Mit Geoengineering gegen Klimawandel: Sind Filter und Speicher für CO2 nur Ablenkungsmanöver?

Während einige Forscher an Technologien zur Entfernung von Kohlendioxid aus der Atmosphäre arbeiten, warnen andere vor einer Ausrede für ungebremste ökologische Misswirtschaft. Annette Schlemm beleuchtet die Kontroverse in einem neuen Buch, aber leider zu voreingenommen

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Symbolbild für die Atmosphäre mit Wolken und Horizont. Die Bildebene ist schief. Die Farben wirken gefährlich.

In Kalifornien ist vor kurzem eine kleine Pilotanlage mit einem großen Ziel in Betrieb gegangen: Die Firma Heirloom Carbon Technologies will demonstrieren, wie man mithilfe von zerriebenem Kalkgestein das Treibhausgas Kohlendioxid wieder aus der Luft entfernen kann. 1,2 Milliarden Dollar hat US-Präsident Joe Biden im August an Regierungsmitteln zur Verfügung gestellt, um diesen und ähnliche Ansätze zu verfolgen. Bei Heirloom geht es zunächst um die überschaubare Menge von tausend Tonnen Kohlendioxid pro Jahr, doch Gründer Shashank Samala spricht von Millionen Tonnen, die das Verfahren künftig einfangen soll. Mit Microsoft hat er bereits einen Vertrag über 315.000 Tonnen abgeschlossen.

Klimapolitik besteht bisher weitgehend darin, die Verbrennung von Erdöl, Erdgas und Kohle zu unterbinden. Doch nun wird ein anderer Ansatz erprobt: entstandenes Kohlendioxid von der Atmosphäre fernzuhalten. So wollen Öl- und Gasfirmen die Abgase von Kohlekraftwerken einfangen und sie im Rahmen der Förderung fossiler Brennstoffe in den Untergrund verpressen. Das Kohlendioxid soll Öl und Gas nach oben drücken, aber selbst im Untergrund verbleiben. Manche Ölfirmen verkaufen dies als „klimaneutrale“ Ölgewinnung.

Eine spöttische Tonlage

Immer wieder wird noch eine weitere Methode diskutiert, der Erderwärmung entgegenzuwirken: Futuristisch anmutende Ideen für sogenanntes „Sonnenstrahlungsmanagement“ reichen von riesigen Segeln im Weltall bis zu einer künstlich geschaffenen Schicht von Schwefel-Partikeln in der Atmosphäre, um das Licht der Sonne abzuschirmen. Andere wollen riesige Flächen weiß anstreichen, damit sie mehr Sonnenenergie von der Erdoberfläche ins All zurückzustrahlen.

Die Physikerin Annette Schlemm hat diesen Trend zum Anlass genommen, die Hintergründe des sogenannten „Climate Engineering“ in einem im Mandelbaum-Verlag erschienenen Buch auszuleuchten. Sie versucht sich dabei daran, einen Überblick über die unterschiedlichsten Verfahren zu geben, wie der Erderwärmung mit großtechnischen Mitteln entgegengewirkt werden kann, und verspricht, diese zu bewerten. Wie ernst und wichtig das Thema ist, zeigt sich darin, dass der Weltklimarat IPCC in seinen Szenarien bereits einplant, Kohlendioxid in großem Stil wieder aus der Atmosphäre zu holen und in Pflanzenmaterial oder im geologischen Untergrund zu speichern.

All das hat eine umfassende Darstellung verdient, denn in den klimapolitischen Debatten spielen die „negativen Emissionen“ bisher nur am Rand eine Rolle. Und das, obwohl etwa die Leiterin des Deutschen Geoforschungszentrums, Susanne Buiter, es für machbar, verantwortbar und sogar geboten hält, möglichst viel Kohlendioxid auch in Deutschland an geeigneten Orten in den Untergrund einzulagern, statt es in die Atmosphäre gelangen zu lassen. Schlemms Buch zeugt mit mehr als tausend durchnummerierten Referenzen von profundem Fachwissen und bietet viel Material zum Nachschlagen.

Doch wie Schlemm das Thema anpackt, lässt relativ schnell ein gewisses Unbehagen entstehen. Die hemmungslose Verwendung von Abkürzungen erschwert die Lektüre. Und wo der interessierte Leser anfangs noch versucht, einen Überblick über die schwierige Materie zu bekommen, versagt die Autorin ihm eine Einordnung der neuen Technologien etwa in die Kohlenstoffkreisläufe und -ablagerungen unseres Planeten. Sie schlägt aber eine umso vehementer negative, geradezu spöttische Tonlage an und spricht gleich auf den ersten Seiten von einer „skandalösen Entwicklung“ und „eigentlich unverantwortlichen Mitteln“, ohne dies gut zu begründen.

Angst vor dem „Terminationsschock“

Im aktuellen Marktumfeld brauchen Sachbücher eine starke These – so weit, so verständlich. Aber dieses Buch beginnt nicht thesenstark, sondern kommt voreingenommen daher. Die Autorin führt Akteure ein, etwa David Keith, ohne sie in ihren Funktionen und Kompetenzen vorzustellen, macht aber unmissverständlich klar, wen sie zu den vermeintlichen Bösen zählt (Keith ist Professor für Angewandte Physik an der Harvard School of Engineering and Applied Sciences und erforscht Methoden der Kohlenstoffentfernung). Beim langjährigen IPCC-Vorsitzenden, dem Ökonomen Hoesung Lee, reicht schon eine kurze berufliche Station bei einem Ölunternehmen in den 1980er Jahren, um ihn verdächtig zu machen. Zudem purzeln absurde Spekulationen von Science-Fiction-Autoren und praktisch relevante Ansätze heillos durcheinander – erkennbar mit der Absicht, dass an allem etwas Negatives hängenbleibt.

Zum Glück ringt sich die Autorin dann doch durch, ihre Kritik nicht nur unterschwellig einzuflechten, sondern auch explizit zu formulieren. Und in der Tat gibt es bei jedem diskutierten Verfahren des „Climate Engineering“ Anlass zum Zweifel und erhebliche Risiken: Das Verfahren, Kohlendioxid in zerriebenem Kalkstein zu binden, wie es nun die Firma Heirloom Carbon Technologies in Kalifornien ausprobiert, ist so energieintensiv, dass es mengenmäßig schnell an Grenzen stoßen wird. Versuche, das Treibhausgas durch neue Wälder einzufangen, können zu industriellen Plantagen führen, die die Biodiversität gefährden. Wer glaubt, die Erderwärmung durch eine Schwefelschicht hoch oben am Himmel aufhalten zu können, muss auch für den sogenannten „Terminationsschock“ planen, also die abrupte Erhitzung für den Fall, dass so eine Schicht nicht weiter aufrechterhalten werden kann. All das sind wichtige und diskussionswürdige Bedenken – und auch der Verdacht, dass es manchem Verfechter des Climate Engineering nur darum geht, sein fossil betriebenes Geschäfte fortsetzen zu können, ist berechtigt.

Doch viel zu spät im Buch fängt die Autorin an, die wirklichen Motive hinter ihrer Ablehnung zu offenbaren. Nicht um die Gefahr von Lecks in unterirdischen CO₂-Speichern geht es dabei, sondern um die böse Fratze des Kapitalismus, die Schlemm im „Climate Engineering“ erkennt. Unter dem Zwischentitel „Das System ist der Fehler“ präsentiert sie eine marxistisch intonierte Analyse, der zufolge hinter allem in Wahrheit die „Klasse derer, die die wichtigsten Produktionsmittel besitzen“ steckt, die mit CO₂-Technologien endgültig die Menschheit von sich abhängig machen und endloses Wirtschaftswachstum um jeden Preis verteidigen will. Wie häufig die Autorin dabei den Namen Bill Gates nennt, weil dieser in Forschung und in Firmen des Felds investiert, lässt an Verschwörungsmythen aus der Pandemiezeit denken. Dass sie bei einer Übersetzung aus dem Englischen aus einem „Netzwerk von Agenturen“ ein „Agentennetzwerk“ macht, zeigt die Neigung, Verschwörungen zu wittern.

Brutales Wettrennen gegen die Zeit

Natürlich hat jede Autorin, jeder Autor das Recht, die Klimapolitik mit dem Rüstzeug des historischen Materialismus zu interpretieren und daraus gesellschaftspolitische Schlüsse zu ziehen. Das hätte dann aber der Ehrlichkeit halber an den Anfang des Buchs gehört und einer Herleitung wie einer konsequenten Argumentation bedurft. Interessanter, als nur Andeutungen zu präsentieren, wäre es gewesen, die Klimakrise einmal marxistisch durchzudeklinieren. Dann könnte man sich besser mit manchen Plakaten von Klimademonstrationen auseinandersetzen, die „system change statt climate change“ fordern.

Das vermeidet Schlemm aber und bleibt im Vagen, wenn sie am Ende fordert, eventuelle Versuche des „Climate Engineering“ dürften „nicht zum Feld für neue Profitmacherei werden“ und eventuelle Gewinne müssten „in Ökologie und Soziales reinvestiert werden“. Die Autorin versteigt sich sogar zu der Behauptung, die sozialistische Ideologie sei nicht technokratisch gewesen – obwohl von gigantischen Staudämmen bis zu tiefen Bergwerken das Leben im real existierenden Sozialismus genau davon geprägt war und obwohl der Wissenschaftler Vladimir Vernadsky in der Stalin-Zeit als einer der ersten überhaupt geotechnologische Szenarien entwickelt hat.

Das Buch ist einer von vielen Versuchen quer durch das politische und wirtschaftstheoretische Spektrum, die Klimakrise für andere politische Zwecke zu kapern. Die sachlich begründbaren Bedenken gegen „Climate Engineering“ verlieren dadurch ihre Berechtigung nicht. Dass vor riskanten großtechnischen Interventionen darüber diskutiert werden muss, wie man ganz direkt Energie sparen kann, um Kohlendioxid-Emissionen an der Quelle zu verhindern, und auf welche Auswüchse des Konsums zugunsten der nächsten Generationen verzichtet werden kann, leuchtet ein.

Zu warnen, dass Techniken der CO₂-Speicherung missbraucht werden könnten, um die nötigen Emissionsminderungen hinauszuzögern, ist wichtig. Doch Klimapolitik ist ein brutales Wettrennen gegen die Zeit. Wenn alle anderen Bemühungen nicht reichen, um die Klimakrise im erforderlichen Maß zu bremsen, sollte die Menschheit dann nicht doch einen Notfallplan wenigstens parat haben? Und wäre die Einlagerung von CO₂ dort, wo Gase sicher im Untergrund verschlossen werden können, nicht schon heute die bessere Alternative dazu, sie mit bekannten großen Gefahren in der Luft zu deponieren? Gut möglich, dass man den Wissenschaftlern, die solche Verfahren erproben und die Schlemm heute noch als Diener von „Großkapitalisten“ beschimpft, später für ihre Arbeit dankbar sein sind.

Annette Schlemm, Climate Engineering, Mandelbaum Verlag, Oktober 2023, 322 Seiten, 20 Euro

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