Corona-Pandemie: Wie wir das Gesundheitssystem missbrauchen

Das Fehlen einer Pandemie-Strategie, die den Namen verdient, hat Deutschland in eine paradoxe Lage gebracht: Gerade, weil wir das Gesundheitssystem nicht überlasten wollten, haben wir es schwer beschädigt.

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Eine Pflegekraft mit Maske und Visier zeigt Zeichen von Erschöpfung

Michael Hallek holt tief Luft, bevor er sein Eingeständnis macht. „Wir haben uns in eine Falle locken lassen“, sagt der Direktor der Klinik I für Innere Medizin des Universitätsklinikums Köln während einer Runde von Intensivmedizinern, das vom Science Media Center Deutschland organisiert wurde. Mit „Falle“ meint er das Ziel, das die deutsche Pandemiepolitik seit 21 Monaten verfolgt. Es klingt eigentlich sehr vernünftig: „Wir dürfen das Gesundheitssystem nicht überlasten“. Kanzlerin Angela Merkel, oft für ihre Klugheit gerühmt, hat es formuliert und viele andere auch. Es ist ein typischer Merkel-Satz. Wie sollte man widersprechen?

Hallek jedoch spricht aus, was das in der Konsequenz bedeutet und verdeutlicht so den Wahnsinn dieser Strategie: „Wir haben so getan, als sei es okay, wenn die Intensivmedizin mit den Covid-Fällen gerade noch eben klarkommt.“ Nach dieser Logik ist es tolerierbar, wenn täglich mehrere hundert Covid-Patienten in deutsche Intensivstationen kommen. Hallek hält dagegen: „Die Intensivstation ist für die Patienten eine Folter. Sie ist das Ringen um Atemluft oder der Tod.“

Die vierte Welle entlarvt das falsche Ziel

Halleks Bedauern kommt freilich spät. In der aktuellen vierten Welle der Pandemie entlarvt sich die falsche Strategie von selbst. In 21 Monaten Pandemie hat sie das Gesundheitssystem zermürbt, statt es zu schonen. Entweder arbeitete das Personal am Anschlag, weil sich gerade eine Covid-Welle durchs Land wälzte. Oder es war wegen der Patienten am Limit, deren Behandlungen in der letzten Infektionswelle verschoben worden waren.