„Sie nehmen uns die Würde“: Rassismus und Angriffe auf Migranten in Tunesien

Wie afrikanische Migranten zu Opfern neurechter europäischer Theorien werden

vom Recherche-Kollektiv Afrika-Reporter:
7 Minuten
Eine Frau auf einem Demonstrationszug hält ein Plakat mit der Aufschrift „You fucked with the wrong continent“ in die Luft

Innerhalb von nicht einmal drei Wochen hat sich Tunesien in Afrika politisch und wirtschaftlich isoliert. Seit Staatspräsident Kais Saied am 21. Februar nach einer Sitzung des Nationalen Sicherheitsrates die eigentlich vor allem von Europas Neuer Rechter propagierter Erzählung des „Großen Austauschs“ aufgriff und vor „Horden“ subsaharischer Migranten warnte, die die Demographie Tunesiens verändern sollen, hagelt es Kritik – aus Tunesien aber vor allem international. Bei Teilen der Bevölkerung findet das Thema jedoch Zustimmung.

„Tunesische Waren in den Häfen blockiert, stornierte Bestellungen, Boykottkampagne gegen tunesische Waren in einigen afrikanischen Ländern, (…). Stornierung der Reisen mehrerer Geschäftsleute aus Subsahara-Afrika, Absage von Geschäftsreisen, Messen, Foren“, so fasst Anis Jaziri die Situation zusammen. Der Vorsitzende des Verbandes Tunis-African Business Council (TABC) drängt, Tunesien müsse schnell Schadensbegrenzung betreiben. Guineische Medien berichteten letzte Woche, dass mehrere Großhändler den Import tunesischer Produkte ausgesetzt hätten und senegalesische sowie ivorische Importeure sich dem Boykott anschließen wollten. Auch auf den sozialen Medien kursieren zahlreiche Aufrufe aus westafrikanischen Ländern, keine tunesischen Produkte mehr zu kaufen.

Tunesische Privatunis sind auf die Gebühren der Studierenden aus anderen afrikanischen Ländern angewiesen und planen sie für ihre Finanzierung fest ein. Der Wegfall dieser Einnahmen würde ihr wirtschaftliches Überleben gefährden. Studierende machen rund die Hälfte der in Tunesien lebenden Migranten aus dem Afrika südlich der Sahara aus. Doch schon seit Jahren berichten afrikanische Studierende, dass sie bei der Verlängerung ihrer Aufenthaltsgenehmigungen systematisch schikaniert würden, teilweise trotz Studienbescheinigung jedes Jahr aufs Neue monatelang auf ihre Papiere warten. Dies dränge viele, die ursprünglich regulär nach Tunesien eingereist seien, in die Illegalität.