leisten, als wir denken.

Neugierig auf mehr? Entdecken Sie die weiteren Ausgaben der konstruktiven Klima- und Umwelt-Kolumne!

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