„Falls ich dann noch nicht im Gefängnis bin“

Schwindenden Freiräume für Andersdenke, Verfahren gegen Journalisten und die Opposition: Wie sich die Situation in Tunesien auf Arbeit und Alltag auswirkt

vom Recherche-Kollektiv Afrika-Reporter:
6 Minuten
Eine Gruppe Männer und Frauen mit Plakaten steht vor einem Gebäude, ein Mann spricht in ein Megafon,

Vor Kurzem habe ich einen befreundeten tunesischen Kollegen getroffen. Kennengelernt hatten wir uns 2011, er studierte gerade Journalismus. Das Fach war in dem nordafrikanischen Land damals interessant geworden: Langzeitmachthaber Ben Ali war nach Saudi-Arabien geflüchtet, im Land herrschte Aufbruchsstimmungen und es wurde über alle möglichen und unmöglichen Fragen lautstark und mit viel Enthusiasmus gestritten. Auch in den Medien konnte man auf einmal gefahrlos mehr machen, als Pressemitteilungen über den Präsidenten abzudrucken oder ganz vorsichtig die roten Linien auszuloten.

Als ich ihn bei unserem Treffen neulich fragte, wie es ihm gehe, schaute er mich einen Moment lang irritiert an. „Also, du meinst abgesehen von diesem ganzen, diesem, diesem ….“. Statt seinen Satz zu beenden, holte er mit den Armen aus, machte runde, kreisende Bewegungen, als wollte er das ganze Drumherum einfangen. Denn es ist das große Ganze, das für viele Menschen in Tunesien aus dem Lot geraten ist.

Im Gespräch mit Freundïnnen, Bekannten, Kollegïnnen und manchmal auch Interviewpartnern kommt schon seit Monaten immer wieder die Frage auf, ob man darüber nachdenke, Tunesien zu verlassen. In den letzten Wochen ist für viele aus dem „ob“ ein „wie“ geworden. Es handelt sich nicht mehr um theoretische Gedankenspiele, sondern um konkrete Pläne und Notfall-Strategien: Wie komme ich raus, wenn es hart auf hart kommt?