Warum Hunde uns Menschen so gut verstehen

Der Hund ist das erste Haustier des Menschen. Die Ursprünge seiner Domestikation reichen 15.000, wenn nicht sogar 32.000 Jahre zurück. Diese Zeit hat er genutzt, um uns zu studieren. Und hat es darin zur Meisterschaft gebracht.

vom Recherche-Kollektiv Tierreporter:
11 Minuten
Porträt eines Lundehundes. Man sieht ein Gesicht mit spitzen Ohren und schwarz umrandeten Augen

Merle starrt mich wach. Die Mischlingshündin mit dem rotgoldenen Fell ist unser Neuzugang in der Familie. Seit einer Woche ist sie da. Sie ist kein Welpe mehr, sondern ein ausgewachsener Hund aus dem Tierheim, dessen Vergangenheit im Dunkeln liegt. Wir wissen nur, dass sie auf einem Parkplatz ausgesetzt wurde. Doch auch wenn ihr früheres Zuhause nicht das beste gewesen sein mag – den Umgang mit Menschen beherrscht sie meisterhaft.

Ein unerfahrenes Tier hätte gewinselt, wenn es sich morgens langweilt. Oder seinem schlafenden Halter die Schnauze ins Gesicht geschoben und eine unwirsche Abfuhr riskiert. Ein kluger Hund macht das, was Merle da gerade anstellt: lautlos neben dem Bett stehen und intensiv den Menschen anstarren, bis der von selbst aufwacht – und auf ein Tier blickt, das mit seiner wild wedelnden Rute, den leuchtenden Augen, mit seinem ganzen Wesen auszudrücken scheint: Wie schön, dass du wach bist! Lass uns raus!

Können Hunde wissen, was wir sagen?

Doch jetzt ist es sechs Uhr morgens. Viel zu früh, finde ich. Und das sage ich dem neuen Hund. Ich tue es halb schlafend, ohne nachzudenken. „Leg dich wieder hin, Merle, ich bin noch zu müde“, murmele ich und registriere, wie sie tatsächlich kehrtmacht, als hätte sie mich ganz genau verstanden. Mit einem Grunzen sinkt sie in ihr Körbchen zurück. Seltsam, denke ich, kurz vor dem Wegdämmern. Und dann noch: Kann sie wissen, was ich sage?

Die verblüffende Antwort lautet: Ja, in gewisser Weise. Wie Forschende heute wissen, hat sich kein anderes Tier zu einem derartigen Menschenkenner entwickelt. Der Hund ist ein Meister darin, unsere Absichten zu deuten, unser Verhalten zu durchschauen. Und er kommuniziert auf so intensive und vielfältige Art mit uns, dass sich nicht wenige Menschen von ihm verstanden fühlen, mitunter mehr als von ihresgleichen. „Der versteht jedes Wort“, sagen Hundehalterinnen und -halter mindestens so oft wie: „Der tut nix.“

Von der Forschung links liegen gelassen

Umso merkwürdiger, dass die Wissenschaft ihn so lange ignoriert hat. Bis vor wenigen Jahrzehnten galt der Hund als eine Art degenerierter Wolf, dem viele Fähigkeiten der Ahnen abhandengekommen waren – weshalb sich die Forschung an ihm nicht lohne.

Was für ein Irrtum.

Zwar stimmt es, dass der Hund schlechter hört und riecht als ein Wolf, auch hat sich sein Gehirn im Lauf der Domestikation verkleinert, die Mimik ist weniger fein als beim wilden Verwandten. Doch im Gegenzug hat er eine Fülle neuer Fertigkeiten erworben, die ihn wie kein anderes Tier mit Menschen zurechtkommen lassen.

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