Tickende Zeitbomben am Meeresboden

Während allerorten über Aufrüstung diskutiert wird, sind die Altlasten des 2. Weltkriegs noch längst nicht beseitigt: Geschätzte 1,6 Millionen Tonnen Munition wurden nach 1945 im Meer versenkt. Die wichtigsten Fragen und Antworten zu Gefahren, Bergung und Entsorgung.

vom Recherche-Kollektiv Ozean & Meere:
5 Minuten
runder langer Zylinder in grünlichem Wasser, bewachsen mit Muscheln und Seesternen

Es war die Angst, die Deutschen könnten nie aufhören, Krieg zu führen. Bomben, Granaten, Torpedos, Minen – „wohin damit?“, fragten sich die Alliierten nach der Kapitulation der Deutschen. Was macht man mit Dingen, die man schnell und einfach verschwinden lassen möchte – am liebsten unwiederbringlich und ohne Spuren? Verbrennen? In dem Fall schwierig. Also ins Meer! Am besten dort, wo es am tiefsten ist.

Wer Aufnahmen aus der Zeit sieht, stellt schnell fest, dass das Versenken von Munition Fließbandarbeit auf Schiffen war: Eine Kiste nach der anderen verschwindet über Rampen an der Bordwand im Wasser. Wenn’s gut lief. Wenn’s schlecht lief, ging irgendwo ein Sprengkörper hoch und das ganze Schiff flog mit seiner Ladung in die Luft.

Was vor mehr als sieben Jahrzehnten wo und in welchen Mengen ins Meer geworfen wurde, wo Schiffe mit Munition untergingen oder sogar absichtlich versenkt wurden, lässt sich heute nicht mehr vollständig nachvollziehen. Denn viele Schiffseigner, die für die Munitionsversenkung Geld erhielten, sparten sich den weiten Weg zum Versenkungsgebiet oder begannen schon auf der Fahrt abzuladen, um vielleicht noch eine zweite Tour am Tag zu schaffen. Daher sind die Zahlen, die immer wieder genannt werden, auch eher als Orientierungshilfe denn als konkrete Angabe zu verstehen: 1,6 Millionen Tonnen alte Munition sollen schätzungsweise in der deutschen Nord- und Ostsee liegen, 1,3 Millionen in der Nordsee, 300.000 Tonnen in der Ostsee. Würde man diese Munition auf einen Güterzug verladen, würde der von Kiel bis Rom reichen, hat das schleswig-holsteinische Umweltministerium mal ausgerechnet.

Nach 1945 ging die Strategie auf: Die Munition war weg, und die Deutschen hatten wohl ohnehin andere Sorgen, als übrig gebliebene Kampfmittel aufzuspüren und noch länger Krieg zu führen. Doch aus der Welt ist die Munition nicht. Fast alles, was die Menschen während des Zweiten Weltkriegs an perfiden Waffen eingesetzt haben, lässt sich noch irgendwo am Meeresboden wiederfinden: Ankertauminen, Seeminen, Granaten, Patronen, Wasserbomben, Brandbomben.

Dieses Erbe aus dem Zweiten Weltkrieg ist eine tickende Zeitbombe, denn die alte Munition rottet am Meeresboden vor sich hin und setzt gefährliche Schadstoffe frei. In einem Sofortprogramm arbeiten nun Unternehmen und Forscher zusammen, um zu erproben, wie sich das gefährliche Kriegserbe am besten wieder aus dem Meer herausholen und entsorgen lässt. Wissenschaftlich begleitet wird das Projekt vom Helmholtz-Zemtrum für Ozeanforschung (Geomar) in Kiel, das bereits seit vielen Jahren zu dem Thema forscht. Die wichtigsten Fragen und Fakten haben wir hier zusammengetragen:

schlammiger Grund mit runden löchrigen Objekten
Die „Wunderwaffe“ der Nazis korrodiert am Boden der Ostsee. Aus diesen verrosteten Überresten der V1, der Fieseler Fi 103, können Krebs erregendes TNT und andere Schadstoffe ins Meer gelangen .
verschiedene rostige Objekte sind am Meeresboden verstreut
Dieses Bild wurde im Versenkungsgebiet „Kolberger Heide“ in der Kieler Förde aufgenommen und zeigt verschiedene Minen sowie offenen Sprengstoff.
gelber Roboter in einem Tauchbecken
Der Roboter „Cuttlefish“ - hier in der Explorationshalle des Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz GmbH - soll dabei helfen den Zustand von alter Munition zu bewerten und sie zu bergen.
viele Kisten in Form überdimensionierter Ziegelsteine liegen auf einem Haufen am Meeresgrund
Auch unzählige Kisten mit Munition wurden nach dem Krieg in die Ostsee geworfen. Von oben aufgenommen sehen sie aus wie ein Haufen Ziegelsteine, tatsächlich sind die Kisten aber circa einen halben Meter lang.
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