Das war 2020 in Südamerika

Der Jahresrückblick der Südamerika-Reporterinnen

28 Minuten
Raketen erleuchten den dunklen Himmel von Santiago de Chile

Südamerika war 2020 nicht nur das Epizentrum der Corona-Pandemie, es ist noch viel mehr passiert: erfolgreiche Proteste in mehreren Ländern, eine indigene Aktivistin erhält einen der renommiertesten Umweltpreise und eine Karibikinsel bangt um einen zehn Zentimeter großen Schatz… Wir haben für Sie die wichtigsten Ereignisse im Jahr 2020 zusammengestellt.

Januar

Bogotá bekommt erste Bürgermeisterin

Mit Claudia López trat am 1. Januar Bogotás erste weibliche und zudem offen homosexuelle Bürgermeisterin ihr Amt an. Die Hoffnungen in die Kandidatin der Alianza Verde (Grüne Allianz) waren groß. Die kolumbianische Welt-Stau-Hauptstadt leidet unter Luftverschmutzung und miserablem Nahverkehr.

Bevor López in die Politik ging, hatte sich die Journalistin mit Recherchen zur parapolítica einen Namen gemacht: Viele Politiker, die mit Paramilitärs unter einer Decke steckten, kamen ihretwegen ins Gefängnis. Als Senatorin initiierte sie 2018 zusammen mit ihrer Lebensgefährtin, der Senatorin Angélica Lozano, den Anti-Korruptions-Volksentscheid, der mit 11 Millionen Stimmen knapp das Quorum verfehlte.

In ihrem ersten Amtsjahr musste sich López mit einer gewalttätigen, ja mordenden Polizei und vor allem der Covid-Pandemie herumschlagen. Immerhin hat wohl keine Hauptstadt der Welt so schnell die Pandemie-Popup-Fahrradwege zu dauerhaften gemacht.

Claudia López, die Bürgermeisterin von Bogotá, fährt über die neu geschaffenen Fahrradwege der Stadt.
Claudia López, die Bürgermeisterin von Bogotá, machte die Pandemie-Popup-Fahrradwege dauerhaft.

Februar

Schwingt die Hüften

Da platzt Lateinamerika vor Stolz: Mit Shakira und Jennifer Lopez gestalten zum ersten Mal zwei Latinas das Pausenprogramm des US-amerikanischen Super Bowls. Die Kolumbianerin und US-Amerikanerin puerto-ricanischer Herkunft legen bei dem globalen Fernseh-Ereignis einen rasanten Auftritt hin, der Publikum und Kritikerїnnen jubeln lässt. Mit Salsa-Rhythmen und kurzen Passagen auf Spanisch.

In Kolumbien löst eine von Shakiras Tanzeinlagen (ab Minute 13) einen kleinen Champeta-Boom aus. Dieser Tanzstil entstand einst in armen afrokolumbianischen Vierteln der Karibikstadt Cartagena. Dass der Superstar ihn der Welt zeigte, machte ihn auf einmal auch für die übrigen Kolumbianerїnnen interessant. Stolz waren sie auf ihre Champeta-Lehrerin, auf die gerade einmal 18-jährige Liz Dany Campo Díaz. Wie Shakira stammt sie aus der Karibikstadt Barranquilla.

Coronavirus erreicht Lateinamerika

Am 26. Februar wird in Brasilien der erste Fall von Covid-19 in Lateinamerika registriert. Den ersten Todesfall meldeten die brasilianischen Behörden am 17. März. Zur Jahresmitte wird der Kontinent zum globalen Pandemie-Hotspot. Soziale Ungleichheit, schlechte Gesundheitsversorgung, fehlende soziale Absicherung und Korruption erschweren eine effektive Bekämpfung. Das Virus trifft die Armen besonders hart. Die Hälfte der Südamerikanerїnnen arbeiten im informellen Sektor. Sie können nicht länger zu Hause bleiben, ohne zu verhungern.

Die Mehrheit der Regierungen in Südamerika nimmt die Pandemie ernst. Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro verleugnet bis heute die Gefahr, die er anfangs eine “Fantasie”, später ein “Grippchen” nannte. Er feuerte mehrere Gesundheitsminister – darunter einen, weil der die Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation befolgen wollte. Die erschütternde Bilanz: Brasilien ist zum Jahresende mit über 191.000 Verstorbenen das Land mit den drittmeisten Covid-19-Toten nach den USA und Indien. Expertїnnen gehen davon aus, dass der südamerikanische Kontinent den Höhepunkt der Pandemie noch nicht erreicht hat.

Menschen mit Mundschutzmasken auf einer Straße in Santiago.
Menschen mit Mundschutz in Santiago. Chile wird im Juli 2020 zu dem Land mit der weltweit höchsten Infektionsrate pro 100.000 Einwohnerїnnen.

März

Rekord-Demonstrationen am Weltfrauentag

Millionen von Frauen protestieren in verschiedenen Ländern Lateinamerikas am Weltfrauentag am 8. März gegen Frauenmorde, sexualisierte Gewalt und für das Recht auf Abtreibung. Es ist einer der größten Protesttage der vergangenen Jahre auf dem Kontinent.

Die meisten Frauen gehen in Argentinien, Chile und Mexiko auf die Straße, wo sie grüne und violette Halstücher schwenken. “Mi cuerpo, mi decisión” (Mein Körper, meine Entscheidung) oder “Ni Una Menos” (Keine weniger) ist auf den Plakaten der Demonstrantinnen zu lesen.

Tausende von Frauen demonstrieren zum Weltfrauentag in Santiago.
Tausende Frauen sind zum Weltfrauentag in Santiago auf die Straße gegangen.

Lateinamerika ist weltweit die Region mit den strengsten Gesetzen für Abtreibungen und den meisten Frauenmorden. In Chile führen tausende Frauen eine feministische Performance gegen sexualisierte Gewalt vor dem Regierungsgebäude auf: “Un violador en tu camino” (ein Vergewaltiger auf deinem Weg) wird über soziale Netzwerke weltweit bekannt. Am 30. Dezember stimmte der argentinische Senat für die Legalisierung der Abtreibung.

April

“Die Herde durchtreiben”

Am 3. April wird die erste Covid-19-Erkrankung aus dem Amazonasgebiet an der Grenze von Kolumbien zu Brasilien gemeldet. Die Frau aus der Ethnie Kokama arbeitete für den Gesundheitsdienst. Eine knappe Woche danach stirbt ein 15-jähriger Yanomami, der im Krankenhaus im brasilianischen Roraima nicht versorgt worden war.

Am 22. April bekennt der brasilianische Umweltminister Ricardo Salles, dass er die Gesundheitstragödie des Covid-19 dazu nutzen will, die Umweltschutzgesetze zu lockern. Er nennt es »passar a boiada« – die Herde durchtreiben. Die Politik der Straflosigkeit stimuliert vor allem in Brasilien die Invasion der illegalen Garimpeiros, Goldsucher, und Holzfäller. Sie tragen das Virus in die indigenen Gebiete.

Eine Ansteckungswelle bricht über das gesamte Amazonasgebiet herein und setzt sich bis in die letzten indigenen Schutzgebiete fort. Fehlende medizinische Hilfe und die prekären Gesundheitssysteme lassen die Sterblichkeitsrate von Indigenen, Quilombolas und Caucheros auf 10 Prozent ansteigen. Iquitos und Manaos werden unfreiwillig zu Orten von “Herdenimmunität”, an denen 66 bis 70 Prozent der Bevölkerung Antikörper gegen Covid-19 im Blut hatten.

Mai

Kein Bergbau in „Los Cedros“

Der bedrohte Nebelwald „Los Cedros“, 60 Kilometer nordwestlich von Quito, wird womöglich mit Personenrechten ausgestattet werden. Der 4.800 Hektar große Regenwald der tropisch-subtropischen Gebirgsstufe ist die Heimat von mehr als 200 Arten, die stark vom Aussterben bedroht sind, darunter der andine Brillenbär und der Braunkopfklammeraffe. 68 Prozent diese artenreichen Waldes waren bereits zur Ausbeutung an die Nationale Bergbaugesellschaft (Enami) vergeben worden.

Ein Braunkopfklammeraffe spült ein Stück Kokusnuss.
Braunkopfklammeraffen gehören zu den bedrohten Tierarten im Nebelwald „Los Cedros“, Ecuador. © Patrick Müller https://de.wikipedia.org/wiki/Klammeraffen#/media/Datei:Ateles_fusciceps_robustus_water.JPG

Mitte Mai entschied das Oberste Verfassungsgericht jedoch gegen die bereits erteilten Konzessionen. Das Tribunal betonte die hohe Biodiversität des Waldes und kündigte an, die in der Verfassung verankerten Rechte der Natur zu nutzen. Ecuador hatte 2008 als erstes Land der Welt die indigenen Konzepte vom „Guten Leben“ und von „Pachamama“ als „Mutter Erde“ in Artikel 72 der Verfassung festgeschrieben.

Juni

In Peru geht die Luft aus

Carmen Meza aus Lima döst im Auto, zusammen mit zwei Freundinnen. Seit dem Morgengrauen wartet sie in einer übel beleumdeten Gegend der Hafenstadt Callao, dass sie ihre Sauerstoffflaschen auffüllen kann. Ihr Mann und zwei seiner Brüder, alle drei Kleinbusfahrer, haben sich mit Corona angesteckt und brauchen Sauerstoff. Im Krankenhaus und dem Gesundheitsposten gibt es längst keinen mehr. Jede Familie muss selbst schauen, wie sie an das lebensspendende Gut kommt. Je nach Schwere der Krankheit kostet das die Familien umgerechnet bis zu 40 Euro täglich – viel Geld bei einem monatlichen Mindestlohn von 230 Euro.

Carmen Meza und zwei Freundinnen warten im Auto darauf, dass sie an die Reihe kommen, um Sauerstoff zu kaufen.
Carmen Meza und zwei Freundinnen warten im Auto darauf, dass sie an die Reihe kommen, um Sauerstoff zu kaufen.

Corona hat offen gelegt, wie unzulänglich, korrupt und zutiefst ungerecht das Gesundheitswesen in Peru ist. Das Land hat die weltweite Liste der Länder mit den meisten Covid-19-Todesfällen pro Einwohnerїnnen monatelang angeführt. Es gibt kaum eine Familie, die nicht jemanden verloren hat. Viele von ihnen, weil sie nicht rechtzeitig an Sauerstoff angeschlossen werden konnten.

Die Knappheit ist hausgemacht: In den Nachbarländern ist medizinischer Sauerstoff mit einem Reinheitsgrad ab 93 Prozent erlaubt, in Peru nur ab 99 Prozent. Im Juni zieht die Regierung per Dekret nach – zu spät für viele Covid-Patientїnnen in Peru.

Juli

Tödliches Engagement

Kolumbien ist für Umweltschützerїnnen und Verteidigerїnnen von Landrechten das gefährlichste Land der Welt. Laut dem im Juli veröffentlichten Bericht der Menschenrechtsorganisation Global Witness wurden 64 Menschen im Jahr 2019 wegen ihres Engagements für die Natur ermordet – so viele wie nirgendwo sonst. Das waren mehr als doppelt so viele wie im Vorjahr. 2020 verspricht, ein besonders trauriges Jahr zu werden. Zwischen 1. Januar und 6. Dezember wurden laut des Instituts für Entwicklung und Frieden (Indepaz) bereits 284 líderes sociales ermordet – also Menschen, die sich sozial engagieren, zum Beispiel für die Umwelt, den Friedensprozess, Menschenrechte oder in der Politik.

August

Schwarze Flecken im Naturschutzgebiet

Am 11. August färbte sich das sonst kristallblaue Wasser im Naturschutzgebiet Morrocoy an der Karibikküste von Venezuela schwarz. Ein Erdöltanker sei vor der Küste verunglückt, hieß es aus staatlichen Quellen. Unabhängig ausgewertete Satellitenfotos deuteten jedoch auf Unfälle in der an Küste gelegenen staatlichen Raffinerie El Palito hin. Innerhalb von zehn Tagen wurden noch zwei weitere Erdöl-Leckagen gesichtet.

Die Raffinerie El Palito an der Karibikküste Venezuelas.
Die Raffinerie El Palito an der Karibikküste Venezuelas.

Wenn wirtschaftliche Tätigkeit eingeschränkt wird, profitiert davon oft die Umwelt. So erreichte die peruanische Hauptstadt Lima erstmals von der Weltgesundheitsorganisation erlaubte Luftreinheitswerte. Doch genau das Gegenteil geschieht seit Jahren in Venezuela: Der Zusammenbruch der Erdölindustrie führt zu unzureichender Wartung und dem Verfall von Raffinerien und Pipelines. Überlaufende Rückhaltebecken, Lecks und kaputte Ventile verschmutzen seit Jahren die Umwelt.

Die Regierung unter Nicolas Maduro möchte dies gerne verschweigen. Unabhängige Umweltorganisationen und venezolanische Wissenschaftlerїnnen – zum Teil ins Ausland emigriert – dokumentieren die Ausmaße der Unfälle so gut sie können.

Bilder der Zerstörung

Die Zerstörung der Tropenwälder ist sichtbar – und zwar bis auf jeden einzelnen Baum. Das zeigen die hochauflösenden Satellitenbilder, zu denen die norwegische Regierung seit September 2020 der Öffentlichkeit freien Zugang gibt. Über 150 Mikrosatelliten nehmen aus dem All die gesamte Erde auf. Auf der Seite von Global Forest Watch können alle die Mosaike der Zerstörung nachverfolgen und zusehen, wie sich rosa Pixel und Felder in die grünen Primärwaldflächen hineinfressen.

Die Organisation Amazon Conservation dokumentierte 2020 über 2.500 Feuer, 88 Prozent davon in Brasilien. Die Bilder lassen Tendenzen erkennen und können Beweise liefern. Damit sie die Tropenwälder auch schützen können, müssen Journalistїnnen, Forscherїnnen und Strafverfolgungsbehörden zusammenarbeiten.

Die indigenen Parakanã Brasiliens hatten 2007 die Abgrenzung ihrer Gebiete durchsetzen können. Trotzdem haben sie seither etwa fünf Prozent ihrer Waldfläche durch illegale Siedlerїnnen, Holzfällerїnnen und Bergbau verloren.

Oktober

Luis Arce wird neuer Präsident von Bolivien

Für die Bolivianerїnnen ist mit den Wahlen am 18. Oktober fast ein Jahr Übergangsregierung zu Ende gegangen. Mit 55,1 Prozent der Stimmen gewann haushoch Luis Arce von der Bewegung zum Sozialismus (MAS).

Seit den Unruhen nach der Präsidentschaftswahl vom Oktober 2019 und dem Rücktritt von Präsident Evo Morales war Bolivien tief gespalten gewesen. Fast ein Jahr hatte die umstrittene Übergangspräsidentin Jeanine Áñez die Geschicke des Landes gelenkt. Wegen der Pandemie waren die für Mai geplanten Wahlen mehrfach verschoben worden, was Massenproteste auslöste – aus Sorge, die Übergangsregierung würde kein Ende nehmen.

Luis Arce ist der ehemalige Wirtschaftsminister von Ex-Präsident Evo Morales. Er hat laut Analystїnnen vor allem gewonnen, weil er sich von Evo Morales distanzierte und einen Neuanfang versprach. Doch nach seinem Amtsantritt im November kehrte Morales aus dem Exil zurück. Mittlerweile ist er Parteivorsitzender. In Arces Kabinett sitzen vor allem Männer, die schon unter “Evo” politische Ämter oder Posten innehatten.

Chilenїnnen stimmen für neue Verfassung

“Adiós General”, rufen die Menschen am 25. Oktober auf der Plaza de la Dignidad, wie viele die Plaza Baquedano im Zentrum der Hauptstadt Chiles nennen. Bis in die frühen Morgenstunden feiern Millionen im ganzen Land das Ergebnis eines historischen Referendums: Knapp 80 Prozent haben dafür gestimmt, eine neue Verfassung auszuarbeiten und damit die Verfassung aus der Militärdiktatur von General Augusto Pinochet (1973–1990) hinter sich zu lassen.

Mit Masken finden sich die Chileїnnen zur Abstimmung über eine neue Verfassung ein.
Knapp 80 Prozent der chilenischen Bevölkerung stimmten für eine neue Verfassung.

Ein Jahr zuvor, im Oktober 2019, hatte sich ein nationaler Aufstand an der Erhöhung der Fahrpreise der U-Bahn in Santiago entzündet. Monatelang dauerten die Proteste an, die sich gegen die soziale Ungleichheit im Land und gegen das in der Verfassung verankerte neoliberale Modell richteten.

In der Corona-Krise sind die Folgen des auf ein Minimum reduzierten Staates noch deutlicher geworden. Viele haben ihre Arbeit verloren und erhalten keine staatliche Unterstützung. Die Parks in der Hauptstadt haben sich mit Zelten von Obdachlosen und “ollas comunes”, solidarischen Suppenküchen, gefüllt.

November

Nemonte Nenquimo aus Ecuador gewinnt den Goldman-Preis

2020 war für die indigenen Waorani aus Ecuador ein erfolgreiches Jahr, vor allem für die Umweltschützerin Nemonte Nenquimo. Im April 2019 hatte sie einen historischen Prozess gegen die ecuadorianische Regierung gewonnen. Diese hatte indigenes Territorium für Ölbohrungen geöffnet, ohne eine gültige Befragung der Betroffenen. Das Gericht gab den Waorani in allen Instanzen recht.

Die 200.000 Hektar, die sich zu 16 Prozent mit indigenen Territorien überlappen, dürfen nicht mehr für die Erdölförderung angeboten werden. Das Urteil könnte zum Präzedenzfall werden für sechs weitere indigene Völker im ecuadorianischen Amazonasgebiet, deren Gebiete vermutlich unrechtmäßig ausgebeutet werden. „Wir haben der Welt gezeigt, dass Leben wichtiger ist als Öl“, sagte Nenquimo.

Das Gesicht der indigenen Umweltschützerin Nemonte Nenquimo ist um die Augen herum mit der roten Farbe der Achiote-Pflanze bemalt.
Die indigene Umweltaktivistin Nemonte Nenquimo: „Wir haben der Welt gezeigt, dass Leben wichtiger ist als Öl.“

Dieser Sieg trug dazu bei, dass im September diesen Jahres die Zeitschrift TIME die Aktivistin zu einem der einflussreichsten 100 Menschen der Welt kürte. Im November folgte die Auszeichnung mit dem mit 150.000 US-Dollar dotierten Goldman-Umweltpreis. Die 35-Jährige nahm den “grünen Nobelpreis” im Namen der Gemeinschaft entgegen. “Wir müssen uns vielen Bedrohungen stellen und haben sehr gute Ideen, unsere Autonomie zu stärken, dafür werden wir den Preis gut gebrauchen können, “ sagte Nenquimo.

Fluch der Karibik

Die Hurrikane Eta und Iota fegten über die Karibik und verursachten große Schäden in Kolumbien und in Zentralamerika. Iota erreichte die höchste Kategorie 5 (140 bis 225 Kilometer pro Stunde) auf der Skala Saffir-Simpson und zerstörte das, was Eta knapp zwei Wochen zuvor stehengelassen hatte. Den Orkanstürmen folgten katastrophale Überschwemmungen. An der nicaraguanischen Karibikküste trafen beide Hurrikane nur wenige Kilometer voneinander entfernt auf.

Die von den Stürmen zerstörten Holzhäuser. In einem hat sich ein Pelikan niedergelassen.
Die Gemeinden Wawabar und Puerto Cabezas nach den Orkanstürmen. Der Pelikan hat sich in einem der zusammengefallenen Häuser ausgeruht, um dann weiterzufliegen.

In Kolumbien, dem zweitartenreichsten Land der Welt, verursachten die Hurrikane neben menschlichen Tragödien auch Umweltkatastrophen. Auf der kleinen Insel Providencia könnte Iota nicht nur 98 Prozent der Infrastruktur, sondern auch dem Dickschnabelvireo (Vireo crassirostris alias Vireo de Providencia) den Garaus gemacht haben, befürchtet der Forscher Luis Miguel Renjifo Martínez von der Universidad Javeriana. Die nur zehn Zentimeter große, endemische Vogelart war schon vorher vom Aussterben bedroht gewesen. Auch der Zustand der Korallenriffe vor San Andrés und Providencia ist nach Eta und Iota “verheerend”, bescheinigte ein Taucher-Team. Gesunde Korallenriffe halten bis zu 97 Prozent der Wellenkraft ab und sind ein natürlicher Küstenschutz.

Bei der Vorsorge für diese Katastrophen stünden die betroffenen Länder sehr am Anfang, sagt der kolumbianische Forscher Germán Poveda gegenüber Mongabay. „Die Auswirkungen des Klimawandels bei einem Temperaturanstieg um 2,5 Grad Celsius könnten zwischen 1,5 und 4,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) kosten, während die Kosten für die Anpassung an die Klimaverhältnisse 0,5 Prozent des regionalen BIP nicht überschreiten würden“, heißt es in der Studie zur Anpassung an die Risiken des Klimawandels in den lateinamerikanischen Ländern, die Poveda leitete. Die Regierung von Nicaragua hat die Schäden auf 742 Millionen Dollar geschätzt, 5,93 Prozent des BIP.

Aufschrei gegen Korruption

Kaum ein weißes Haupt war auszumachen an jenem 12. November in der historischen Altstadt von Lima. Tausende, ja Zehntausenden von jungen Menschen, die höchstens 30 Jahre alt schienen, waren auf der Straße. In ganz Peru protestierten sie seit einer Woche gegen Korruption im Parlament und in der Politik. Am 15. November erreichten sie, dass Präsident Manuel Merino nach nur fünf Tagen im Amt zurücktrat.

Nach monatelangem Lockdown wegen Covid-19 waren die Proteste wie ein Schrei der Jugend nach einem Neuanfang. Sie markierten eine Wende nach Jahren der Politikverdrossenheit.

Junge Demonstrantїnnen in der Altstadt von Lima.
Junge Demonstrantїnnen in der Altstadt von Lima.

Gerade die ältere Generation ist noch sehr geprägt von der Erfahrung des Bürgerkrieg aus den 80-er Jahren. Wer damals politisch tätig war, geriet schnell unter Terrorismus-Verdacht. Die jungen Protestierenden von 2020 kennen diese Zeit nicht mehr aus eigener Erfahrung und gingen zu Zehntausenden auf die Straße. Dabei kam es zu gewaltsamen Zusammenstößen mit der Polizei, die äußerst hart gegen die Protestierenden vorging. Zwei Studierende starben an Schussverletzungen. Die schuldigen Polizisten sind bis heute nicht identifiziert.

Viele junge Demonstrierende forderten eine neue Verfassung. Ob die Proteste wie im benachbarten Chile so weit führen werden, ist noch nicht abzusehen.

Dezember

Sonnenfinsternis: Naturschauspiel oder schlechtes Omen?

Es ist bereits das zweite Jahr in Folge, dass Chile Schauplatz einer totalen Sonnenfinsternis wird. Trotz Corona reisen am 14. Dezember Zehntausende in die Araucanía-Region im Süden des Landes, um zu sehen, wie sich der Mond zwischen die Erde und die Sonne schiebt und der Mondschatten sich über die Erde legt.

Der Mondschatten legt sich über die Erde in der Illustration der Mapuche-Website Kimeltuwe.
Sonnenfinsternis: Naturschauspiel oder schlechtes Omen?

Einige Bewohnerїnnen der Region, viele von ihnen sind indigene Mapuche, sind aber nicht begeistert von den vielen Besucherїnnen aus der Hauptstadt – einerseits, weil sie das Coronavirus mitbringen, und andererseits, weil die Sonnenfinsternis für die Mapuche eine spirituelle Bedeutung hat. “Lhan Antü” bedeutet in ihrer Sprache Mapudungun “Tod der Sonne”. Da die Sonne für Kraft, Feuer und Leben steht, kündigt die Sonnenfinsternis für die Mapuche eine negative Veränderung an. Sie sollte deshalb von Ritualen und Momenten der Reinigung und Ruhe begleitet werden. Keinesfalls sollte man jedoch direkt in die Sonne blicken.

Das Bild zeigt einen kleinen Altar auf dem Kokablätter, Papiergeld und Süßigkeiten liegen und angezündet werden.
Mit diesem Opfer (pago a la tierra) danken die Andenbewohnerїnnen Perus der Mutter Erde und bitten um gutes Gelingen für ein Vorhaben. Auf dem kleinen Scheiterhaufen liegen Kokablätter, Papiergeld und Zuckerzeugs.

Das war 2020. Wir wünschen Ihnen ein glückliches und gesundes 2021!

Ihre Südamerika-Reporterinnen Ulrike Prinz, Sophia Boddenberg, Hildegard Willer und Katharina Wojczenko

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