Vielfalt der Pflanzen: Darwins großer Wunsch ist noch immer unerfüllt

Rund 100.000 Arten sind noch unentdeckt, sagen Wissenschaftler der Royal Botanic Gardens Kew. Doch viele könnten aussterben, bevor sie gefunden werden. Die Botaniker fordern eine wissenschaftliche Großoffensive für die Biodiversität

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Eine zierliche Blütenpflanze mit hellblauen Blüten.

Anfang der 1880er Jahre verriet der Naturforscher Charles Darwin dem Direktor des Königlichen Botanischen Gartens Kew seinen Herzenswunsch. Zeit seines Lebens habe er sich nach einer vollständigen Liste aller Pflanzenarten der Erde samt ihrer Verbreitungsgebiete gesehnt, sagte Darwin, damals schon über 70 Jahre alt, dem Botaniker Joseph Dalton Hooker. Doch die britische Regierung habe es abgelehnt, ein solches wissenschaftliches Großprojekt zu fördern. Nun wolle er das aus seinen eigenen Mitteln tun. Im Fall seines Todes sollten die nötigen Mittel für fünf weitere Jahre aus seinem Erbe fließen. Darwin hatte fünf Jahrzehnte zuvor von seiner berühmten fünfjährigen Weltumrundung mit der „Beagle“ mehr als 1000 gepresste Pflanzen mitgebracht, von denen sich viele als neue Arten erwiesen.

Die Vielfalt des Lebens auf der Erde – heute Biodiversität genannt – zu erfassen und zu verstehen, wie sie entstanden ist, war eines der großen Ziele des Naturforschers. Die Kenntnis aller Lebensformen ist ein entscheidender Schlüssel dafür – und bis heute bemühen sich Forscher aus aller Welt darum. Schon am Anfang des 19. Jahrhunderts hatte der Esslinger Arzt und Botaniker Ernst Gottlieb von Steudel die Arbeit an einem Katalog aller weltweit vorkommenden Pflanzen begonnen, wie Darwin ihn sich vorstellte. Mehr als 78.000 Arten waren darin später verzeichnet. Auf seine alten Tage wollte der Begründer der Evolutionslehre sicherstellen, dass diese Arbeit in Großbritannien zu Ende gebracht wird: Alles, was in der Natur wächst und blüht, vom kleinsten Kraut bis zum seltensten Baum, sollte künftig, fein säuberlich katalogisiert, immer für Wissenschaftler griffbereit sein.

Indigenen kennen, was Wissenschaftler erst noch entdecken wollen

Das ließ sich Hooker, Chef des schon damals weltweit größten und idyllisch im Südwesten der britischen Hauptstadt gelegenen botanischen Gartens, nicht zweimal sagen – und gab den Startschuss für das Mammutprojekt „Index Kewensis“. Bereits fünf Jahre später wogen die Schachteln, Kuverts und Karteikarten, auf denen Botaniker das Pflanzenwissen der Welt katalogisierten, eine ganze Tonne. Tausende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben seither die entlegensten Weltregionen durchkämmt, Pflanzen gesammelt und das Wissen der indigenen Bevölkerung dokumentiert. „Viele Arten, die von der Wissenschaft noch nicht beschrieben sind, sind den indigenen Gemeinschaften sehr gut bekannt“, sagt Kew-Wissenschaftlerin Kiran Dhanjal-Adams. Die Forscher haben Millionen Exemplare gesammelt und gepresst, die in inzwischen 3000 Herbarien auf dem Planeten verwahrt werden. Alle großen Botanischen Gärten – von Berlin bis Bogor – beteiligen sich mit ihren Ressourcen und teils eigenen Katalogprojekten.

Ein älterer Mann mit weißem Bart fotografiert im Wald eine Pflanze.
Fast wie zu Darwins Zeiten: Kew-Forscher Martin Cheek bei der Feldarbeit in Kamerun.
Grazile Pflanze mit braun-gelben Blüten.
Die neu entdeckte Art Marsdenia chirindensis.
Bräunliche Matte von kleinen Pflanzen ausgetrocknet auf einem Stein.
Diese Art – Saxicolella deniseae – wuchs einst in einem afrikanischen Fluss, inzwischen gilt sie als ausgestorben.
Mann mit tätowiertem Arm hält Kunststoffröhrchen mit Proben in der Hand.
Probenentnahme in freier Natur.
Seerose mit weißen Blüten.
Die neu entdeckte Art Victoria boliviana.
Große Bäume mit sehr dicken Stämmen in einer Allee. Menschen gehen auf einem Weg zwischendurch.
Baobab-Bäume auf Madagaskar: Die Insel ist für ihre hohe Zahl endemischer Arten bekannt.