In Tunesien spitzt sich die Wirtschaftskrise zu. Kann ein neuer IWF-Kredit helfen?

Versorgungsengpässe, Inflation, Auslandsschulden: Das Land steckt in der Krise und ein Ausweg aus der Schuldenspirale ist kaum in Sicht

vom Recherche-Kollektiv Afrika-Reporter:
9 Minuten
Leere Supermarktregale

Mehrere hundert Meter lange Warteschlangen bildeten sich letzte Woche an Tankstellen in Tunis – wenn diese überhaupt geöffnet hatten. Denn vielen war in der vergangenen Woche das Benzin ausgegangen. An anderen mussten Polizisten den Verkehr regeln und ankommende Tanklaster schützen. Etliche Autofahrerïnnen standen vergeblich stundenlang in der Schlange, um ein paar Liter zu tanken, andere blieben unterwegs liegen und machten sich mit Kanistern und leeren Wasserflaschen auf die Suche nach einigen Litern Bleifrei. Woran es lag, dass auf einmal kein Sprit mehr zu haben war, darüber schieden sich offiziell die Geister. Die Direktorin der staatlichen Raffinerie machte in einem Radiointerview ein langes Feiertagswochenende und das gute Wetter dafür verantwortlich, die Ministerin für Energie vermutete, dass Panikkäufe nach ersten Berichten über eine Treibstoffknappheit das Problem zusätzlich verschärften. Auch ein verspätetes Tankschiff soll für den Versorgungsengpass verantwortlich gewesen sein, der dazu führte, dass die strategischen Treibstoffreserven des Landes genutzt werden mussten.

Inzwischen hat sich die Situation wieder entschärft. Doch der vorrübergehende Benzinmangel war keine Ausnahme. In den vergangenen Wochen und Monaten sind so häufig wie selten zuvor gleichzeitig eine Reihe Lebensmittel und Güter des täglichen Bedarfs knapp geworden, rationiert oder gleich ganz aus den Regalen verschwunden. Die Inflation stieg zuletzt auf fast neun Prozent an, bei Grundnahrungsmitteln lag sie sogar bei rund 20 Prozent. Damit macht sich die Krise auch bei der ehemals gut situierten, breiten Mittelschicht immer stärker bemerkbar. Unter anderem fehlten in den vergangenen Wochen Brot, Reis, Nudeln, Grieß, Eier, Mehl, Milchprodukte, Softdrinks, Kartoffeln, Kekse, Mineralwasser, Kaffee und Tee, und mehr als hundert teils lebensnotwendige Medikamente. Wie auch beim Benzin handelt es sich um Produkte, die staatlich subventioniert sind und / oder deren Import vom Staat reglementiert wird.

Millionen ausstehende Zahlungen für subventioniertes Brot

Tunesiens Zahlungsschwierigkeiten sind in den letzten Monaten immer offensichtlicher geworden: 3000 Bäckereien, die subventioniertes Brot verkaufen, drohten zuletzt mit einem unbefristeten Streik Seit August 2021 wurden ihnen die Auslagen für die Subventionen vom Handelsministerium nicht zurückerstattet. Es handelt sich um umgerechnet rund 75 Millionen Euro, die der Staat ihnen schuldet, und die viele Bäckerïnnen an den Rand des Bankrotts getrieben hat. Das Handelsministerium erstattet ihnen nun, um den Streik abzuwenden, zunächst die Zahlungen von vier der vierzehn ausstehenden Monate.

Einen kurzfristigen Hoffnungsschimmer bietet jetzt ein Kredit des Internationalen Währungsfonds (IWF) über 1,9 Milliarden US-Dollar. Am vergangenen Wochenende hatte dieser eine vorläufige Zusage gegeben, doch die Entscheidung muss im Dezember noch vom Exekutivbüro des IWF bestätigt werden. Die Summe ist niedriger, als manche tunesischen Offiziellen erhofft hatten und auch als der vorherige Kredit des IWF über 2,9 Milliarden.

Neuer IWF-Kredit: Gefahr oder Hoffnungsschimmer?

Bei vier Jahren Laufzeit, rund vier Prozent Zinsen und zwei Auszahlungen im Jahr reichen die an eine Reihe Bedingungen geknüpften Gelder kaum aus, um die Haushaltslöcher zu stopfen. Der Kredit sei nicht nur keine Lösung, sondern eine „Gefahr für das finanzielle Gleichgewicht“ Tunesiens, das damit noch weiter in Abhängigkeiten und eine Schuldenspirale rutsche, bewertet der Wirtschaftswissenschaftler Ezzedine Saidane die Einigung. Der ehemalige Handelsminister Mohsen Hassan hingegen sieht darin ein positives Signal, das es dem Land erlaube, in Folge Kredite von anderen Geldgebern zu erhalten. Der IWF ruft in seiner Erklärung zum Abkommen die internationale Gemeinschaft explizit dazu auf, Tunesien schnell finanziell zu unterstützen. Zuletzt hatte USAID 60 Millionen US-Dollar Soforthilfe für bedürftige Familien bereitgestellt. Diese sollen allerdings nicht der Regierung zur Verfügung gestellt, sondern über ein Unicef-Programm verteilt werden.

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