Wahltag auch für Amerikas Wappenvogel

Auch der Weißkopf-Seeadler hatte bei der US-Wahl eine Rolle. Als Wappenvogel und als Symbol für eine erfolgreiche Umweltpolitik, die ebenfalls zur Wahl stand.

vom Recherche-Kollektiv Flugbegleiter:
8 Minuten
Ein Weißkopfseeadler an seinem Horst

Die Schützenhilfe kam von ganz oben. Als Joe Biden am vergangenen Freitag während es Wahlkampf-Endspurts in Iowa auftrat, gab sich der Wappenvogel die Ehre. Sehr hoch über der Bühne ließ sich ein Pärchen Weißkopf-Seeadler blicken und kreiste einige Runden, bevor es wieder verschwand.

Das Wahlkampf-Team des demokratischen Kandidaten ließ sich den Wink des Himmels nicht nehmen und twitterte die Unterstützung durch die Gefiederten sofort in die Welt: „Nature knows“, schrieb Bidens politische Direktorin Stef Feldman: Die Natur wisse, wen sie wählen würde, sollte das wohl bedeuten.

Es war nicht das erste Mal, dass der Auftritt eines Weißkopf-Seeadlers für Schlagzeilen im Wahlkampf sorgte. Ende September veranlasste ein überfliegender Greifvogel (die ornithologisch wenig versierten politischen Beobachter streiten sich, ob es wirklich ein Adler oder nicht doch ein Bussard war) Biden sogar, sentimental über seinen an einem Gehirntumor gestorbenen Sohn Beau zu sinnieren, wie die Reporterin des New York Magazines, Olivia Nuzzi, notierte. Das letzte Mal, dass er einen Weißkopf-Seeadler gesehen habe, sei am Vorabend von Beaus’ Tod im Mai 2015 gewesen, sagte Biden beim Blick hinauf zu dem Greifvogel. Der Adler habe damals auch eine Runde gedreht und sei dann im Himmel verschwunden, berichtete ein gerührter Biden. „Vielleicht ist das mein Beau.“

Die Szene illustriert, wie emotional das Verhältnis vieler Amerikaner zu ihrem als Symbol omnipräsenten Wappenvogel ist, der Münzen, Geldscheine und das Präsidentensiegel ziert. Selbst auf vielen deutschen Naturschutzgebiets-Schildern ist er zu sehen. „Er symbolisiert Freiheit, Stärke und Mut, die besten Werte, die Amerika auszeichnen“, betont auch die US-Wildtierbehörde in einem Porträt des Wappenvogels.

Symbol für erfolgreichen Naturschutz

Auch der amtierende Präsident Donald Trump versuchte immer wieder, sich das stolze Tier zu Nutzen zu machen. Das ging aber auch schon schief. Bei einem Fotoshooting für eine Titelgeschichte des Time Magazines schreckte Trump 2015 ängstlich vor einem in Gefangenschaft gehaltenen Adler namens „Uncle Sam“ zurück.

Obwohl der damalige Präsidentschaftskandidat dem 27 Jahre alten Vogel überwiegend angstfrei begegnete und ihn sogar mit Falkner-Handschuhen auf die Hand nahm, machten die kurzen Schreck-Szenen Furore. Kein Wunder, dass Biden-Anhänger diese Szene auch nach dem Auftauchen von Adlern bei Auftritten ihres Kandidaten wieder hervorkramten und im Gegenzug heldenhafte Kitsch-Montagen des demokratischen Herausforderers mit Adlern posteten.

Der Weißkopf-Seeadler ist aber nicht nur als Nationalvogel ein Symbol. Die Art steht auch für spektakuläre Erfolge im US-Naturschutz, nachdem sie bereits fast verschwunden war.

Als der nahe mit unserem Seeadler verwandte Vogel 1782 zum Wappenvogel erklärt wurde, war er in ganz Nordamerika mit Ausnahme des äußersten Nordens Alaskas und Kanadas sowie Zentral- und Südmexikos verbreitet.

Es wird geschätzt, dass in den kontinentalen USA mit Ausnahme Alaskas damals 100.000 Brutpaare lebten. Das war bereits eine vergleichsweise niedrige Zahl, denn als die Europäer zum ersten Mal auf den nordamerikanischen Kontinent kamen, gab es Schätzungen zufolge bis zu einer halben Million Paare Weißkopf-Seeadler. Die massenhafte Verbreitung von Schusswaffen führte schon zur Mitte des 18. Jahrhunderts zu einer ersten großen Rückgangswelle.

Zum Tiefpunkt der Population in der Mitte der 1960er Jahre waren es nur noch etwas mehr als 400 Paare. Lebensraumverlust, Abschuss und Vergiftung mit DDT waren die Ursache dafür, dass der Wappenvogel an den Rand des Aussterbens geriet. Wie für viele andere Arten hat auch für den Weißkopf-Seeadler das 1962 veröffentlichte Buch von Rachel Carson „Der stumme Frühling“ über die Gefahren der Chemikalie die Wende eingeläutet. Die USA waren 1972 das erste Land, das den Einsatz von DDT verbot.

Bill Clinton verkündete zum Nationalfeiertag das Comeback

Für jedermann sichtbar wurde der Erfolg im Artenschutz für den US-Wappenvogel im Juli 1999. Am Vorabend des Unabhängigkeitstages erklärte der damalige US-Präsident Bill Clinton die Art für gerettet. „Der Weißkopf-Seeadler ist dem Abgrund der Ausrottung entronnen und gedeiht in praktisch allen Bundesstaaten“, sagte Clinton mit in der Sache angemessenem Pathos. "Ich kann mir keine bessere Art und Weise vorstellen, an die Geburt unserer Nation zu erinnern, als die Wiedergeburt unseres stolzesten lebenden Symbols zu feiern“, fügte er hinzu und entließ die Art aus der Roten Liste.

Zu diesem Zeitpunkt hatte die Population sich bereits auf knapp 6000 Paare erholt. Heute gibt es nach Schätzungen wieder bis zu 36.000 Brutpaare in den USA.

Weltweite Vorreiter im Naturschutz – bis Trump kam

Die Erholung des Weißkopf-Seeadlers steht stellvertretend für viele andere Arten und ist ein Erfolg von Naturschutzgesetzen, die bis heute zu den weltweit fortschrittlichsten zählen..

Die USA waren das erste Land der Erde, das ein umfassendes Gesetz zum Schutz gefährdeter Arten, den Endangered Species Act von 1973, verabschiedete. Von diesem und weiteren Umweltgesetzen profitieren – oder profitierten – neben Vögeln auch andere Tierarten und nicht zuletzt die Menschen.

Bis Donald Trump kam.

In seinen vier Jahren im Amt hat Trump in beispielloser Weise Gesetze und Vorschriften zum Umweltschutz zurückgedrängt. Die New York Times verfolgt akribisch, welche Regularien für Klima- Gesundheits- Landschafts- und Naturschutz die Trump-Regierung seit ihrem Amtsantritt 2016 abgeschafft oder nachhaltig geschwächt hat.

Verheerende Bilanz

Die Bilanz: Von den 100 wichtigsten Umweltgesetzen haben Trump und seine Leute 72 bereits zurückgedreht, bei 27 weiteren laufen die Arbeiten daran. Der wohl bekannteste Rückschritt in Sachen Umweltschutz – die Aufkündigung des Pariser Klimaabkommens – ist dabei nur die Spitze des schmelzenden Eisbergs.


Insgesamt gebe es Rückschritte bei 99 von 100 Bestimmungen, analysierten die Redakteure der Zeitung gemeinsam mit Juristen der Universitäten Harvard und Columbia. Am weitesten gediehen ist danach der rollback bei Vorschriften zur Luftreinhaltung, gefolgt von Regularien für die Ausbeutung von Rohstoffen durch Bohrungen und andere Formen der Ausbeutung wie Fracking. Aber auch Schutzvorschriften für Tiere, für sauberes Wasser oder gegen giftige Substanzen wie Schwermetalle sind vielfach aufgehoben oder stehen unter Druck.

„Wir haben so etwas noch bei keiner Regierung zuvor gesehen, gleich ob von Demokraten oder Republikanern geführt“, sagt der Präsident des konservativen Naturschutzverbandes Conservatives for Responsible Stewardship, David Jenkins, dem Audubon Magazine.

Widerstandslos nahmen Umweltverbände den Ausverkauf der amerikanischen Natur nicht hin. Sie können einige spektakuläre Erfolge verbuchen. So machte ein Gericht im Sommer die Streichung der Grizzly-Bären im Yellowstone-Nationalpark von der Liste der gefährdeten Tierarten rückgängig. Die Regierung wollte eigentlich den Weg frei machen für die Trophäenjagd auf die rund 700 Grizzlies im Yellowstone-Einzugsgebiet. Die Entscheidung, den Grizzlybären von der Liste zu streichen, verstieß gegen das Gesetz über gefährdete Arten, weil sie „das Ergebnis des politischen Drucks der Staaten war und nicht auf den besten wissenschaftlichen und kommerziellen Daten beruhte“, zitierte die New York Times aus der Gerichtsentscheidung.

Kampf um das älteste und wichtigste Vogelschutzgesetz

Besonders hart verläuft der Kampf um eines der Juwelen der amerikanischen Naturschutzgesetzgebung, dem Migratory Bird Treaty Act. Der MBTA ist das älteste und wichtigste Gesetz zum Vogelschutz in den USA. Es gilt bereits seit 1918 und schützt mehr als 1000 Zugvogelarten und damit einen Großteil aller Vögel. Die darin enthaltene Formulierung, wonach „Tötung und Entnahme“ „mit jedem Mittel und auf jede Weise“ verboten ist, macht den Act zum wirksamsten Vogelschutzgesetz des amerikanischen Kontinents.

Denn diese Bestimmung wurde über viele Jahrzehnte und unter demokratischen wie republikanischen Präsidenten so ausgelegt, dass auch die unbeabsichtigte, gleichwohl vorhersehbare Tötung von Vögeln strafbar ist, beispielsweise in offenen Ölgruben, an Freileitungen, Windrädern oder Funktürmen.

Im Interesse vor allem großer Industrieunternehmen arbeitete Trump an der Schwächung des Gesetzes. Dabei stört den selbsternannten Vogelschützer auch nicht, dass er damit just das Gesetz schleifen will, das die von ihm immer wieder monierte unbeabsichtigte Tötung von Adlern an Windrädern unter Strafe stellt. Zuletzt hatte er während der TV-Debatte mit Biden erklärt, er sei gegen Windräder, weil diese „alle Vögel töten“.

Abschreckende Strafen

Naturschützer, aber auch einige Politiker aus beiden großen Parteien, laufen Sturm gegen die von der Trump-Regierung angestrebten Neuregelung und verweisen auf den rapiden Rückgang vieler Vogelarten in den USA. Nach Zahlen der renommierten Cornell University gingen in den USA und Kanada in den letzten 50 Jahren fast drei Milliarden Vögel verloren – das ist fast jeder dritte Vogel.

Ein nicht unerheblicher Teil der Verluste ist Naturschützern zufolge auf unbeabsichtigte Tötungen in Landwirtschaft und Industrie zurückzuführen. „Die durch den MBTA erfassten Gefahren zu ignorieren, ist unverantwortlich, nachlässig und eine Garantie dafür Schaden anzurichten“, kritisiert Mike Parr, der Präsident des Vogelschutzverbandes American Bird Conservancy.

Der größte Wert des Gesetzes besteht nach Meinung von Naturschützern in seiner abschreckenden Wirkung. Allein die Strafandrohung habe viele Unternehmen über Jahrzehnte bewogen, mit den Behörden gemeinsam Präventionsmaßnahmen gegen den Vogeltod zu ergreifen. So wurden Ölseen abgedeckt und Funkmasten dorthin gebaut, wo keine Vogelzugroute entlangführte. Diese „best-practice-Modelle“ zur Minimierung der Todesfälle unter Vögeln gelten in vielen Fällen auch außerhalb der USA als Vorbilder, etwa zur Vermeidung von Kollisionen an Windrädern.

Etappensieg für Naturschutz

Im Ringen um den MBTA haben Umweltschützer vor kurzem einen wichtigen Etappensieg errungen. Sollte Trump abgewählt werden, könnte das Gesetz sogar dauerhaft weiterbestehen.

In einer der spektakulärsten Umweltentscheidungen der vergangenen Jahre bestätigte eine Bundesrichterin in New York die Interpretation der Kernaussage des Gesetzes, wonach auch die unbeabsichtige Tötung von Vögeln unter die Strafbarkeitsregelung fällt. Richterin Valerie Caproni ließ es sich nicht nehmen, in ihrer Urteilsbegründung sehr deutlich zu werden. „Es ist nicht nur eine Sünde, eine Spottdrossel zu töten, es ist auch ein Verbrechen“, schrieb sie unter Anspielung auf den 1960 veröffentlichten Roman To Kill a Mockingbird der Schriftstellerin Harper Lee (auf deutsch als „Wer die Nachtigall stört“ veröffentlicht).

"So lautete der Wortlaut des Gesetzes im vergangenen Jahrhundert. Aber wenn es nach dem Willen des Innenministeriums geht, werden viele Spottdrosseln und andere Zugvögel, die die Menschen erfreuen und die Ökosysteme im ganzen Land unterstützen, ohne rechtliche Folgen getötet“, schrieb die Richterin und legte die Gesetzesvorlage der Regierung damit auf Eis.

Am Dienstag haben die US-Bürgerinnen und Bürger gewählt und damit ein neues Kapitel auch in der Umweltgeschichte ihres Landes eröffnet.

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