Bürgerrat Klima legt Klimaschutz-Vorschläge vor

Forderung nach sozialer Klimapolitik mit Einschnitten für fossile Industrien und Landwirtschaft

von Daniela Becker
5 Minuten
Von links nach rechts: Mareike Menneckemeyer präsentiert gemeinsam mit Schirmherr Horst Köhler und Adnan Arslan die Ergebnisse des Bürgerrat Klima

Wie kann sozialer Klimaschutz funktionieren, der das 1,5-Grad-Ziel einhält? Der Bürgerrat Klima hat heute vorgestellt, welche konkreten Vorschläge deutsche Bürgerïnnen gemeinschaftlich erarbeitet haben. Darunter: Kohleausstieg bis 2030 und klimafreundliche Subventionen für die Landwirtschaft. Endverbraucherïnnen sollen am wenigsten belastet werden.

Acht Wochen lang tagte der Bürgerrat Klima zu der Frage: Wie kann Deutschland die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens erreichen? Insgesamt 160 zufällig ausgewählte Menschen aus allen Teilen Deutschlands – jüngere und ältere, mit ganz unterschiedlichen Lebenswegen und Berufen – haben an diesem Experiment teilgenommen. Dazu hörten sie Vorträge von Klima- und Umweltexperten und debattierten über mögliche Lösungsansätze.

In zwölf Sitzungen, die insgesamt über 50 Stunden dauerten, erarbeiteten die Bürgerïnnen Vorschläge, die heute vorgestellt wurden. Der ehemalige Bundespräsident Horst Köhler und Schirmherr des Bürgerrats zeigt sich beeindruckt: „Ich sehe in dem großen Engagement der Bürgerrätinnen und Bürgerräte auch eine Sehnsucht – nach einer Art der politischen Auseinandersetzung, die nicht Ängste instrumentalisiert oder Lebensstile gegeneinander ausspielt, sondern wahrhaftig um die besten Lösungen für die Zukunftsfähigkeit des ganzen Landes ringt.“

Er begrüße, dass die Bundesregierung nach dem Spruch des Bundesverfassungsgericht beschlossen hat, dass Deutschland bereits 2045 statt erst 2050 klimaneutral werden soll. Noch sei aber weitgehend offen, wie die neuen Ziele erreicht werden sollen. Für dieses „Wie“ hätten die Bürgerïnnen „trotz all ihrer Unterschiede“ ganz konkrete Handlungsvorschläge vorgelegt.

Mehr Tempo bei der Energiewende

Der Bürgerrat Klima schlägt vor, dass der Kohleausstieg vorgezogen und bis 2030 – statt 2038 – umgesetzt wird. Die Geschwindigkeit der Energiewende habe Vorrang vor den Kosten, wobei der Endverbraucher finanziell am geringsten belastet werden sollte. Jede Kommune müsse bis 2023 einen Plan zur Umsetzung der kommunalen Klimaneutralität im Energiesektor bis 2030 entwickeln – und dabei die Bürgerïnnen einbeziehen.

Der Ausbau der Erneuerbaren Energien müsse beschleunigt werden, drängt der Klimarat: Auch hier soll Tempo Vorrang vor den Kosten haben. Mindestens zwei Prozent der Gesamtfläche jedes Bundeslandes soll für den Ausbau von Photovoltaik- und Windenergieanlagen bereitgestellt werden.

Unter den Teilnehmerïnnen hatte auch ein schnelles Verbot des Einbaus neuer Öl- und Gasheizungen (ab 2026 und 2028) eine hohe Akzeptanz gefunden. Sie plädieren außerdem für eine CO2-bindende Renaturierung über natürliche CO2-Speicher wie Moore und Bäume – anstatt CO2-Speicher oder Lager unter der Erde.

Teureres Fliegen, bessere Bus- und Bahnverbindungen

Im Bereich Mobilität kommt nach Ansicht der Teilnehmerïnnen dem schnellen Ausbau des Öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) eine besonders wichtige Rolle zu. Dies dürfe nicht länger eine Kann-, sondern müsse zur Pflichtaufgabe für Kommunen werden. Anschlüsse von „Haustür zu Haustür“ sollen das Ziel sein, zum einen über eine höhere Taktung und Ausbau von Haltestellen, auf dem Land in Kombination mit Ruftaxen oder -bussen und Carsharing-Angeboten. Die Mitnahme von Kinderwagen, Fahrrad, Transport größerer Gegenstände und Barrierefreiheit müsse gewährleistet sein.

Die Politik sollte sofort anfangen, Subventionen des motorisierten Individualverkehrs (MIV) einzuschränken und stattdessen klimafreundliche Mobilität fördern. Gleiches beim Fliegen: Flugticketpreise sollen künftig die wahren Klimakosten abbilden. Die Mehreinnahmen sollen für den Ausbau des Bahnverkehrs oder für eine Rückvergütung pro Kopf genutzt werden. Dies soll unter anderem durch die Erhöhung der Luftverkehrssteuer und eine Kerosin-Steuer ermöglicht werden.

Streit um Tempolimit und City-Maut

„Die Bürgerïnnen hatten Zugang zu erstklassigen Informationen, Zeit sich darüber auszutauschen und verschiedene Standpunkte kennenzulernen“, beschreibt Prof. Dr. Wolfgang Lucht vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und Mitglied im Sachverständigenrat für Umweltfragen der Bundesregierung, die Vorteile des partizipativen Instruments „Klimarat“. Die Debatten seien durchaus manchmal hitzig gewesen. Heftige Diskussionen habe es laut Teilnehmerïnnen etwa um die Einführung eines Tempolimit gegeben; eine Maßnahme, die schließlich knapp beschlossen wurde: Auf Autobahnen soll demnach 120 km/h gefahren werden dürfen, auf Landstraßen 80 und innerstädtisch 30 km/h. Der Vorschlag einer City Maut als Instrument für autoärmere Städte wurde hingegen ablehnt.

Einer der Teilnehmer des Bürgerrats ist Adnan Arslan (32) aus Velbert in Nordrhein-Westfalen. Erst sei er skeptisch gewesen, ob sich der zeitintensive Austausch überhaupt lohne. Immerhin erwarteten er und seine Frau während des Klimarats ein Baby. Und er habe auch lange geglaubt, dass sich „klügere und wichtigere Leute“ schon um das Klimaproblem kümmern würden.

Bei der Vorstellung der erarbeiteten Empfehlungen zeiget sich Arslan jedoch froh teilgenommen zu haben. „Was mich wirklich beeindruckt hat, dass die Teilnehmer nicht unterschiedlicher hätten sein können und wir dennoch immer einen Weg gefunden haben, respektvoll miteinander zu reden“, sagt Arslan. Die Informationen der Expertïnnen hätten ihm die Augen geöffnet und einen neuen Blick auf die Dringlichkeit des Handelns sowohl der Politik aber auch jedes Einzelnen eröffnet. „Ich selbst habe einen Migrationshintergrund und bin stolz, als Teil dieser Gesellschaft mitmachen und Entscheidungen hinsichtlich der Zukunft mit beeinflussen zu können. Der Politik möchten wir mit den Empfehlungen auch ein Zeichen geben, nämlich, dass wir bereit sind mitzuziehen, dass unsere Ideen, die Ideen der normalen Bürger, wertvoller sein können als man glaubt.“

Keine Subventionen mehr für klimaschädigende Landwirtschaft

Die Bürgerïnnen haben auch klare Leitsätze im Handlungsfeld Ernährung formuliert. „Mir war dabei vor allem die soziale Frage wichtig. Es gibt in diesem Land Menschen, die ernähren sich am Ende des Monats nur noch von Nudeln und Toast, weil es finanziell für mehr nicht reicht. Die dürfen nicht die Verlierer der Klimapolitik werden“, sagt Mareike Menneckemeyer (37), eine weitere Teilnehmerin aus Schwarzenbruck in Bayern.

Der Wandel im Ernährungssystem, so der Vorschlag des Klimarats, müsse insbesondere im Bereich der Fleisch- und Milchproduktion erfolgen. Weil eine Emissionsminderung in der Tierhaltung um mindestens die Hälfte notwendig ist, schlagen die Bürgerïnnen eine deutliche Verringerung der deutschlandweiten Nutztierbestände bis 2030 vor – insbesondere bei der Massentierhaltung von Kühen. Insgesamt sollen sich die Gesamthöhe der Subventionen für landwirtschaftliche Betriebe nicht ändern. Aber die Subventionen sollen anhand von Kriterien der Klimafreundlichkeit vergeben werden.

Klarer Auftrag an die Politik

„Die jetzt beschlossenen Empfehlungen sind eine ausgezeichnete Grundlage für künftige Klimapolitik in Deutschland. Sie sollten von der Politik als Auftrag verstanden werden“, sagt Wolfgang Lucht vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung mit Blick auf die Koalitionsverhandlungen nach der Bundestagswahl im September. Die Empfehlungen des Bürgerrat Klima werden nun mit Unterstützung des wissenschaftlichen Kuratoriums in einem Bürgergutachten festgehalten und allen Parteien im Bundestag übergeben.

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