Der Mensch in der Maschine – oder die Maschine in uns?

In Zukunft werden wir mit Maschinen verschmelzen. Das erweitert unsere Möglichkeiten: wir sind nicht mehr an unseren biologischen Körper gebunden. Und wir können andere Menschen fernsteuern. Ein Besuch in der Zukunft.

31 Minuten
Eine Person, vier Arme. Während der Träger des Projektes „Fusion“ seine beiden Arme wie gewohnt verwendet, steuert eine weitere Person, die dem Träger dank des Kamerakopfes über die Schulter blicken kann, die beiden anderen Arme völlig unabhängig.

Der Schleier fällt der alten Dame vor die Augen, als die Braut sie umarmt. Er ist weiß und zart. Die alte Dame sieht durch ihn hindurch die nackten Schultern der Braut, ihr leichtes Zittern. Sie bewundert das silbrig-weiß schimmernde Haarband, den dunklen Dutt. Er ist so glatt, als wäre er aus Porzellan. Dann hebt die Braut den Schleier. Die weinrot geschminkten Lippen, die weiß glänzenden Zähne, das Gesicht kommt immer näher, so nah, dass es unscharf wird. Ein schöner Traum, der beim Aufwachen im Nebel verschwindet, noch bevor sich die Augen öffnen. So stehen sie da, Wange an Wange, die alte Dame und die Braut.

Sie sieht die Brautmutter, die vor Rührung weint, den Brautvater, der ihre Hand hält. Sie sieht die anderen Gäste, alle sind aufgeregt. Der weiße Strauß in den Händen der Braut zittert. Und dann kommt er endlich. Der Bräutigam! Ihr Enkel! Er ist wie ein Sohn für sie.

Wie ist er groß geworden! Und nun wird er also heiraten. Gibt es einen größeren Moment im Leben? Für die alte Dame war klar, da würde sie dabei sein, in der Menge der Feiernden, eine der ersten Gratulantinnen. Doch das Leben kam anders. Und mit ihm eine Horde junger Männer, Freunde ihres Enkels, die sie zu einem Versuchskaninchen machten für eine neue Technologie, die sie „Augmented Human“ nennen, der erweiterte Mensch. Die Grenzen des Menschen verschwimmen in dieser Technologie. Eine Technologie dank der Menschen überall gleichzeitig sein können, Raum und Zeit werden relativ.

Das spürt die alte Dame gerade am eigenen Körper, sie ist dabei, ganz sicher ist sie dabei. Sie fühlt es doch! Sie steht mitten zwischen diesen Menschen, und wer von ihnen bewundert ihren Enkel mehr als sie selbst. Doch sie ist nicht da. Nicht wirklich.

Ihr Enkel sieht sich ein wenig unsicher um, dann stürzt er auf die alte Dame zu und schlägt seine Arme um sie. Seine großen, erwartungsvollen Augen, das silbern glänzende Hemd ohne eine einzige Falte, die Krawatte, an der eine kleine weiße Blume steckt – die alte Dame betrachtet alles ganz genau. Sie hebt ihre Hände, es wirkt fragend. Was geschieht hier? Dann schlingt sie ihre Arme um ihn. Der Enkel küsst sie auf den Mund.

Auf den Robotermund.

Eng umschlungen von ihren Roboterarmen.

Eine alte Dame liegt halb aufgerichtet in ihrem Bett. Sie trägt eine große, klobige VR-Brille.
Die alte Dame bekommt dank moderner Telepräsenz-Technologie die Möglichkeit, von ihrem Zimmer im Altenpflegeheim aus an der Hochzeit ihres geliebten Enkels teilzunehmen.
Ein weißer, menschenähnlich aussehender Roboter mit zwei Kameras auf seinem Kopf wird gerade von der Braut umarmt.
Das andere Ende der Verbindung: Diesen Roboter hat die alte Dame bezogen. Die beiden Kameras auf seinem Kopf ermöglichen es ihr das Geschehen in über 300 Kilometern Entfernung zu verfolgen, als wäre sie selbst anwesend.
Eine begeistert wirkende Frau sitzt auf einem Hocker. Auf ihrem Rücken trägt sie zwei Roboterarme, die sie mit ihren Füßen steuert.
Die VR-Reporterin Eva Wolfangel probiert die „MetaLimbs“ aus. Die beiden zusätzlichen Arme werden über spezielle Sensor-Socken an den Füßen gesteuert.
Eine Person lässt einen blauen Stift fallen. Eine zweite Person soll ihn auffangen. Das gelingt ihr jedoch nur, weil das Computersystem von Prof. Nishida die Hand „befehligt“.
Ohne Hilfsmittel ist es kaum möglich, den Stift zu fangen, doch dank des Systems von Professor Nishida schafft man es scheinbar ganz von selbst.