Pro und Contra: Kinder gegen Corona impfen

Nur selten erkranken Kinder schwer an Covid-19 – die Impfargumente der Experten

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Zwei Mädchen beugen sich über ein Blatt Papier. Das eine Mädchen hat einen Stift in der Hand, mit dem sie malt.

Seit dem 12. Mai können Kinder ab 12 Jahren in den USA mit der Vakzine Comirnaty von Biontech/Pfizer geimpft werden. Zuvor hatte der Impfstoff von der zuständigen Behörde eine Notfallzulassung erhalten. Auch in Kanada kann der Impfstoff inzwischen Jugendlichen ab 12 verabreicht werden. In Europa wird noch im Mai erwartet, dass die Europäische Arzneimittel-Agentur grünes Licht für die Impfung ab 12 gibt, einen entsprechenden Antrag hatte die Herstellerfirma Ende April gestellt.

Wie wirksam ist der mRNA-Impfstoff bei Jüngeren, welche unerwünschten Nebenwirkungen treten auf und welche Argumente haben Experten für oder gegen eine Ausdehnung der Impfungen auf die Jüngeren und Jüngsten?

Die Studienlage: Wie wirksam sind die Corona-Impfungen bei Kindern und Jugendlichen?

2260 Jugendliche (Alter: 12 bis 15) waren in den USA ab Herbst 2020 testweise mit Comirnaty geimpft worden. Sie erhielten im Abstand von drei Wochen zweimal den Impfstoff – in der gleichen Dosis, wie ihn auch Erwachsene bekommen – oder wurden zur Kontrolle mit Kochsalzlösung „geimpft“. Ende März veröffentlichen Biontech/Pfizer in einer Pressemitteilung die Studiendaten: in der Plazebo-Gruppe seien 18 Mädchen und Jungen an Covid-19 erkrankt, in der Impfgruppe keiner, die Wirksamkeit liege daher bei 100 Prozent. Nicht überprüft oder veröffentlicht sind jedoch bisher Zahlen darüber, in welchem Umfang die Impfung eine Infektion mit dem Virus verhindern konnte. Das ist ein wichtiges Detail, um Aussagen darüber machen zu können, wie stark eine Impfung die Ausbreitung von Sars-CoV-2 in der Altersgruppe und über sie hinaus hemmen kann.

Die Körperabwehr der Jugendlichen sprach gut auf die Impfung an. In ihrem Blut ließen sich laut der Herstellerangaben sogar höhere Antikörpermengen gegen das Virus nachweisen, als bisher bei Älteren nach der Impfung gefunden wurden. Das könnte die gute Schutzwirkung erklären. Die Impfreaktion, also die Nebenwirkungen, seien in dieser Altersgruppe ähnlich ausgefallen wie bei Erwachsenen, schreiben Biontech/Pfizer. Schmerzen, Schwellungen und Rötungen an der Einstichstelle waren ebenso vertreten wie Kopf-, Muskel- und Gelenkschmerzen, Übelkeit, Unwohlsein, eine Schwellung der Lymphknoten und Fieber. Das sind noch keine wirklich genauen Angaben. Völlig unbekannt ist bisher, wie heftig eine Impfreaktion bei noch Jüngeren ausfällt. Da das kindliche Immunsystem noch sehr frisch und unverbraucht ist, könnte es stärker reagieren und die Kinder könnten zum Beispiel häufiger Fieber bekommen.

Aktuell „arbeitet“ man sich in den klinischen Tests gerade von den älteren zu den jüngeren Kindern vor. Inzwischen sind Studien mit Comirnaty angelaufen bei 5– bis 11-Jährigen, bei 2– bis 5-Jährigen und bei Kindern im Alter von 6 Monaten bis 2-Jahren. Zwei verschiedene Impfstoffdosen werden getestet; auch in diesen Altersgruppen liegt der Abstand zwischen der ersten und zweiten Impfung bei drei Wochen. Ergebnisse zur Sicherheit, Wirksamkeit und Verträglichkeit in diesen Altersgruppen wird es noch in diesem Jahr geben. Es wird bei (Klein)Kindern sehr sorgsam zwischen erwünschter (Immunisierung) und unerwünschter Impfreaktion (Nebenwirkungen) abgewogen werden müssen.

Mitte März startete Moderna seine „KidCov“-Studie mit Kindern und Jugendlichen zwischen 6 Monaten und 17 Jahren. Bisher gibt es dazu noch keine Ergebnisse. Der chinesische Hersteller eines Impfstoffes, der komplette abgetötete Viren enthält (und in Europa noch nicht zugelassen ist), Sinovac, hat ebenfalls schon Kinder zwischen 3 und 17 Jahren geimpft, Ergebnisse dazu gibt es noch nicht. Studien mit den Vektorimpfstoffen von AstraZeneca und Johnson&Johnson bei jüngeren Altersgruppen pausieren gerade, weil zunächst vollständig aufgeklärt werden soll, warum es in sehr seltenen Fällen zu Blutgerinnseln nach der Impfung kommt, von der offenbar hauptsächlich jüngere Frauen betroffen sind.

Pro: Was spricht für eine Corona-Impfung von Kindern und Jugendlichen?

Eigenschutz, Bevölkerungsschutz

Jörg Dötsch, Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin, Uniklinik Köln, hält es für notwendig, Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren so bald wie möglich gegen Covid-19 zu impfen – zum einen, weil eine Impfung jedes individuelle Kind schütze, zum anderen, weil jede Impfung auch dem Bevölkerungsschutz diene. „Zwar sind die akuten Krankheitsverläufe bei Kindern nicht sehr häufig schwer und mit Krankenhausaufenthalten vergesellschaftet, jedoch ist die überschießende Immunreaktion bei einigen Kindern und Jugendlichen durchaus Grund zur stationären Aufnahme und zur Behandlung. Dies könnte im Sinne des Individualschutzes durch eine Impfung vermieden werden“, sagt Dötsch gegenüber dem Science Media Center (18).

In Deutschland wurden während der Pandemie bisher 1259 Kinder wegen Covid-19 ins Krankenhaus eingewiesen, 62 davon mussten auf der Intensivstation behandelt werden, vier starben an Covid-19 (Stand April 2021). Ein Drittel dieser Kinder war jünger als ein Jahr, ein Drittel zwischen 2 und 6, ein Drittel zwischen 7 und 20 Jahre alt.

Ähnliche Zahlen gibt es auch aus den USA: Die „American Academy of Pediatrics“ berichtet von fast 700.000 Covid-19 Fällen bei Kindern und Heranwachsenden in den USA, mit über 5000 Krankenhauseinweisungen und über 100 Todesfällen. Doch selbst wenn ein Kind schwerer an Covid-19 erkrankt ist, müssen nur 7 Prozent von ihnen intensivmedizinisch betreut werden, bei Erwachsenen sind es 53 Prozent. „Ich habe genug davon, kranke Kinder zu sehen. Ich will, dass sie geschützt sind“, sagt James Conway, Kinderarzt und Infektiologe an der University of Wisconsin. Er bezieht sich dabei auf das Multisystemische Entzündungssyndrom, an dem schätzungsweise 1 von 1000 Kindern auch noch Wochen nach der akuten Sars-CoV-2-Infektion erkranken und auch sterben kann. Kinder können außerdem Long Covid bekommen. Wie häufig das eintritt, weiß man noch nicht genau, möglicherweise sind 2 bis 5 Prozent der Infizierten betroffen.

Rückkehr in die Normalität

Eine Impfung schütze Kinder, Heranwachsende und diejenigen in ihrem Umfeld und ermögliche in ein normales Schulleben zurückzukehren, Freunde und Familie zu treffen, sagt Ugur Sahin, Mitbegründer von Biontech. Der deutsche Ärztetag forderte die Bundesregierung in diesem Jahr auf, rasch eine Impfstrategie für Kinder und Jugendliche zu entwickeln. „Das Recht auf Bildung könne nur mit einer rechtzeitigen Corona-Impfung gesichert werden“, berichtet das Ärzteblatt. Der Präsident der Bundesärztekammer Klaus Reinhard warnte nicht nur vor Bildungsdefiziten, sondern auch vor den unguten Nebenwirkungen, die es haben könne, wenn Kinder wichtige Entwicklungsphasen in sozialer Isolation erlebten. Die Impfung biete hier einen Ausweg.

Erreichen der Herdenimmunität

Kinder gegen Covid-19 zu impfen, sei der entscheidende Schlüssel, um den zwei Drittel Grenzwert der Herdenimmunität in der Bevölkerung zu erreichen und die Ausbreitung und Mutationen des Pandemie-Virus zu stoppen, sagt Miguela Caniza vom St. Jude Children`s Research Hospital in Memphis, USA.

Contra: Was spricht zum gegenwärtigen Zeitpunkt gegen eine Impfung von Kindern und Jugendlichen?

Ethische Vertretbarkeit

Wer soll mit diesen Impfungen tatsächlich geschützt werden? Fred Zepp vom Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin an der Universität Mainz meint, Kinder gegen Covid-19 zu impfen, sei zunächst „fremdnützig“. Weil Kinder deutlich seltener schwer erkrankten, würden wir Kinder vor allem impfen, um Ältere zu schützen. Natürlich gibt es Kinder mit erhöhtem Infektions- und Erkrankungsrisiko. Für alle anderen müsse aber zunächst ethisch geprüft werden, ob eine Impfung vertretbar sei.

Die Herdenimmunität darf kein Argument für Impfung von Kindern sein

Das Argument der Herdenimmuntät als Grund für Impfungen von Kindern, lässt Fred Zepp so nicht gelten. Die angestrebte Herdenimmunität ließe sich wahrscheinlich auch ohne eine Durchimpfung von Kindern erreichen, einfach, indem sie sich infizierten, zitiert die Ärztezeitung den Kinderarzt Zepp, der auch Mitglied der Ständigen Impfkommission (STIKO) ist. Der Reutlinger Kinderarzt Till Reckert verdeutlicht die Sache mit einem Gedankenexperiment: „Stellen wir uns vor, es gäbe auf der Welt nur Kinder und Jugendliche. Dann könnte es sein, dass die Pandemie völlig unbemerkt an uns vorbeigegangen wäre, weil sich die meisten Kinder selbst immunisiert hätten und mit dem Coronavirus zusammen alt geworden wären.“

Möglicherweise ist auch der Wert von 65 bis 70 Prozent Geimpfter oder Genesener, die es angeblich für eine Herdenimmunität brauche, zu hoch angesetzt, kommentiert Stephen Obaro von der University of Nebraska im Fachmagazin „The Lancet“. Denn nicht jedes Individuum sei gleichartig empfänglich und gleichartig ansteckend, argumentiert der Experte für Infektionskrankheiten bei Kindern.

Es gibt noch viele offen Fragen

Politische Vorstöße, eine regelhafte Impfung von Kindern und Jugendlichen zu fordern oder gar die Teilnahme am Präsenzunterricht vom Impfstatus gegen Covid-19 abhängig zu machen, sei zum jetzigen Zeitpunkt und auch allen bekannten Fakten nicht angemessen, mahnt Pedram Emami, Präsident der Ärztekammer Hamburg. Offen sei zum Beispiel, ob aus epidemiologischer Sicht Kinder und Jugendliche geimpft werden sollten, um der Ausbreitung der Erkrankung in den anderen Altersgruppen zu vermeiden oder dem Selektionsdruck zur Entstehung neuer Mutanten tatsächlich entgegenwirkten. Das kindliche Immunsystem unterscheidet sich von demjenigen eines Erwachsenen. Bisher ist völlig unverstanden, warum einige Kinder nach der Infektion mit Sars-CoV-2 ein Multisystemisches Entzündungssyndrom bekommen. Die gegenwärtig per Notfall oder befristet zugelassenen Impfstoff für Erwachsene haben noch kein Sicherheits -und Immunigenitätsprofil für Kinder. Im schlimmsten Fall könnte eine Impfung starke Entzündungsreaktionen fördern, befürchtet Stephen Obaro, University of Nebraska .

Geduld ist eine gefragte Qualität nicht nur in dieser Phase der Pandemie. „Ich rate zu mehr faktenbasierter und besonnener Entscheidungsfindung“, sagt Pedram Emami. Wenn überhaupt kann wegen der aktuellen Studienlage ohnehin nur an eine Impfung ab 12 Jahren gedacht werden. Für die Jüngeren liegen überhaupt noch keine Ergebnisse zu Wirksamkeit und Nebenwirkungen vor. Außerdem: selbst wenn die EMA den Impfstoff noch im Mai für Jugendliche zulassen sollte, heißt das nicht automatisch, dass dann auch ab 12 Jahren geimpft wird. Vor einer Impfempfehlung wird die STIKO die Angelegenheit noch einmal genau prüfen.

Die Recherchen zu diesem Beitrag wurden über die Riff freie Medien gGmbH aus Mitteln der Klaus Tschira Stiftung gefördert.

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