Ist klimaneutrales Fliegen möglich? Deutsche Forscher entwickeln neue Antriebe und Flugzeuge

Die Luftfahrt trägt erheblich zum Klimawandel bei. Langsameres und niedrigeres Fliegen könnte sofort Emissionen verhindern. Doch für CO2-freies Fliegen braucht es neue Maschinen

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Ein weißes Kleinflugzeug am Abendhimmel.

Das kleine weiße Flugzeug, das Anfang September vom Flughafen Maribor in Slowenien abhob, wirkte schon von außen ungewöhnlich: Die Piloten saßen nicht wie üblich mittig, ihre Kapsel mit den beiden Sitzen war vielmehr weit außen am rechten Flügel angebracht. Das wirklich Besondere versteckte sich aber am linken Flügel. Dort hatten die Ingenieure und Mechaniker von H2Fly, eines Stuttgarter Start-ups, einen Tank mit minus 253 Grad Celsius kaltem Flüssigwasserstoff eingebaut und über eine Brennstoffzelle mit einem Elektromotor und dem Propeller verbunden. Insgesamt mehr als drei Stunden lang kreiste das Flugzeug an diesem Tag über der hügeligen Region.

„Mit Wasserstoff sind wir schon oft geflogen, aber jetzt konnten wir zeigen, dass wir über einen längeren Zeitraum hinweg ein Wasserstoffflugzeug mit kryogenem Flüssiggas, Brennstoffzelle und Elektromotor betreiben können“, sagt Josef Kallo. Der Elektroingenieur ist seit 2015 Leiter des Instituts für Energiewandlung und -speicherung an der Universität Ulm, Koordinator einer Forschungsgruppe am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrttechnik (DLR) und Geschäftsführer von H2Fly.

Die Luftfahrt boomt bei Passagieren und Cargo

„Wir konnten die gesamten Abläufe, die für einen mehr als 1000 Kilometer weiten Flug nötig sind, mit flüssigem Wasserstoff demonstrieren“, sagt Kallo stolz. Besonders wichtig sei dafür die Technologie gewesen, immer nur so viel von dem ultrakalten Treibstoff zu verdampfen, wie zur Stromerzeugung an Bord nötig war. Den Flug über Maribor sieht der Forscher als wichtigen Meilenstein auf dem Weg zum eigentlichen Ziel an – dem klimaneutralen Fliegen. „Wasserstoff ist der effizienteste Treibstoff, den man mit erneuerbaren Energien herstellen kann“, sagt Kallo.

Die Nervosität, ob und wie es gelingt, den Flugverkehr ohne negative Wirkung auf das Klima zu organisieren, ist groß.

Im vergangenen Jahr verzeichneten die großen deutschen Verkehrsflughäfen 155 Millionen Passagiere. Lieferketten ganzer Firmen hängen inzwischen von Frachtflügen ab. Alle Prognosen besagen, dass der Flugverkehr in den kommenden Jahren weltweit stark zunehmen wird. Nicht deutsche Urlaubsflieger treiben den Trend, sondern die steil wachsende Nachfrage aus Schwellenländern.

Der Aufwärtstrend kollidiert frontal mit den Klimazielen. Das energieintensive Fliegen gilt als Paradebeispiel für klimaschädliche Praktiken. Global verursacht die Luftfahrtbranche bereits heute rund zwei Prozent der CO₂-Emissionen. Die sollen weltweit bis 2050 gegen null gehen – die Zahl der Flüge nimmt aber zu. Der Klimavertrag von Paris schreibt zur Mitte des Jahrhunderts globale „Klimaneutralität“ vor, was bedeutet, dass die Menschheit die Erde nicht mehr zusätzlich erwärmt. Deutschland will dieses Ziel sogar schon bis 2045 erreicht haben – auch beim Fliegen.

Ein mittelalter Mann mit silberfarbenem Haar steht mit weißem Hemd und verschränkten Armen vor einem zweimotorigen Flugzeug bei Sonnenschein.
Josef Kallo, Chef von H2Fly.

Aber wie? Bei Autos gelingt der Umstieg auf erneuerbaren Strom hauptsächlich mit Hilfe von Batterien. Die sind angesichts des hohen Energiebedarfs größerer Flugzeuge aber zu schwer. Heute bringt das Erdölprodukt Kerosin fast alle Flugzeuge in die Höhe und an ihre Ziele. Für den fossilen Treibstoff werden nun im Wesentlichen drei Alternativen entwickelt. Sie haben auf unterschiedliche Weise alle mit Wasserstoff zu tun.

Synthetischer Treibstoff mit niedrigem Wirkungsgrad

Wasserstoff soll mit Hilfe von Strom aus erneuerbaren Quellen durch Wasserspaltung produziert werden. Danach gibt es drei Optionen: Der Wasserstoff kann direkt in neuartigen Flugzeugmotoren verbrannt werden; er kann wie bei H2Fly über Brennstoffzellen Propeller elektrisch betreiben; oder Wasserstoff wird in Fabriken mit Kohlenstoff aus Biomasse, Altölen oder Kohlendioxid zu synthetischem Kerosin verarbeitet.

Die Option des synthetischen Kerosins gilt als technisch am einfachsten, weil dafür bestehende Motoren genutzt werden können. Sie wird deshalb von vielen in Politik und Luftfahrtindustrie bevorzugt und für die am besten machbare Lösung gehalten. Experten wie Josef Kallo warnen aber unter anderem wegen des geringeren Wirkungsgrads vor horrenden Kosten synthetischer Treibstoffe im Vergleich dazu, Wasserstoff direkt zu verbrennen. Wenn als Kohlenstoffquelle Biomasse genutzt wird, könnte das Kerosin außerdem der Nahrungsmittelproduktion Konkurrenz machen.

Am Institut für Systemarchitekturen in der Luftfahrt des DLR in Hamburg untersucht Gründungsdirektor Björn Nagel seit 2017 mit einem großen Team und zahlreichen Partnerinstituten, welche Strategien für klimaneutrales Fliegen die besten sind. Dazu haben sich die DLR-Forscher in den vergangenen Jahren in einem Großprojekt namens „Exact“ deutlich mehr angeschaut als nur Antriebssysteme. „Man muss das gesamte System Flugverkehr betrachten, von der Herstellung der Treibstoffe über die Technik im Flugzeug bis zur Organisation des Fliegens“, sagt Nagel.

Zu den ersten Erkenntnissen des Exakt-Projekts gehörte nämlich, dass man die Hälfte der Klimawirkung des Fliegens mit gegenwärtigen Technologien eliminieren kann. Denn das Kohlendioxid trägt dazu weniger als die Hälfte bei. Der Großteil entsteht dadurch, dass entstehender Wasserdampf zusammen mit Rußpartikeln zu Kondensstreifen führt, die vor allem bei Nachtflügen in großer Höhe sehr stark zum Klimawandel beitragen.

Langsamer und tiefer fliegen würde viele CO₂-Emissionen verhindern

„Wenn die Flugzeuge statt in elf Kilometer in nur neun Kilometer Höhe fliegen und ihr Tempo um 10 bis 15 Prozent reduzieren würden, wäre für das Klima schon enorm viel gewonnen“, sagt Nagel – auch dann, wenn nicht mehr Kerosin, sondern der deutlich teurere und auf unbestimmte Zeit sehr knappe Wasserstoff zum Einsatz komme. Einzelnen Fluglinien könne man solche Änderungen aber wegen des großen Wettbewerbsdrucks nicht abverlangen. „Hier bräuchte es möglichst europäische oder am besten globalen Vorgaben für alle Unternehmen, damit keines einen Wettbewerbsnachteil hat“, sagt er.

Bei einem Vergleich verschiedener Wasserstoff-Strategien kam zu Nagels Überraschung heraus, dass für Kurzstrecken von einigen hundert Kilometern sogar batteriebetriebene Flugzeuge zum Einsatz kommen könnten, obwohl dies oft wegen des Gewichts der Batterien als unmöglich bezeichnet wird. Auf mittleren Entfernungen, wie sie heute etwa der Airbus A320 bedient, hält der Flugzeugexperte eine Kombination aus Direktverbrennung von Wasserstoff und Brennstoffzellen für besonders interessant. „Mit einer starken Brennstoffzelle an Bord könnte man nicht nur die Klimaanlage betreiben, sondern bei Bedarf als Ergänzung zum Beispiel zwei von vier Propellern über Elektromotoren betreiben“, sagt Nagel.

Kritikern, die Wasserstoff als Kerosinersatz für ungeeignet halten, weil er pro Energieeinheit ein vierfaches Volumen braucht, hält Nagel Ersparnisse beim Gewicht um den Faktor drei entgegen. „Unseren Berechnungen zufolge gleicht sich das weitgehend aus“, sagt er. Zudem brauche die Herstellung von synthetischem Kerosin 75 Prozent mehr Energie als die von reinem Wasserstoff.

Enges Rennen zwischen verschiedenen Flugzeug-Konzepten

Anhand von zwölf Referenzflughäfen weltweit – darunter Tokio, Frankfurt und Dubai – hat das DLR-Team durchgespielt, wie gut in Zukunft entweder synthetisches Kerosin oder Wasserstoff verfügbar sein dürften. „In Sachen Energieeffizienz hatte der direkte Einsatz von Wasserstoff durchweg einen Vorteil von 30 bis 40 Prozent“, sagt Nagel. Bei den Kosten sei die Rechnung dagegen noch offen. Der Transport von Wasserstoff sei aufwändig, Bauteile könnten spröde werden und Tanks vielleicht während der Betriebszeit eines Flugzeugs ausgetauscht werden müssen. „Das wird ein enges Rennen“, sagt der Forscher.

Prototyp eines Flugzeugs mit acht Propellern.
Prototyp eines Wasserstoff-Flugzeugs mit acht Propellern.
Modell eines künftigen Flughafens mit einem Wasserstoffflugzeug im Vordergrund, erkennbar am kugeligen Treibstofftank im Heck.
Wasserstoffflugzeuge haben ihren Treibstofftank nicht in den Flügeln, sondern als Kugel im Heck.

Ob beim klimaneutralen Fliegen Wasserstoff direkt verbrannt oder synthetisches Kerosin erzeugt wird – das entscheidende Nadelöhr wird sein, ob das kleinste Element überhaupt in ausreichenden Mengen zur Verfügung steht. Die Ampelkoalition hat als Ziel ausgegeben, die deutschen Kapazitäten für synthetisches Kerosin von heute nahe null auf 200.000 Tonnen bis 2030 zu steigern. Das werden aber nur zwei Prozent des nationalen Bedarfs für das Fliegen sein. Experten gehen davon aus, dass ein erheblicher Teil des Bedarfs an Wasserstoff und synthetischem Kerosin importiert werden muss.

Nächstes Ziel: Eine wasserstoffgetriebene Passagiermaschine

Umso wichtiger sind die beiden Vorzeigeprojekte, die gerade in Deutschland speziell für die Flugzeugindustrie entstehen. Die Firma EDL Anlagenbau will südlich von Leipzig ab 2027 rund 50.000 Tonnen PtL-Kerosin pro Jahr erzeugen – hauptsächlich mit Biomasse als Quelle für den benötigten Kohlenstoff. In der Nähe von Forschungseinrichtungen des DLR in Jülich will die Firma Synhelion 2024 eine Solaranlage in Betrieb nehmen, bei der Spiegel die Sonnenstrahlen in einem Turm bündeln. Bereits 2030 will Synhelion mehrere hunderttausend Tonnen produzieren.

Doch wird der Sprung von kleinen Demonstrationsflugzeugen wie dem von H2Fly zu den Passagiermaschinen der Zukunft gelingen? Fortschritte gibt es durchaus. Nach dem erfolgreichen Testflug von Maribor nimmt H2Fly-Chef Josef Kallo das nächste große Ziel ins Visier: Die Zeit sei reif, um nun eine wasserstoffgetriebene Passagiermaschine zu bauen. Partner dafür ist der Flugzeughersteller Deutsche Aircraft. „Bis 2026 wollen wir die Technologie in einer 40-sitzigen Dornier 328 mit Flüssigwasserstoff demonstrieren“, sagt er.

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