Die Schlangen des San Domenico: ein uraltes Ritual und ein Fest für die Forschung

Einmal im Jahr hat der Heilige Domenico im italienischen Cocullo einen großen Auftritt. Für eine Prozession durch das Dorf wird seine Statue mit lebenden Nattern geschmückt. Die Wissenschaft nutzt dies für eine Langzeitstudie an den Tieren. Neben der Grundlagenforschung geht es um Krankheitserreger, die uns und den Schlangen gefährlich werden könnten – und ganz aktuell sogar um Erdbebenforschung.

vom Recherche-Kollektiv Tierreporter:
10 Minuten
Foto der Statue eines Heiligen, der mit gestreiften Nattern behängt ist, die seinen Kopf und die Schultern bedecken. Im Hintergrund ein Fenster, aus dem ein paar Menschen zusehen und Fotos machen. Schultern

In Cocullo drängen sich die Menschen auf dem Dorfplatz und in den Straßen. Sie essen, reden und lachen; manche warten schon seit Stunden. Gegen Mittag ist es dann so weit. Ein Raunen geht durch die Menge, als San Domenico auf starken Schultern die Kirche verlässt. Doch die Statue des bärtigen Heiligen in brauner Kutte mit Bischofsstab und Hufeisen kommt nicht weit. Sie wird von der Menge verschluckt, aus der immer wieder Hände in die Höhe gestreckt werden – in deren Griff sich braune Nattern winden. Es ist eine uralte Tradition: Die Menschen von Cocullo schmücken San Domenico mit lebenden Schlangen.

Das Spektakel lässt die dramatische Kulisse fast vergessen. Cocullo liegt mitten in den italienischen Abruzzen, wirkt mit seinen hellen Steinhäusern wie hingewürfelt an einen Berghang. In der Ferne ragen schneebedeckte Gipfel auf, während die Landschaft hier von tiefen Tälern durchzogen ist. Auf den Feldern und Wiesen leuchtet weithin der Mohn, doch an diesem Tag hat kaum jemand Augen für die Schönheit der Natur. Die Menschen sind gekommen, weil Cocullo heute wie an jedem 1. Mai aus seinem Dornröschenschlaf erwacht. Dann feiert das Dorf wie seit fünfhundert Jahren La Festa dei Serpari: das Fest der Schlangenfänger.

Das Gesicht einer Statue ist unter Schlangen begraben. Auf dem Foto sind auch viele Menschen zu sehen und Handys werden in die Höhe gehalten.
Das Wimmelbild von Cocullo: Irgendwo zwischen Menschen, Handys und Schlangen ist der Heilige Domenico versteckt.
Ein Mann spricht auf seinen kleinen Sohn ein, der verschämt zur Seite blickt und eine Schlange in der Hand hält.
Ich mag aber nicht. Für Fotos kann sich der kleine Junge nicht erwärmen, aber die Natter in seiner Hand macht ihm nichts aus. Die Schlangenjagd hat Tradition in Cocullo.
Ein Mann in einem hellen Poloshirt und gebräuntem Teint sitzt an einem Laptop und lächelt.
In den beiden Tagen vor der Prozession sammelt das Forscherteam viele Daten zu den Schlangen. Gianpaolo Montinaro hat das Projekt mit Kollegen initiiert und ist jedes Jahr dabei. Er sammelt all die Informationen.
Eine Hand hält eine Schlange, die sich mit ihrem Leib fest um ein Massband geknotet hat.
Wie lang bist du? Die Schlangen von Cocullo werden einem Gesundheitscheck unterzogen. Dazu gehört die Messung der Körperlänge - wenn sie denn mitspielen.
Foto von zwei Menschen, die warten. Ein Mann in Jeans hält in seinen Händen mehrere Vierstreifennattern.
Wenn Nattern Schlange stehen: Die Schlangenfänger von Cocullo bringen ihre Tiere zum Gesundheitscheck vorbei.
Ein Mann hält eine Zorrnatter, die tief in seinen Finger beißt. Jemand anderes filmt die Szene mit einem Handy.
Ein Spiel, das immer funktioniert: Wer einer Zornnatter zu nahe kommt, wird gebissen.
Foto eines dunklen Schlangenauges, in dem sich der Kopf einer Frau spiegelt.
Vierstreifennattern sind so gutmütig, dass sie sich einfach ablegen lassen. Sie flüchten nicht einmal dann, wenn sich Menschen - hier die Autorin - nähern.
Foto der Statue des Heiligen Domenico, der von Nattern bedeckt ist, von hinten.
Weit wird er nicht kommen: Die Statue des Heiligen Domenico schafft in diesem Jahr nur den Weg über den Dorfplatz. Dann fängt ein Gewitter an und die Prozession muss abgebrochen werden.