Pionierinnen selbstbestimmter Mobilität
Wie eine bunte Radausfahrt zu einer globalen Bewegung für Freiheit und Unabhängigkeit wurde
Busy Streets – Auf neuen Wegen in die Stadt der Zukunft
Blumen am Fahrradlenker, Ballons am Gepäckträger und Glitzerspangen im Haar oder am Kopftuch – für den Fancy Woman Bike Ride am kommenden Sonntag werden sich weltweit zehntausende Frauen erst in Schale werfen und dann auf Alltagsrädern langsam durch ihre Stadt flanieren.
Das Konzept des Fancy Women Bike Ride hat die Radaktivistin Pinar Pinzuti 2013 mit der Lehrerin Sema Gür in der türkischen Stadt Izmir ins Leben gerufen. Damals waren in der Türkei kaum Frauen im Alltag mit dem Rad unterwegs. Es passte nicht zur Wertvorstellung der politischen Elite. „Die Frauen sollten zu Hause bleiben, wenn sie schwanger sind. Sie sollten nicht laut lachen, keine Shorts tragen und einen Schritt hinter ihrem Mann gehen", erklärt Pınar Pinzuti. Die wenigen Frauen, die sich trotzdem trauten, fuhren Rennrad oder Mountainbike. Mit ihren Alltagsrädern im Stadtverkehr waren die beiden Radaktivistinnen Exoten.
Aber für Pinar Pinzuti war damals wie heute ein Leben ohne Fahrrad unvorstellbar. Seit ihrer Kindheit ist es für sie ein Synonym für Freiheit. Mit dem Fancy Woman Bike Ride wollte sie ihren Freundinnen und Bekannten ihr Gefühl der Leichtigkeit und Unabhängigkeit vermitteln und zeigen: Radfahren macht Spaß und ein Fahrrad bringt dich überall hin. Der autofreie Tag sollte den Anfängerinnen und Wiedereinsteigerinnen die Ausfahrt im Sattel leicht machen. Sie konnten langsam nebeneinanderher gondeln und brauchten nicht auf den Verkehr zu achten.
Die Idee ging auf: 200 Frauen fuhren 2013 mit den Initiatorinnen Sema Gür und Pinar Pinzuti durch ihre Heimatstadt Izmir. 2017 waren es bereits 30.000 Frauen in 50 Städten. Mittlerweile ist der Fancy Woman Bike Ride eine internationale Ausfahrt geworden. Für 2019 haben Frauen in über 120 Städten in 15 Ländern Ausfahrten angemeldet. Eine davon ist Teheran.
„Die Frauen dort werden nicht durch die Stadt fahren, das wäre zu revolutionär, dafür könnten sie verhaftet werden“, sagt Pinar Pinzuti. Stattdessen radeln sie durch den Park. „Das ist mutig“, sagt sie. Die Frauen werden in Teheran auf ihren Fahrrädern wahrscheinlich mehr Aufsehen erregen als die Tausenden Frauen, die mit ihr rund 4500 Kilometer weiter westlich durch Mailand radeln. „Diese Frauen sind Pionierinnen“, sagt sie. Sie kämpften mutig für das, was für viele Frauen in Europa oder Amerika selbstverständlich ist: Eine eigenständige und selbstbestimmte Mobilität.
Mit dem Fancy Woman Bike Ride haben Pinar Pinzuti und Sema Gür Frauen auf der ganzen Welt ein machtvolles Instrument für ihren Protest an die Hand gegeben. Gegen lachende Radfahrerinnen in Stöckelschuhen, bunten Kleidern und mit Blumen im Haar, ist es schwer vorzugehen. Trotzdem ist die Bewegung kein Selbstläufer. Pinar Pinzuti hat sie groß gemacht. Die gebürtige Türkin ist nicht nur leidenschaftliche Radfahrerin. Sie ist auch Kosmopolitin. Sie hat japanisch und Sozialpädagogik studiert und spricht fünf Sprachen. Auf internationalen Tagungen berichtet sie von der Ausfahrt, knüpft Kontakte, spricht mit Politikern und ermutigt potenzielle Nachahmerinnen, weitere Ausfahrten zu initiieren. Ihr Ziel ist es: Das Frauen selbstständig entscheiden können, Rad zu Fahren, wann immer und wo sie es wollen.
Mit ihrem Mann lebt sie inzwischen in Mailand und schreibt dort für verschiedene Bike-Magazine. In ihrem zweiten Job unterstützt sie ehrenamtlich die Aktivisten. Sie erklärt den Ablauf, gibt Tipps und ermutigt die Teilnehmerinnen. „In Costa Rica blockierten die Behörden die Frauen. Sie hatten für den autofreien Sonntag bereits verschiedene Veranstaltungen geplant. „Sie sollten eine Woche später fahren“, sagt Pinar Pinzuti kopfschüttelnd. Für die Südamerikannerinnen war die Auseinandersetzung mit den Behörden neu. „Bleibt hartnäckig“, riet die Kampaignerin immer wieder. „Lasst euch nicht abwimmeln.“ Mit Erfolg. Jetzt rollt auch in San José eine Fancy Woman Bike Ride Karawane am autofreien Sonntag durch die Stadt.
Die Bewegung reicht von Costa Rica über Washington in Nordamerika, nach London in England weiter Richtung Nordeuropa und über Schweden und Dänemark durch Deutschland nach Südeuropa und in den Iran. „Mit unserer Teilnahme zeigen wir unsere Solidarität“, sagt Yeliz Karadeli-Yasar. Die Grundschullehrerin organisiert die Ausfahrt in Köln. Hier macht Radfahren nicht immer Spaß, ist aber grundsätzlich möglich. Aber auch Yeliz Karadeli-Yasar erlebt manchmal, dass eine ihrer Schülerinnen nicht Radfahren kann. Dann spricht sie mit den Eltern. „Manchmal sind es religiöse Gründe, manchmal liegt es aber auch am früheren Wohnort, wo Radfahrern unmöglich war oder es fehlt schlichtweg das Geld für ein Fahrrad“, sagt sie.
Das Problem kennen die Frauen aus der Fancy Woman Bike Ride Bewegung. Deshalb organisieren die Teilnehmerinnen immer wieder Kurse. „Die Frauen bringen ihre eigenen Räder mit und lassen die Anfängerinnen damit üben“, sagt Pinar Pinzuti. Die älteste Teilnehmerin in ihrem eigenen Kurs vor einigen Wochen war 71 Jahre alt. „Sie hatte ein klares Ziel vor Augen: Sie wollte unbedingt beim Fancy Woman Bike Ride mitfahren“, sagt Pinar Pinzuti und fügt strahlend hinzu: „Nach drei Stunden konnte sie Radfahren.“
Mit ihrer Idee hat sie mit Sema Gür 2013 eine Lawine ins Rollen gebracht. „In der Türkei hat sich ganz viel verändert“, stellt die Aktivistin fest. Radfahren ist kein reiner Sport mehr, sondern wird von den Männern für ihre Alltagmobilität wieder entdeckt. Was sie amüsiert: „Die Männer zeigen Bilder von unserer Ausfahrten und sagen: Seht ihr, man kann auch in normaler Kleidung Rad fahren“. Sie lacht: „Vor sechs Jahren war das noch undenkbar gewesen.“