Neutralität mit Nebenwirkungen

Wer in der Debatte über die Klimakrise partout keinem Lager angehören will, gerät womöglich gerade damit auf eine Seite

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Die Laocoon-Gruppe von Bacia Bandinelli in den Uffizien von Florenz ist eine 1524 vollendete Kopie des antiken Originals. Der Vater und seine beiden Söhne winden sich im Todeskampf vor einer Collage von Zeitungs- und Onlineartikeln sowie dem Cover des Buchs Merchants of Doubt.

Die Debatte, wie Journalisten über „das Klima“ berichten sollten, ist seit dem Sommer durch mehrere Runden gegangen. Höchste Zeit, hier meine Position klarzustellen: Es geht immer darum, über welchen Aspekt von Klima man spricht.

Die Wissenschaft ist sich einig: Der Klimawandel ist messbar, menschengemacht und verändert bereits auf der ganzen Welt natürliche Prozesse. Wer über diese naturwissenschaftliche Klimaforschung berichtet, muss sich an deren Fakten orientieren und auch auf widersprüchliche Erkenntnisse hinweisen.

In der Debatte über die Auswirkungen und Lösungen der Klimakrise sind soziale Prozesse und Erkenntnisse viel wichtiger als die Resultate naturwissenschaftlicher Studien. Beides zu vermischen, spielt damit den Menschen in die Hände, die den menschengemachten Klimawandel nach wie vor grundsätzlich anzweifeln und damit dringend notwendige Veränderungen verhindern wollen.

Sind Kaffeetassen besser als Kopfkissen? Soll man Hosenträgern den Vorzug vor Gehwegplatten geben? Ist der Gang ins Wahllokal wichtiger als Zähneputzen vor der Arbeit? Absurde Fragen, solange man nicht weiß, nach welchen Kriterien die Entscheidung zu fällen ist. Sicherlich schläft man zum Beispiel besser mit dem Kopf auf dem Kissen als auf der Tasse, doch zum Wachwerden beim Frühstück wird man dem Gefäß und vor allem seinem Inhalt den Vorzug geben.

Von gleicher Kategorie war am vergangenen Mittwoch ein Tweet der Redaktion von Zapp, dem Medienmagazin im dritten Programm des NDR-Fernsehens. „Schlagen Emotionen Fakten?“ hieß es dort, und: „Journalisten streiten darüber, wie über das #Klima berichtet werden soll.“ Die Unschärfe der Formulierung wird einem klar, sobald man sich fragt: Klima-was-denn-nun?

Meine Antwort ist: Für Berichte über Klima*wissenschaft* sind Fakten unverzichtbar. Das sehe und halte ich auch so, wenn ich für Süddeutsche Zeitung, Spiegel-Online und spektrum.de über Hurrikane, den IPCC-Bericht oder den Energiebedarf beim Bitcoin-Schürfen schreibe. Naturwissenschaftliche Fakten haben wir schon genug, das Ausloten oder Schließen von Wissenslücken auf diesem Gebiet ist nicht mehr zentral wichtig. Um hingegen die Klima*krise* zu erfassen und zu beschreiben, also die Veränderungen im Leben vieler Millionen Menschen und die vollkommen inadäquate Reaktion auf allen Ebenen praktisch aller Gesellschaften, muss man Emotionen verstehen und ansprechen. Hier kann man sich an den Erkenntnissen der Sozialwissenschaften orientieren.

Ich vermute allerdings, dass die Zapp-Leute an meiner Antwort nicht interessiert sind. In ihrem Beitrag, für den sich mich interviewt haben, hat sie meine Position ja auch nicht weiter geschert.

Ich biete hier eine derart subjektive Aussage an und schreibe diesen Artikel in der ersten Person Singular, weil ich Teil des Streits bin, über den Zapp berichtet, wenn „berichten“ für eine einseitige Parteinahme das richtige Wort ist. Die TV-Kollegen stellen es nämlich so dar, als würde ich im Interesse einer gesellschaftlichen Bewegung in meinen eigenen Artikeln die Fakten ignorieren, schönreden und womöglich sogar dazu beitragen, dass aufrechte Journalisten Ärger mit ihren Kollegen bekommen, wenn sie auf Faktentreue beharren. Für einen differenzierten Blick auf den Ansatz, dem wir bei KlimaSocial folgen, und auf unser journalistisches Selbstverständnis sollte kein Platz sein in dem Beitrag.

Ich befürchte daher, ich sollte den Streit noch einmal grundsätzlich erklären. In diesem Text wird es daher um Folgendes gehen:

  • Was „erhebliche Unsicherheit“ bedeutet und auslöst
  • Die Sprache der Wissenschaft
  • Mit Fakten zu kurz gesprungen
  • Dürfen nur Wissenschaftsjournalisten über wissenschaftliche Ergebnisse schreiben?
  • Warum vermeintliche Neutralität tatsächlich Parteinahme bedeuten kann
  • Ein gutes politisches Urteil ist eine journalistische Tugend
  • Das Erkennen der Asymmetrie

Was „erhebliche Unsicherheit“ bedeutet und auslöst

Zurück also zum Anfang: Die beiden Worte „erhebliche Unsicherheiten“ haben im August dieses Jahres zu einer heftigen Twitter-Debatte geführt, die ich mit einem Kollegen geführt habe. Dessen Name ist vielen Lesern bekannt und leicht herauszufinden, aber mir geht es hier nicht um die Person, sondern um die Position, die zumindest den Twitter-Reaktionen zufolge noch einige andere Verfechter und Freunde hat. Der Streit hatte am vergangenen Montag eine Fortsetzung, weil wir auf dem Jahrestreffen der deutschen Wissenschafts-Journalisten, der Konferenz Wissenswerte in Bremen, darüber debattiert haben. Ich stelle hier eine Audio-Aufnahme meines Impuls-Statements zur Verfügung. Die Folien finden sich unter dem Link in der Bildunterschrift. Ich komme übrigens auch gern zu Vorträgen, um über das Thema zu sprechen.

Mein Impulsstatement auf der Konferenz Wissenswerte zum Nachlesen und Hören:

Titelfolie meines Vortrags in Bremen. Dort steht als Titel: „Input: Wir wissen genug, um endlich zu handeln“. Ich habe wegen der Publikationsrechte einige der in Bremen gezeigten Bilder ersetzt. (Um das pdf in einem neuen Tab zu öffnen, bitte auf den Namen klicken)
Titelfolie meines Vortrags in Bremen. Ich habe wegen der Publikationsrechte einige Bilder ersetzt. (Um das pdf in einem neuen Tab zu öffnen, bitte auf den Namen klicken)

Meine Position auf Twitter, in Bremen und hier war und ist, dass der Ausdruck „erhebliche Unsicherheiten“ als pauschales Urteil ein falsches Bild von den Erfolgen der Klimaforschung heraufbeschwört. Vor allem aber rufen die Worte, die von den Klimawandelleugnern wie ein Mantra benutzt worden sind, einen gedanklichen Rahmen, einen „frame“ auf, in dem „Abwarten, bis die Wissenschaft mehr weiß“ mitschwingt, ohne dass es ausgesprochen wird. Es wirkt so, als müssten die Forscher erst noch ihre Hausaufgaben machen, bevor sie uns mit der Empfehlung einer Reduktion der Treibhausgase aus Kohlekraftwerken und Autoauspuffen, also nach einer Änderung unseres Lebensstils belästigen dürfen.

Dabei weiß die Klimaforschung gerade das mit ziemlicher Sicherheit: Die hohen Emissionen sind für die Erwärmung und für die Veränderung von Wettermustern verantwortlich und müssen gesenkt werden, wenn die Welt ihr – völkerrechtlich verankertes – Ziel erreichen will, einen „gefährlichen Klimawandel“ zu verhindern. Wer all das ignoriert, leistet einem logischen Fehler Vorschub: als wisse die Wissenschaft nichts, bis sie alles weiß.

„Erhebliche Unsicherheiten“, die hat mein Debattengegner der Klimaforschung in seinem Kommentar im August sehr pauschal bescheinigt – geradezu als Soundbite oder für ein Zitat auf Twitter aufbereitet. Nach dem Zusammenhang des Satzes in seinem Kommentar bezog er dies auf die ganze Wissenschaft. Dass die Forschung auch erhebliche Klimarisiken identifiziert hat, steht entgegen seiner Behauptung in Bremen („das sage ich immer“) eher verklausuliert im Text und dass sie die Menschheit als Verursacher des Wandels ausgemacht hat, steht da gar nicht.

Erst später in der Diskussion machte er die „Unsicherheit“ zum Beispiel an den sogenannten Fehlerbalken beim Strahlungsantrieb fest, also sozusagen beim Impuls, mit dem sich die Erde erwärmt. In ein banales Beispiel übersetzt könnte man sagen, die Wissenschaft weiß nicht genau, ob der Thermostat der Erde um zwei oder vier Striche nach oben gedreht worden ist. Am Heizkörper selbst kann man es auch noch nicht ablesen, weil dieser noch dabei ist, sich zu erwärmen. Man kann das als erhebliche Unsicherheit bezeichnen, ohne es genauer zu erklären. Tut man das aber, dann lenkt man schnell davon ab, was die Wissenschaft genau weiß: Der Thermostat ist auf „wärmer“ gestellt worden, und zwar um mindestens zwei Striche. Und die Menschheit ist dafür nach den Worten des Weltklimarats IPCC die „dominante Ursache“.

Die Sprache der Wissenschaft

„Unsicherheit“ und „Fehlerbalken“ bedeuten in den Sprachen der Wissenschaftler und der Laien grundverschiedene Dinge. Im Alltag klingt es so, als wisse die Forschung nicht wirklich etwas, verbreite unzuverlässige oder falsche Informationen oder stochere bestenfalls im Nebel. Tatsächlich aber ist es eine zentrale Stärke der Wissenschaft, wenn sie die Grenzen ihres Wissens angibt und die maximalen systematischen oder zufälligen Fehler abschätzt, mit denen jede Messung behaftet ist. Eine Zahl mit einer Standardabweichung oder einem Vertrauensintervall ist ein Qualitätsmerkmal, sie sagt mehr aus als die gleiche Zahl ohne solche Zusatzangaben.

Mein Debattenkontrahent hat in einem Punkt recht: über Studien ohne Aussagen über diese „Konfidenz“ sollten seriöse Wissenschaftsjournalisten nicht berichten – sofern es ihnen primär um den wissenschaftlichen Gehalt geht. Oder wenn doch, dann sollten sie zumindest das Fehlen solcher Aussagen kritisch anmerken. Man kann zwar darüber streiten, ob die Angaben zur Güte der Zahlen auch in die Artikel in der Publikumspresse gehören. Das ist schwierig, weil man als Autor eigentlich immer weit ausholen müsste, um ein Laien-Publikum nicht zu verwirren. Als Autoren sollten wir aber immer zumindest das implizite Versprechen an die Leser geben, die Verlässlichkeit der Zahlen zu prüfen und für die Qualität mit unserem Namen zu bürgen.

Mit Fakten zu kurz gesprungen

Es ist eine wichtige Frage, welche Funktion Fakten, also die Ergebnisse naturwissenschaftlicher Studien, in der Klimadebatte überhaupt noch spielen. Mein Debattenkontrahent ist der Meinung, dass Lücken im Wissen ein Anlass für Zweifel sind. Und damit ein Einfallstor für professionelle Klimawandelleugner, die seiner Ansicht nach die zu wenig betonte, mangelnde Konfidenz für ihre Propaganda ausnützen könnten. Ich halte schon das für falsch oder zumindest für wenig bedeutsam, wenn wir hier nicht nur über den wissenschaftlichen Aspekt reden. Und darauf können wir uns nicht beschränken, weil gesellschaftliche Prozesse ins Spiel kommen.

Erstens zeigen sehr viele sozialwissenschaftliche Studien und meine persönliche Erfahrung über 15 Jahre: Fakten allein überzeugen kaum jemanden, der zweifelt. Wird hier also ein vermeintlicher Mangel behoben, bringt das kaum jemanden „zurück ins Boot“. Zweitens verstehen die wenigsten Klimawandelleugner genug von der Forschung, um in den Tiefen die Lücken auszumachen und publikumswirksam zu Propaganda umzuformen. Es stehen ihnen doch auch so viele einfachere Argumente zur Verfügung, solange angesehene Journalisten ihnen Statements über „erhebliche Unsicherheiten“ frei Haus liefern. Drittens nährt das Beharren auf Fakten den Eindruck, die Wissenschaft liefere noch keine ausreichende Basis für gesellschaftliche Debatten und Entscheidungen. In Wirklichkeit hat die Forschung längst genug sehr zuverlässiges Wissen gefunden, das für ein entschiedenes Umsteuern und Handeln spricht. Viele Details des künftigen Weges sind noch offen, richtig, die werden in gesellschaftlichen Debatten und hoffentlich auf der Basis künftiger Studien entschieden. Aber um diese Richtung einzuschlagen, wissen wir genug.

Wie Menschen Risiken bewerten und wie sie danach Entscheidungen treffen, das ist übrigens eindeutig ein Thema der Sozialwissenschaften. Psychologen erkunden hier kognitive Mechanismen und haben typische Fehler identifiziert. Soziologen machen Identität und soziale Zugehörigkeit als weitere Faktoren aus, Politologen sprechen über Interessen und Prozesse der öffentlichen Willensbildung. Das alles ist weit von den naturwissenschaftlichen Studien entfernt. Wer gern auf der Ebene der Fakten aus diesen Untersuchungen stehen bleiben will, der soll das tun. Aber dann soll er bitte auch keinen Anspruch darauf erheben, ernsthaft an der gesellschaftlichen Debatte mitzuwirken. Wir bei KlimaSocial versuchen, beide Bereiche im Blick zu behalten und jeweils angemessen darüber zu berichten.

Foto von der Diskussionsveranstaltung in Bremen. Personen von links: Imke Hoppe (sitzend), Axel Bojanowski (sitzend), Moderator Christoph Koch (stehend), Christopher Schrader (stehend).
Bei der Diskussion mit Imke Hoppe (links) und Moderator Christoph Koch (stehend).

Dürfen nur Wissenschaftsjournalisten über wissenschaftliche Ergebnisse schreiben?

Nicht jeden, der seine Argumente auf naturwissenschaftliche Studien stützt, interessieren die Details der Fakten und die Angaben zur Konfidenz. Nicht jeder passt den Charakter seiner Formulierungen der Qualität der benutzen Zahlen an. Und es werden gerade in der Klimadebatte Erkenntnisse aus der Forschung von Umweltschützern genutzt, von Politikern, von Wirtschaftsleuten, von Journalisten aus Feuilletons, Auto- oder Reiseredaktionen. Sie alle haben eigene Interessen und verstehen vielleicht auch nicht immer alles richtig. Das finde ich auch bedauerlich. Aber soll man denen nun den Mund verbieten, wenn sie etwas verkürzen, übertreiben, glattbügeln oder vereinfachen?

Nein, das geht erstens sowieso nicht, und zweitens bin zumindest ich persönlich sehr froh, dass über die Klima*krise* mit vielen Stimmen diskutiert wird, auch mit solchen, die mir persönlich nicht in jedem Detail gefallen. Es sollten sogar noch mehr sein, und weder die Wissenschaft noch die Wissenschafts-Journalisten können den Anspruch erheben, die zentrale Instanz der Wahrheit zu sein. Man muss eingreifen, wenn die Interpretation der Erkenntnisse von diesen Erkenntnissen selbst deutlich abweicht. Aber Deutsch ist im Gegensatz zu Mathematisch oder Wissenschaftlich eine Sprache, die vielerlei Nuancen zulässt und gelegentlich etwas verschleiert. Nehmen wir nur das Verb „entstehen“ – ist damit eine Ursache oder nur ein Auslöser gemeint?

Eine neue Art der „false balance“

Die nicht immer perfekte Rezeption der Klimaforschung erscheint meinem Debattenkontrahenten indes als genauso gefährlich wie das Verhalten der Leute, die den Status Quo erhalten und jegliche Politik zum Klimaschutz verhindern wollen. Wer auf diese Weise das Leugnen von Gefahren und das Untertreiben von Unsicherheiten gleichsetzt, wer es als gleichermaßen schädlich für die Debatte beschreibt, der schildert die Situation als falsches Gleichgewicht.

Ich lehne mich hier an den Begriff der „false balance“ aus der Kommunikationsforschung an. Diese meint damit eigentlich die inzwischen weitgehend abgestellte journalistische Praxis, in der Klimaberichterstattung gleichberechtigt neben Fachwissenschaftlern auch deren Fundamental-Kritiker zu befragen und zu zitieren, um „ausgewogen“ zu sein. Diese Ausgewogenheit kann es zwischen einer ausgewiesenen Expertin einerseits und den meist wenig qualifizierten Gegnern andererseits nicht geben. Die eine berichtet über weithin anerkannte, mindestens aber im Peer Review qualitätsgeprüfte Ergebnisse der Wissenschaft, der andere nutzt oft bereits widerlegte Argumente und ist an einer sachlichen Diskussion meist gar nicht interessiert, sondern will nur Stunk machen. Das haben die meisten Journalisten inzwischen erkannt.

Genauso falsch aber ist es, zwei weitere Pole gleichzusetzen: Hier diese Leute und ihre abwiegelnden Scheinargumente, hinter denen in vielen Fällen organisierte Industrie-Interessen stehen. Dort die Aktivisten, die Erkenntnisse der Wissenschaft vielleicht gerade in Bezug auf die Konfidenz vereinfachen, weil sich damit bessere Kampagnen starten lassen. Erstere verfälschen mit der Absicht, die nötige Veränderung der Gesellschaft zu verhindern oder zu bremsen, letztere simplifizieren und übertreiben, um die Transformation zu beschleunigen.

Wer sich hier an den Worten „nötige Transformation“ stört, sie als normativ und unjournalistisch wahrnimmt, sollte sich folgendes klarmachen: Es ist keine Frage der politischen Einstellung oder des Geschmacks, ob man eine Reduktion von Treibhausgasen für nötig hält. Sie ist im Pariser Abkommen völkerrechtlich verankert, weil sich dessen Ziele ohne sie niemals erreichen lassen. Auch die Erkenntnisse der Wissenschaft weisen eindeutig in die Richtung, die die Aktivisten einschlagen wollen, nur eben nicht so geradlinig oder massentauglich formuliert.

Warum vermeintliche Neutralität tatsächlich Parteinahme bedeutet

Beide Enden des Spektrums in der Debatte als gleichermaßen kritikwürdig zu beschreiben, ist darum eben keine neutrale Position. Entweder verniedlicht man die Verantwortung der einen Seite oder man übertreibt die Schuld der anderen. So oder so ist die eigene Haltung nicht mehr verhältnismäßig und angemessen – und das eigene journalistische Handeln vermutlich auch nicht. Man mag beklagen, dass die Klimaforschung dermaßen politisiert worden ist. Aber es ist leider so, dass sich in dieser verfahrenen und aufgeheizten Situation auf eine Seite stellt, wer mit großem Tamtam und Heldenpathos verkündet, keiner Seite anzugehören. Jeder Segler lernt irgendwann: Wer bei einer Strömung schräg von vorn auf seinem gesteckten Kurs über Grund bleiben will, der darf seinen Bug nicht auf das eigentliche Ziel zeigen lassen.

Man kann es vergleichen mit folgender Situation aus der politischen Berichterstattung: Auf der einen Seite stehen die national-konservativen Politiker der AfD wie Björn Höcke oder Alexander Gauland, auf der anderen Seite Vertreter der SPD und der Grünen, meinetwegen auch der Linken, die die Äußerungen vom rechten Rand angreifen. Und dann stellt sich ein Journalist hin und sagt, Gaulands „Vogelschiss“ oder Höckes „Denkmal der Schande“ seien genauso schlimm wie eine Kritik an diesen Parolen, weil die Kritiker die Zitate zugespitzt haben und mit Mutmaßungen über die Motive und Hintergründe wiedergeben, die eine reine Analyse der in jenem Moment gesprochenen Worte nicht unbedingt hergibt.


Ein gutes politisches Urteil ist eine journalistische Tugend

Nun könnte man natürlich argumentieren, ein Journalist müsse sich von jedem fernhalten und alle kritisieren, die auf seinem Gebiet irgendetwas falsch machen. Das wäre Neutralität, koste es, was es wolle. Dazu hat vor kurzem ein auswärtiger Beobachter der deutschen Presse etwas Interessantes gesagt: Jay Rosen, Journalistik-Professor an der New York University. Er stammt dank seiner Herkunft aus einer Tradition und Praxis von Berichterstattung, die Objektivität und Ausgewogenheit noch viel wichtiger nimmt als es hierzulande geschieht. Rosen hat in diesem Jahr mehrere Monate in Deutschland verbracht und am Ende einen Brief an die deutschen Journalisten geschickt.

Rosen schreibt darin unter anderem, es sei nicht die Aufgabe von Journalisten, dem Publikum zu sagen, was es denken, sondern nur, worüber es nachdenken solle. Das kam manchem Kritiker schon als übermäßig zurückhaltend vor, jedenfalls dort, wo Menschenrechte, Demokratie und Grundgesetz durch Extremisten bedroht sind. Doch der Mann aus New York geht dann darauf direkt ein: Er identifiziert als eine Säule des Gewerbes hierzulande, dass die Presse nach ihrem Selbstverständnis verhindern will, den öffentlichen Diskurs Extremisten egal welcher Ausrichtung zu überlassen. In den vergangenen Jahren, unter dem Eindruck des Erfolgs der AfD, habe sich das von einer unausgesprochenen Überzeugung zu einer zentralen Position in Medien und Politik verfestigt.

Und dann kommt Rosen zu folgendem Schluss: „Es gibt einen Unterschied zwischen journalistischem und politischem Handeln. Das entbindet Journalisten jedoch nicht von der Pflicht, ein gutes politisches Urteil zu beweisen [Betonung hinzugefügt].“

Nun ist die Klimakrise als globales Problem mindestens vom gleichen Kaliber wie das Wiedererstarken von Nationalismus, Chauvinismus und Rassismus. Also sollte die Forderung nach einem „guten politischen Urteil“ auch in der Klimaberichterstattung gelten. Dieses aber fehlt einem Journalisten, der die Klimawandelleugner mit übertrieben-eifrigen Aktivisten gleichsetzt.

Das Erkennen der Asymmetrie

Um Asymmetrie zu erkennen, hilft es immer, die Extremwerte anzuschauen: Was würde passieren, wenn man der einen oder der anderen Seite auf dem Leim geht?

Fallen wir auf diejenigen herein, die das Risiko verleugnen, wird unsere Gesellschaft die notwendige Veränderung der globalen Wirtschaft stoppen oder bremsen und damit den gefährlichen Wandel in den Lebensbedingungen von Milliarden Menschen beschleunigen und vergrößern. Glauben wir hingegen zu Unrecht denjenigen, die die Unsicherheit in manchen Erkenntnissen der Klimaforschung kleinreden oder ganz ausblenden, dann werden wir womöglich übertriebene und zu teure Maßnahmen auf einem Weg befürworten, den wir nach Erkenntnissen der Wissenschaft ohnehin gehen müssen – ja, der wie gesagt ein völkerrechtlich verankertes Ziel für die ganze Welt ist (einstweilen auch für die Amerikaner, bevor sie zum Termin der nächsten Präsidentschaftswahl tatsächlich das Pariser Abkommen verlassen können). Für mich ist die Schlussfolgerung evident: Die Klimawandelleugner gewähren zu lassen ist eine größere Gefahr, als die Unsicherheitverschweiger davonkommen zu lassen.

Fazit

Diese ganze Debatte ist von meiner Seite aus natürlich auch dadurch geprägt, dass ich mittlerweile die rein faktische Berichterstattung über die naturwissenschaftliche Klimaforschung als ungenügend erlebe. Ich erkläre offen, wie ich das schon auf meiner eigenen Webseite und hier bei KlimaSocial dokumentiert habe, dass ich die Klimakrise als wichtiges Problem sehe und – zumindest mit einem Teil meiner Arbeitskraft – eine wirkliche Debatte darüber fördern will. Darin müssen dann kontroverse politische Meinungen ausgetauscht werden zum Niveau des Risikos, das die Gesellschaft akzeptieren will, und zur Frage, ob Markt oder Staat bessere Lösungen bereitstellen. Vieles was dann gesagt wird, dürfte mir nicht gefallen, aber es wäre um Klassen besser als die momentane Debatte. Bisher verstecken sich zumindest die Gegner von Klimaschutz hinter scheinheiligen Attacken gegen die wissenschaftlichen Erkenntnisse.

Diese Haltung muss nicht jeder teilen. Wer als Journalist den als normativ empfundenen Teil eines solchen Ansatzes vermeiden will, soll das unbedingt tun. Aber es ist auch für sie oder ihn wichtig, die womöglich unerwünschten Nebenwirkungen eines solchen Prinzips zu erkennen. Wer sich in einem asymmetrisch strukturierten Spiel mit sehr hohem Einsatz heraushält, der trifft womöglich genau damit eine Entscheidung. ◀

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