22 Jahre später: Meine Rückkehr nach Amazonien

Wie ich in das Dorf der Mehinako am Oberen Xingu zurückkehrte und dabei auf mein altes Forschungsthema und den Aufstieg des indigenen Feminismus stieß.

vom Recherche-Kollektiv Südamerika+Reporterinnen:
16 Minuten
Zwei Frauen mit langen schwarzen Haaren vor Bananenstauden und einem mit Plastikfolie gedeckten Haus.

Ulaky kurvt sicher den Schotterweg in Richtung Wald im Oberen Xingu, Mato Grosso. Es ist schon dunkel und gleich wird es nochmal finsterer, wenn wir in den Wald fahren. Die trockenen Sojafelder stoßen hier direkt an den Urwald. Die Lichter des schwarzen Hyundais werfen ihre gelben Kegel voraus und lassen die Augen der Eulen im Dunkeln aufblitzen. Sie hocken an den Wegesrändern, und halten Ausschau nach Beute. Ulaky ist „motorista“, Fahrer, ein Job, mit dem man sich so einigermaßen über Wasser halten kann. Er ist der Neffe der verstorbenen Schamanin Yamoní Mehinako, zu deren Totenehrung, dem Kwarup-Ritual, ich nach 22 Jahren ins Dorf der Mehinako zurückkehre.

Im Städtchen Gaúcha do Norte haben wir noch Benzin getankt und weitere 20 Liter auf Vorrat in einen zweiten Kanister gefüllt und schnell noch Kekse und Nüsse, Kaffee und Reis gekauft. Der Plan ist möglichst schnell ins Dorf der Mehinako, nach Uyapiuku zu kommen. Denn morgen wird ein großer Teil der Dorfbewohner zum Kwarup ins Nachbardorf der Kuikuru aufbrechen.

Die Konversation läuft etwas schleppend: Ich versuche herauszukriegen, ob er vor 22 Jahren beim Initiationsfest „Pühükã“ mit dabei war, als ich meine Feldforschung machte – von seinem Alter her müsste es passen. „Nein, ich hatte mir am Tag zuvor das Bein gebrochen, beim Fußballspielen“, sagt er. Während der Zeit, die ich im Dorf verbrachte, lag Ulaky also im Krankenhaus.

Dann haben wir den Fluss erreicht. Mit den Handys funzeln wir im pechschwarzen Wald herum. Der Wasserstand ist sehr niedrig. Wir verladen alles Gepäck auf das Boot, nur um den Fluss zu überqueren. Am anderen Ufer wartet ein Pickup mit den Brüdern Assalu und Tamalui, den Organisatoren des Kwarup-Festes. Sie bringen uns nach Uyapiuku.

Vor trockenen Gräsern erhebt sich der Wald mit Burití-Palmen und einer großen Vielfalt an Bäumen im Hintergrund.
Der Obere Xingu liegt am Übergang von der Baumsteppe, dem „cerrado“, zum amazonischen Tiefland.

Der Obere Xingu ist eines der wenigen Schutzgebiete, in dem die Indigenen bisher relativ ungestört leben konnten. Ihre Familien sind seit jeher multiethnisch und mehrsprachig. Drei der großen Sprachgruppen Brasiliens sind hier zu einer gemeinsamen Kultur verschmolzen, ihre Sprachen und Dialekte haben sie jedoch bewahrt und ein System des friedlichen Austauschs errichtet. Zu den großen Festen, wie dem Kwarup, besuchen sie sich gegenseitig.

Auf einer Karte ist das indigene Schutzgebiet Oberer Xingu mit den angrenzenden Städtchen Canarana und Querência im Bundesstaat Mato Grosso eingezeichnet.
Die Karte des indigenen Schutzgebietes Oberer Xingu mit den angrenzenden Städtchen Canarana und Querência.

Auf den Spuren der „Amazonen“

Das letzte Mal, vor 22 Jahren, mussten wir mindestens fünf Stunden mit dem Motorboot den Schleifen des Kuluene-Flusses folgen, um das Dorf Uyapiuku zu erreichen. Es tummelten sich die Riesenmeerschweinchen Capybaras am Ufer und ein Tapir -aufgescheucht vom Motorengeräusch – floh in den Wald.

Am Flussufer flieht ein Tapir vor dem Geräusch des Motorboots in den Wald.
Die Fahrt ins Dorf der Mehinako führte vor 22 Jahren noch über den Kuluene-Fluss. An seinen Ufern sah man Capibaras und Tapire und im Schein der Taschenlampen dann die Augen der Kaimane aufblitzen.
Drei mit schwarzer und roter Farbe bemalte Männer sitzen vor einem palmbedeckten Haus.
Das Männerhaus im Zentrum des Runddorfes ist der Ort, wo die Männer unter sich sind und in dessen Inneren Zeremonialgegenstände aufbewahrt werden.
Mit Adlerfedern geschmückt und untergehakt bei den älteren Männern lernen die Initianden  die Tänze.
Initiationsritual für Knaben im Oberen Xingu. Mehrere Tage und Nächte dauert die Zeremonie, mit der die Jungen auf ihre neue Rolle als erwachsene Männer vorbereitet werden.
In einem Unterstand hängen mehrere Hängematten nebeneinander. In der ersten sitzt ein Mann mit der traditionellen Bemalung, Gürtel und Ohrschmuck, dahinter die Ethnologin Barbara Arisi.
Aiuruá Mehinako ist für das Trauerfest Kwarup seiner Schwester geschmückt. Dahinter die Ethnologin Barbara Arisi. Sie begleitete und unterstütze mich bei meinen Recherchen. Untergebracht sind die indigenen und nicht-indigenen Gäste in einem provisorischen Unterstand.
Mann mit nacktem Oberkörper blickt auf ein Foto, das ihn vor 22 Jahren zeigt und lächelt.
Maycute Mehinako betrachtet sein Foto von vor 22 Jahren. Heute ist er der Dorfchef.
Ein etwa 70-jähriger Mann in blauem Jacket sitzt und raucht eine Zigarre.
Der Schamane Monaí raucht seine Zigarre.
Zwei Frauen stehen nebeneinander, die Arme um Schultern gelegt. Eine indigene und eine weiße Frau. Daneben beide Frauen 22 Jahre später.
Takulalu Mehinako und ich. Abschied und Wiedersehen nach 22 Jahren.
Im Vordergrund liegt ein traditionelles Großhaus zusammengebrochen auf dem Platz, dahinter sieht man ein mit Plastikplanen gedecktes Haus.
Die Großhäuser der Xinguanos müssen immer wieder erneuert werden. Doch fehlt es in der Nähe der Dörfer an Materialien. Deshalb werden Plastikplanen verwendet, die jedoch die Häuser tagsüber aufheizen und nachts nicht vor der Kälte schützen.
Ein bemaltes fünfjähriges Mädchen sitzt im dunklen Großhaus vor einem Flatscreen Fernseher und guckt eine Kindersendung.
Tradition und Moderne: Kurz bevor sie mit ihrem Vater, der eine Wantana-Flöte spielt, tanzen muss, sitzt Nika noch vor dem Fernseher.
Die Mehinako ziehen ein über 20 Meter langes Netz durch die Lagune, die am oberen Ende mit einem weiteren Netz gesperrt ist. So werden die Fische zusammengetrieben.
Vor jedem Fest im Xingu muss genügend Fisch zur Bewirtung der Gäste vorhanden sein. Je mehr Gäste, desto wichtiger die verstorbene Person.
Ein Junge im roten Hemd watet durch die Lagune. Er ist mit angespitzten Stöcken bewaffnet, um die Fische aufzuspießen. e
Neben dem kollektiven Fischfang gehen Jungen und Männer auch einzeln mit Pfeil und Bogen oder mit einem Dreizack auf die Jagd.
Mit Rechen bewaffnet gehen wir, um das Ufer der Lagune von verfaulten Blättern zu befreien.
Aus dem schmalen Pfad zur Lagune ist eine Sandpiste geworden.
Fünf Mädchen stehen auf einem Holzbalken im Wasser der Lagune und formen Herzen mit ihren Händen.
Die Gänge zum Baden in Begleitung der Mädchen sind noch genauso ausgelassen wie vor 22 Jahren.
Eine Reihe von Frauen tanzt auf die Männer zu.
Das Maniok-Ritual bietet einen Rahmen, innerhalb dessen sich Frauen und Männer gegenseitig beschimpfen, weil aber alles „gesungen“ ist, darf keiner beleidigt sein. So können sie ihre Wut loswerden, ohne den anderen zu verletzen.
Zwei Frauen mit langen schwarzen Haaren vor Bananenstauden und einem mit Plastikfolie gedeckten Haus.
Die Schwestern Ana Terra und Watatakalu Yawalapiti kämpfen für einen intakten Lebensraum und für Geschlechtergleichheit.
Collage von drei Bildern: auf einem sieht man ein etwa 10-jähriges Mädchen an der Badestelle. Auf dem zweiten dieselbe Person 22 Jahre später mit ihrer kleinen Tochter und auf dem dritten Bild die Autorin, wie sie von dem kleinen Mädchen umarmt wird.
Kulumpe (links oben) war meine ständige Begleiterin vor 22 Jahren. Heute ist sie Mutter von drei Kindern, ihre Jüngste heißt Nika und ist wieder meine Freundin.