Mobilitätskolumne: Momos Zeitdiebe – wie viel Lebenszeit verlieren Autofahrende in der Innenstadt?

Mobilität kommt nicht ohne Zahlen aus. Häufig sollen sie die düsteren Auswirkungen einer fehlgeleiteten Verkehrspolitik aufzeigen. Stattdessen geben sie Anlass über den Sinn des Lebens und des Unterwegsseins nachzudenken.

vom Recherche-Kollektiv Busy Streets:
3 Minuten
Symbolfoto: Verkehr in Berlin: Autos, Bus und Fahrrad. Mobliität bedeutet ein Gemisch von verschiedenen  Verkehrsteilnehmenden

Der Mobilitätsdienst Tomtom hat den Menschen in Berlin, genauer gesagt den Autofahrenden, eine frohe Botschaft errechnet. Sie waren 2023 schneller unterwegs als im Vorjahr. Eine zehn Kilometerlange Fahrt durch die Innenstadt dauerte im Durchschnitt nur noch 22 Minuten und damit zehn Sekunden weniger als 2022. Die Berliner Verkehrspolitik war also erfolgreicher als das Hamburger Gegenstück. In der Hansestadt benötigen Autofahrende laut der Tomtom-Auswertung 23 Minuten und 50 Sekunden für die gleiche Strecke, 30 Sekunden mehr als 2022. Hamburg ist Deutschlands langsamste Stadt, selbst in Tokio, Kairo und Djarkata kommt man mit dem Auto schneller voran.

Michael Endes Roman von Momo wieder aktuell

Berlin nimmt neben Frankfurt eine Ausnahmestellung ein, denn die Entwicklung in den deutschen Großstädten entspricht eher den Hamburger Verhältnissen. Die Aachener Autofahrenden müssen 40 Sekunden mehr verkraften, in Hannover kommen sogar 50 Sekunden obendrauf. Noch ist nicht bekannt, mit welchen Gegenmaßnahmen die Menschen auf diesen Zeitverlust reagieren. Sparen sie beim Frühstück, stehen sie früher auf? Vor 50 Jahren ist Michael Endes Roman Momo erschienen, in dem die grauen Herren den Menschen die Zeit stehlen. Sie erleben eine Wiedergeburt.

Wer nachts zur Arbeit fährt, kann Zeit sparen

Tomtom hat jedenfalls berechnet, wie viel Zeit im Jahr verloren geht, weil der Verkehr langsamer fließt als er könnte. In Hamburg waren es im Jahr 2023 immerhin 74 Stunden. Die Vergleichsgröße dazu sind die Sprinterzeiten, die den besten Verkehrsfluss erlauben. In Hamburg fließt der Autoverkehr morgens gegen 4 Uhr am besten. Montags, dienstags und mittwochs dauert die Zehn-Kilometer-Tour dann nur 16 Minuten und 50 Sekunden, sieben Minuten weniger als im Durchschnitt. Zeitoptimierer haben also Möglichkeiten zur Gestaltung, indem sie den Feierabend verschieben und nachts fahren, jede Stunde später am Abend bringt ein paar Minuten.

Berücksichtigt werden allerdings nur die Zeiten der Autofahrt. Der Weg zum Parkplatz geht nicht in die Kalkulation ein. Es ist leicht verständlich, dass Menschen, die im 20. Stock eines Hochhauses arbeiten, benachteiligt sind im Vergleich zu den Erdgeschosslern. Da sind die zehn Sekunden Zeitgewinn in Berlin schnell wieder verloren.