Journalismus in Mexiko: „Die alltägliche Gewalt einfach, metaphorisch und poetisch darstellen.“

Der mexikanische Fotograf Luis Antonio Rojas arbeitet in einem der risikoreichsten Länder für Medienschaffende weltweit. „Nah dran und doch aus der Ferne“ zeigt er, wie Angst und Brutalität das gesellschaftlichen Leben des Landes dominieren.

vom Recherche-Kollektiv Weltreporter:
4 Minuten
Junger Mann trägt Sarg seines ermordeten Neffen, auf seinem T-Shirt ist „F#ck“ zu lesen

Luis Antonio Rojas arbeitet als Journalist in Mexiko – einem Land, das weltweit zu den gefährlichsten für Medienschaffende zählt. Für den Bildband „Fotos für die Pressefreiheit 2023“ von Reporter ohne Grenzen (RSF) hat er die Fotostrecke „Außer Kontrolle“ beigesteuert, welche die schmerzlichen Spuren zeigt, die die alltägliche Angst und Gewalt in der mexikanischen Gesellschaft hinterlassen. Das Foto zeigt den Gemeindepolizisten Ricardo Mendoza, der den Sarg seines fünfzehnjährigen Neffen Israel Mendoza in eine Kirche in Alcozacán trägt, einem Dorf im Bundesstaat Guerrero. Mendoza war eine*r von zehn Musiker*innen, die von Mitgliedern des Drogenkartells Los Ardillos brutal ermordet wurden, als sie auf einer Party außerhalb ihres Gemeindegebiets spielten.

Im Interview, das Weltreporter Wolf-Dieter Vogel mit Rojas für RSF geführt hat, berichtet der Journalist, wie er zur Fotografie kam, was ihm in seiner Arbeit wichtig ist und welchen Gefahren Fotojournalist*innen in Mexiko ausgesetzt sind.

„Nah dran, aber doch aus der Ferne“

RSF: Sie haben Bautechnik gelernt und sind dann Fotograf geworden. Wieso dieser Wandel?

Rojas: Ich habe an einer Universität in Santa Fe studiert, einem Viertel von Mexiko-Stadt, in dem die sozialen Probleme besonders zum Ausdruck kommen. Einst eine der ärmsten Gegenden der Metropole, ist dort ein reiches Wohn- und Geschäftsviertel entstanden. Viele Bewohner*innen mussten dem Reichtum weichen oder leben am Rande des Viertels. Das hat mich sehr beschäftigt, und ich wollte das dokumentieren. So begann ich mit der Fotografie. Sie gab mir die Möglichkeit, meine Eindrücke visuell festzuhalten und auszudrücken. Bei meinen Streifzügen durch Santa Fe habe ich eine Bauernfamilie kennengelernt, die unten im Tal lebte und gewissermaßen der Urbanisierung standgehalten hat. Die habe ich über mehrere Jahre hinweg immer wieder besucht. So entstand später meine Arbeit „Die letzten Bauern von Santa Fe“.

Bild zeigt Luis Antonio Rojas, eine jungen Mann mit dunkler Brille
Luis Antonio Rojas

RSF: Eine Ihrer wichtigsten Fotostrecken heißt „Losing Control“, die Kontrolle verlieren. Sie handelt von der alltäglichen Gewalt in Mexiko. Wie sind Sie damit umgegangen?

Rojas: Die Gewalt ist leider für Journalist*innen ein allgegenwärtiges Thema. Alle berichten darüber. Ich wollte mich davon fernhalten, weil ich mich damit nicht wohl fühlte. Doch als die Washington Post anfragte, ob ich zusammen mit zwei weiteren Kolleg*innen diese Serie erstellen wolle, sagte ich natürlich nicht nein. Wir sollten verschiedene Facetten der Gewalt darstellen, und so dokumentierten wir nicht nur die Ärmsten, sondern auch Bürgermeister*innen in der Provinz und Militärs, die derzeit immer mehr Macht bekommen. Ich wollte auf jeden Fall etwas anderes machen, als nur das Elend und die städtischen Abgründe zu zeigen. Also versuchte ich, die alltägliche Gewalt in einer einfacheren, metaphorischen und poetischen Art und Weise darzustellen. Das heißt: nah dran, aber doch aus der Ferne. Mir ist es wichtig, Menschen zu porträtieren, ohne mich selbst zu exponieren. Und ich will den Opfern Respekt entgegenbringen. Zudem nehme ich mir die Zeit, mich mit meiner eigenen Angst zu beschäftigen.

Mir ist es wichtig, Menschen zu porträtieren, ohne mich selbst zu exponieren. Und ich will den Opfern Respekt entgegenbringen.

RSF: Stichwort Angst. Journalist*innen leben in Mexiko sehr gefährlich. Beeinflusst das Ihren Alltag?

Rojas: Da ich mich nicht nur mit Gewalt und organisierter Kriminalität beschäftige, bin ich nicht ständig diesen Gefahren ausgesetzt. Mit den Arbeiten für „Losing Control“ habe ich meine ersten praktischen Erfahrungen gemacht. Wir haben Familien getroffen, die mit der Mafia arbeiten, und wurden anschließend von Leuten in einem SUV verfolgt. Dabei habe ich wichtige Verhaltensregeln gelernt. Aber als Mexikaner lernst du sowieso, immer vorsichtig zu sein. Und noch mehr als Journalist. Noch bevor ich meine ersten Bilder machte, wurde 2015 der Fotograf Rubén Espinosa ermordet. Im Gegensatz zu Kolleg*innen, die in den von den Kriminellen kontrollierten ländlichen Regionen leben und lokal arbeiten, bin ich jedoch privilegiert. Ich muss mich nicht nur um diese Themen kümmern. Da ich für internationale Medien tätig bin, verdiene ich ganz gut, während sie oft für ein sehr kleines Honorar schreiben oder fotografieren müssen. Das sind die Menschen, die besonders in Gefahr sind.

Luis Antonio Rojas arbeitet unter anderem für die New York Times, Washington Post, The Guardian, Bloomberg News und National Geographic. 2021 wurde er mit dem 3. Platz des iberoamerikanischen Preises „Fotograf des Jahres“ (POY Latam) geehrt. Weitere Infos findet ihr unterhttps://www.luisantoniorojas.com.

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