Trommeln für die Spechte: Eine bundesweite Vogelzählung hofft auf starke Resonanz aus dem Wald

Die Charismatiker unter den Waldvögeln sind Meister darin, sich zu verstecken. Ein neues Monitoringprogramm soll jetzt verlässliche Zahlen zu ihrer Population liefern – und helfen, sie effektiver zu schützen. Ein Erfahrungsbericht

vom Recherche-Kollektiv Flugbegleiter:
12 Minuten
Dem schwarzen Specht mit rotem Scheitel, durch einen Blätterrahmen betrachtet, recken sich drei geöffnete Schnäbel entgegen.

Es gibt Momente beim Vogelbeobachten, da hofft man inständig, dass nicht ausgerechnet jetzt irgendwer vorbeikommt und neugierige Fragen stellt.

Ein Sonntag Anfang März, gegen neun Uhr morgens. Ich stehe an einer Eichenallee, die vom Rand unseres Nachbardorfs in einen Wald führt. Neben mir steht meine Jodelkanne. So nenne ich den mit Henkel versehenen Bluetooth-Lautsprecher, aus dem ich sonst bei der Küchenarbeit Podcasts höre. Jetzt tönt daraus das helle, knatternde Trommeln eines Kleinspechts, so laut, dass es gut 100 Meter im Umkreis zu hören sein dürfte.

Irgendwo im Wald oder entlang der Allee hebt jetzt ein echter Kleinspecht aufmerksam den Kopf, lauscht und trommelt zurück – darauf hoffe ich zumindest. Zugleich hoffe ich, die Fenster des Hauses gegenüber mögen geschlossen bleiben und die Straße davor menschenleer, so dass ich niemandem zu erklären brauche, was ich hier eigentlich tue.

Vögel mit Klangattrappen anlocken? Nur für die Forschung

Denn die Antwort wäre ein bisschen kompliziert: Ich müsste einräumen, dass ich hier strenggenommen einen Betrugsversuch unternehme. Das Abspielen ihrer Balzgesänge oder Trommelsignale in freier Natur spielt Vögeln die Anwesenheit von Artgenossen vor. Was die Vögel natürlich in Erregung versetzt und im Extremfall dazu verleitet, Nahrungssuche oder Nestbau zu unterbrechen, um die vermeintlichen Rivalen zu vertreiben. Das kostet sie Energie, die sie gerade jetzt in der Balzzeit dringend brauchen.

Der Specht hängt am Stamm, den Schnabel voller Insekten. Sein Scheitel ist leuchtend rot.
Der Mittelspecht ist auf den ersten Blick leicht mit dem häufigeren Buntspecht zu verwechseln. Von diesem unterscheiden ihn Kopfzeichnung und gestrichelte Flanken. An Stämmen mit dicker, grober Borke – hier einer Kiefer – stochert er nach Insekten.

Bislang habe ich noch niemals Klangattrappen eingesetzt, um Vögel aufzuspüren, und aus rein persönlicher Neugier werde ich es auch künftig nie tun. Heute aber sind meine Jodelkanne und ich in wissenschaftlichem Auftrag unterwegs: Ich nehme an einem bundesweiten Monitoringprogramm für Spechte teil. Initiiert hat es der Dachverband Deutscher Avifaunisten (DDA), der seit über 50 Jahren die Entwicklung der rund 320 in Deutschland vorkommenden Vogelarten verfolgt. Die meisten davon werden über das „Monitoring häufiger Brutvögel“ erfasst, bei dem ich auch mitmache.

Sechs Arten stehen im Fokus der Zähler

Einige Arten und Artengruppen lässt der DDA jedoch gesondert beobachten, und zu diesen gehören seit vier Jahren auch die Spechte. Über 800 Vogelfreundinnen und -freunde horchen und schauen jedes Jahr zwischen dem 21. Februar und dem 21. April jeweils zwei Mal nach ihnen, mithilfe standardisierter Tonaufnahmen von Rufen und Trommelsignalen, die sie auf festen Zählstrecken abspielen. In diesem Frühjahr zähle ich zum ersten Mal mit.

Neun Spechtarten gibt es in Deutschland; das Programm des DDA beschränkt sich auf sechs von ihnen. Außen vor bleibt etwa der Wendehals – auch ein Spechtvogel –, weil er als einziger Zugvogel seiner Artenfamilie erst Mitte April wieder zurückkehrt.

Wendehals wendet seinen Kopf nach rechts. Die Farbe seines Gefieders verschmilzt förmlich mit der groben Rinde einer Birke.
Der Wendehals ist der einzige Zugvogel unter den Spechten Europas; er überwintert in West- und Zentralafrika, neuerdings auch in Südeuropa. Seine Lieblingsspeise sind Ameisen, die er auf offenen Flächen findet – gern unter alten Obstbäumen.

Auch Bunt- und Grünspecht stehen nicht auf der Liste, weil sie bereits durch das „Monitoring häufiger Brutvögel“ gut abgedeckt sind. Der Buntspecht zählt mit mindestens 680.000 Brutpaaren bei uns schon fast zu den Allerweltsarten; der Grünspecht ist zwar seltener, aber weit verbreitet und zudem leicht zu entdecken – dank seines charakteristischen „Gelächters“ und der Gewohnheit, seine Lieblingsbeute Wiesenameisen selbst auf verkehrsumtosten städtischen Grünflächen zu suchen.

Mensch in Sicht? Zack, sitzt der Vogel hinterm Baum

Die sechs übrigen heimischen Spechte kommen vorwiegend in Wäldern oder zumindest Waldnähe vor, sind zum Teil deutlich seltener – und teilen eine Eigenschaft, die Vogelfreundïnnen manchmal zur Verzweiflung bringen kann: Sie sind sehr gut darin, sich zu verstecken.

Ich möchte gar nicht wissen, an wie vielen Spechten ich in meinem Leben schon ahnungslos vorbeigegangen bin, weil diese sich bei meinem Herannahen fix auf die mir abgewandte Seite eines Baumstamms flüchteten und still blieben, bis ich außer Sicht- und Hörweite war.

Bis heute beschleicht mich gelegentlich der Verdacht, dass diese charismatischen Waldbewohner sich gerade vor mir besonders gründlich verbergen. Wie sonst ist zu erklären, dass ich in über 50 Beobachtungsjahren noch nie einen einzigen Mittelspecht gesehen oder gehört habe, während Vogelfreundïnnen meiner Bekanntschaft mir freudig berichten (und mit Fotos belegen), dass dieser Vogel sogar ihren Garten besucht? Oder dass ich die Schwarzspechte in meinem Lieblingswald immer nur von ferne rufen höre, obwohl ich diesen seit fünf Jahren regelmäßig durchwandere?

Der Specht hockt am glatten Stamm einer Buche, hinter ihm hellblauer Himmel.
Ein Schwarzspecht, wie ihn Beobachterïnnen normalerweise zu sehen bekommen: hoch oben am Baum und vor dem hellen Himmel nur als Schattenriss zu erkennen. Aber es ist schon ein Erfolg, ihn überhaupt zu entdecken!
Dicht belaubter Apfelbaum, in der Mitte, am Stamm hockend, ein Mittelspecht.
Weil er nur selten ruft und fast nie trommelt, wird der Mittelspecht besonders häufig übersehen. Aber wer seine Lebensgewohnheiten kennt, weiß: Es lohnt sich, öfter einen genauen Blick ins Geäst alter Obstbäume zu werfen.

Einen Kleinspecht, immerhin, habe ich vor vier Jahren erstmals gesichtet. Ich hielt ihn zunächst für einen verhaltensauffälligen Singvogel, weil es so seltsam, fast rührend aussah, wie dieses nicht mal starengroße Vögelchen in energischer Spechtmanier auf einen Eichenast einhackte. Aber dann bemerkte ich seine charakteristische Schwarzweiß-Färbung, das Streifenmuster auf seinem Rücken, den roten Scheitel. Und war natürlich hin und weg vor Begeisterung, denn der Kleine war für mich bis dahin nur ein Phantom aus dem Vogelbestimmungsbuch gewesen ­– so, wie es Grau-, Dreizehen- und Weißrückenspecht bis heute geblieben sind. (Da hier in Nordniedersachsen keiner der drei vorkommt, spiele ich ihre Stimmen bei meiner Exkursion gar nicht erst ab).

An der Eichenallee: Meisen und Finken. Leider kein Kleinspecht

Der Kleinspecht turnte damals übrigens in derselben Eichenallee herum, an der ich jetzt gerade erst sein Trommelsignal abspiele und danach seinen hohen, keifenden Ruf. Leider horche ich vergebens auf eine Antwort, und in den Kronen der Alleebäume entdecke ich nur Meisen und Buchfinken. Aber das entmutigt mich nicht. Ich bin sicher: Wenn in diesem rund zwei Quadratkilometer großen Wald-, Wiesen- und Feuchtgebiet zurzeit ein Klein-, Mittel- oder Schwarzspecht anwesend ist, dann werde ich ihn finden.

Meine Zuversicht gründet sich auf Gespräche mit zwei ausgewiesenen Specht-Kennern: Malte Busch, der beim DDA das Monitoringprogramm koordiniert, und Fritz Hertel, langjähriger Sprecher der „Fachgruppe Spechte“ der Deutschen Ornithologen-Gesellschaft. Von ihnen habe ich erfahren, weshalb Spechte nicht nur mir, sondern auch anderen erfahrenen Vogelguckerïnnen überdurchschnittlich oft verborgen bleiben.

Ein Grund, sagt Malte Busch, sei ihre frühe Balzzeit: Mitte April, wenn die Beobachtungs- und Kartiersaison nach Rückkehr der meisten Zugvögel erst so richtig losgeht, haben viele Spechte Revier und Partner bereits gefunden und verhalten sich still.

Ein Eichenstamm von doppelter Litfasssäulendicke, drumherum dünnere, belaubte Bäume.me
So sieht ein Wald aus, wie Spechte ihn lieben: dicht stehende Stämme verschiedener Laubbaumarten, darunter auch mächtige, mehrhundertjährige Eichen mit stark gefurchter Borke.
Mehrere umgestürzte Stämme verbarrikadieren einen Waldweg
Je mehr Totholz ein Wald enthält, desto größere Specht-Dichten weist er auf. In diesem niedersächsischen Bruchwald leben mehrere Buntspechte und mindestens ein Schwarzspecht. (Nach Mittel- und Kleinspechten suche ich dort noch).
Gesplitterter Rest eines Baums, umgeben von Ilex-Gebüsch
Stehendes Totholz, wie dieser Rest einer umgestürzten Eiche, ist bei Spechten und anderen Waldvögeln besonders begehrt. Denn es trocknet erst aus, bevor es sich zersetzt – und zieht daher eine spezielle Kleintierfauna an.

Ein weiteres Beobachtungs-Handicap ist die Größe ihrer Reviere: Ein Grauspecht braucht mindestens 200 Hektar, ein Schwarzspecht je nach Waldtyp zwischen 250 und 1000 Hektar, um genügend Nahrung und höhlenbautaugliche Bäume zu finden. Man kann den Bewohner eines Reviers also selbst auf längeren Exkursionen leicht verpassen, wenn dieser gerade in einer anderen Ecke des Waldes unterwegs ist.

Und weil das so ist; weil die sechs selteneren Spechtarten oft unter dem Radar bleiben, lässt sich bislang nur relativ grob berechnen, wie groß die Populationen der einzelnen Arten sind und wie sich diese entwickeln. Mithilfe von Klangattrappen aber will man das jetzt genauer herausfinden. Denn die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass auch die weniger ruf- und trommelfreudigen Spechte ziemlich zuverlässig darauf reagieren.

Der Mittelspecht ist häufiger als lange vermutet

Bereits seit 1990 haben Ornithologen in verschiedenen Regionen Deutschlands Balzsignale vom Band abgespielt – und dadurch festgestellt, dass etwa der Mittelspecht in Nordhessen und in Teilen Schleswig-Holsteins deutlich häufiger ist als zunächst angenommen. Ob diese Zahlen eine langfristige Zunahme des Spechts widerspiegeln oder einfach nur illustrieren, wie oft Birder den Vogel bislang übersehen oder überhört haben: Das lässt sich im Nachhinein natürlich nicht mehr klären. Aber das Monitoring des DDA wird erstmals verlässliche Angaben dazu liefern, wie viele Mittelspechte es bei uns insgesamt gibt.

Und nicht nur das. Spechtexperten hoffen, mithilfe präziserer Zahlen einen ganzen Schwung offener Fragen beantworten zu können – zur Lebensweise der Spechte und zu Möglichkeiten, sie gezielter als bisher zu schützen.

Vogel mittig auf dicker Eichenborke
Und noch ein Mittelspecht zum Genießen: leuchtend rote Kappe, markantes Rückenmuster. Hier präsentiert sich der Vogel an einem altehrwürdigen Exemplar des Baums, dem er den Beinamen „Eichenspecht“ verdankt
Specht hängt an einer Futterglocke, in der ein halb aufgefressener Meisenknödel liegt.
Wie sein größerer und häufiger Verwandter, der Buntspecht, sucht auch der Mittelspecht gelegentlich Futterstellen in Gärten auf – wenn darin, wie in diesem, alte Eichen stehen und ein Wald in der Nähe liegt.

Denn die sechs untersuchten Spechtarten teilen zwar grundsätzlich den gleichen Lebensraum, nämlich den Wald, vor allem den naturnahen, forstwirtschaftlich wenig genutzten. Aber im Detail sind ihre Ansprüche durchaus verschieden.

Alte Bäume, egal welcher Art, ziehen das Leben an

Der Mittelspecht etwa ist ein „Stocherspecht“, der anders als der Buntspecht bei der Nahrungssuche nur selten Löcher in die Baumrinde oder das Holz hackt. Und auch nicht trommelt. Er ist besonders auf Bäume mit dicker, grober Borke angewiesen, in deren Furchen und Ritzen er nach Insekten und Spinnen sucht. Solche Borke haben vor allem ältere Eichen, aber nicht nur diese: Fritz Hertel hat den Mittelspecht schon an mehrhundertjährigen Buchen stochern sehen. Alte Bäume, gleich welcher Art, ziehen mit ihren Rissen, Schrunden und morschen Stellen nicht nur jede Menge Kleinlebewesen an, sondern bieten dem Specht auch genügend Ansatzpunkte zum Höhlenbau.

Viele Förster lassen solche Biotop-Bäume mittlerweile stehen, statt sie, wie früher, routinemäßig als „Schadholz“ entfernen zu lassen; in Bayern fördert die Landesregierung deren Erhalt sogar finanziell. Könnten solche Schutzprogramme helfen, den Mittelspecht auch in stärker genutzten Wirtschaftswäldern wieder heimisch zu machen?

Moosgrüne Flügel, grauer Kopf und etwas „grimmiger“ Gesichtsausdruck: Grauspecht auf einem mit Flechten bedeckten Zweig, von der Seite aufgenommen
Äußerlich wirkt der Grauspecht wie der Zwillingsbruder des Grünspechts, aber er stellt höhere Ansprüche an seinen Lebensraum und ist entsprechend gefährdet. Für seinen seit Jahrzehnten anhaltenden Rückgang sind vor allem intensive Forst- und Landwirtschaft verantwortlich.
Grünspecht mit roter Kappe hockt am Stamm einer Robinie
Der Grünspecht gehört zu den häufigsten Spechtarten Europas. Auch weil er anders als sein „Zwillingsbruder“, der Grauspecht, relativ ansprucnslos ist: Ihm reichen Grünflächen mit reichlich Wiesenameisen und altem Baumbestand, die er auch in Parks, Gärten und auf Friedhöfen findet.

Dem Grauspecht, so viel ist sicher, wäre damit allein nicht geholfen. Er ist vor allem in den Mittelgebirgen zuhause und braucht ein ganzes Mosaik von Biotopen zum Überleben: neben reichlich Alt- und Totholz auch Waldlichtungen und Waldsäume, die nicht wie mit dem Lineal abgeschnitten sind, sondern locker in offenes, insektenreiches Gelände übergehen – etwa Streuobstwiesen. Denn wie sein naher Verwandter, der Grünspecht, ernährt sich der Grauspecht zum großen Teil von Ameisen, die er direkt vom Boden aufsammelt, und er braucht eine Menge davon.

Wenn man solche Habitat-Mosaike nicht nur erhielte, sondern wieder gezielt anlegte – könnte man den Grauspecht womöglich dazu bewegen, sich wieder in die norddeutsche Tiefebene auszubreiten, aus der er seit den 1970er Jahren weitgehend verschwunden ist?

Gelbe Kappe, weißer Bauch, dunkelgrauer Rücken: Der Dreizehnspecht an einem Nadelbaum.
Der Dreizehenspecht hat tatsächlich nur drei Zehen – eine weniger als die meisten anderen Vogelarten. An Bäumen hochklettern kann er trotzdem. Wer das Glück hat, ihn bei einer Bergwanderung zu entdecken, erlebt ihn oft als erstaunlich zutraulich.

Einen seiner Verwandten würden nicht nur norddeutsche Waldbesitzer liebend gern häufiger auf ihren Flächen sehen – wegen seines ausgeprägten Hungers auf ein spezielles Schadinsekt. Der Dreizehenspecht lebt vorwiegend in feuchten, totholzreichen Nadelwäldern, und seine Lieblingsspeise ist der gefürchtete Borkenkäfer, der ausschließlich Fichten befällt. Schon ein einzelner Specht kann pro Jahr weit über 600.000 Exemplare des Käfers und seiner Larve vertilgen.

Ortstreu? Buntspechte fliegen sogar übers Meer

Die durch Dürre und Käferfraß massiv geschädigten Fichtenwälder im Harz, Sauerland und in anderen Mittelgebirgen sollten eigentlich ein gedeckter Tisch für den Dreizehenspecht sein, aber bislang ist er dort noch nicht aufgetaucht – sein Vorkommen beschränkt sich auf wenige Areale in den Alpen, dem Schwarzwald und dem Bayerischen Wald. Wird sich das ändern, wenn das Fichtensterben in den kommenden Jahren voranschreitet? Oder wird der Specht, wie sein „Wirtsbaum“, langfristig Opfer der Klimaerwärmung werden?

Die meisten Spechte sind sehr ortstreu, aber durchaus imstande, weite Erkundungsflüge zu unternehmen – das haben britische Buntspechte bewiesen, die erstmals 2006, nach einem Nonstop-Flug über die Irische See, an der nordirischen Küste landeten. Seitdem haben sie die gesamte irische Insel, auf der sie 300 Jahre lang fast ausgestorben waren, großflächig wiederbesiedelt. Es ist also nicht ausgeschlossen, dass auch der seltenste unserer heimischen Spechte wieder in eines seiner früheren Verbreitungsgebiete zurückkehrt.

Specht mit schwarzweiß gestreiftem Rücken an einer Birke, daneben sein Einflugloch.
Nur etwa 400 Paare des Weißrückenspechts leben in Deutschland, die meisten davon in urwüchsigen Wäldern der Alpen. Elke Brüser hat dieses Männchen bei einer Exkursion in Belarus entdeckt.

Der Weißrückenspecht ist ein echter Urwaldbewohner; er kommt nur noch in weitgehend unberührten Laub- und Mischwäldern mit großen Mengen Totholz vor – das bieten in Deutschland nur wenige Gebiete in den Alpen und dem Bayerischen Wald.

Brandenburg hofft auf Rückkehr des Urwaldvogels

Bis um 1880 war der Weißrückenspecht auch in Brandenburg heimisch, verschwand aber, als die dortigen Waldbesitzer die meisten Flächen in aufgeräumte Nutzholzforste umwandelten. Zum Glück gingen sie nicht überall gleich gründlich vor, und so blieben einige naturnahe Inseln erhalten. Sie dürfen mittlerweile wieder verwildern, als Teile des 1990 gegründeten Biosphärenreservats Schorfheide-Chorin, und dadurch steigt auch ihr Vorrat an Totholz – stehendem wie liegendem. Dass es beides gibt, ist wichtig, denn aufrechte Stämme trocknen erst aus, bevor sie sich zersetzen, und enthalten daher ein spezielles, bei Spechten besonders beliebtes Insekten-Sortiment.

Eines Tages, so hofft die Community der Specht-Freunde, wird ein bayerischer Weißrückenspecht auf einem Erkundungsflug die brandenburgischen Urwälder in spe entdecken. Und sich wieder dauerhaft dort niederlassen. Es wäre eine ornithologische Sternstunde, sagt Fritz Hertel, und „wie ein Ritterschlag für die verbliebenen Laubwälder Brandenburgs“.

Fast kreisrunde, etwa handtellergroße schwarze Öffnung, von einem Astloch mit dem Umriss eines Auges umgeben
Wie ein riesiges Auge wirkt die Spechthöhle im Stamm eines umgestürzten Baums. Aus der Nähe erkennt man, wie ebenmäßig der „Baumeister“ mit seinem Schnabel die Öffnung geformt hat.
Schwarzes, knapp faustgroßes Loch in weißem Birkenstamm, Nahaufnahme
Eine fast kreisrunde Spechthöhle im Stamm einer umgestürzten BIrke – vermutlich von einem Buntspecht angelegt

Ich persönlich wäre schon froh, wenn ich an diesem Märzmorgen wenigstens einen Kleinspecht zu hören bekäme. Die Landschaft meines Zählreviers bietet eigentlich beste Bedingungen für ihn: nicht nur alte, bereits mehrfach ausgehöhlte Eichen, sondern auch eine Flussaue mit Weiden und Erlen. Diese Baumarten haben weiches Holz, das er mit seinem kleinen Schnabel gut bearbeiten kann. Aber die Ruf- und Trommelsignale aus meiner Jodelkanne verhallen ohne Antwort.

Ein Verwandter, der zugleich ein Nesträuber ist

Vielleicht ist der Specht nur umgezogen. Fritz Hertel erzählte mir, dass der Kleinspecht ein „unsteter Geselle“ sei, der sich im Gegensatz zu seinen ortstreuen Verwandten häufiger mal ein neues Revier sucht. Das erschwert es zusätzlich, seine Entwicklung zu verfolgen – bis heute ist vielerorts ungewiss, ob seine Population nur schwankt oder aber insgesamt abnimmt.

Noch weniger weiß man, warum er so oft umzieht. Eine Theorie ist, dass er einem seiner Fressfeinde ausweicht – dem Buntspecht, einem notorischen Nesträuber, der auch die Brut seines kleinen Verwandten nicht verschont.

Kleinspecht-Männchen mit roter Kappe an der Seite eines grobrindigen Baums
Er ist nur wenig größer als ein Kleiber, der Kleinspecht, aber er trommelt so laut und schnell wie seine größeren Verwandten. Zum Höhlenbau bevorzugt er weiches Holz von Weiden oder Pappeln.

Die Bilanz meines ersten Spechtkartierversuchs: ein einziger Schwarzspecht, und auch der nur von fern. Wäre ich heute morgen nur zum Spechtezählen aufgebrochen, ich wäre vermutlich enttäuscht. Bin ich aber nicht. Im Gegenteil.

Die Arbeit mit Klangattrappe bringt häufige Wartezeiten mit sich, weil ich nach dem Abspielen der Tonaufnahmen immer mehrere Minuten lang stehenbleiben und horchen muss, ob jemand antwortet. So sieht es die Kartieranleitung vor.

Stillstehen, warten – und plötzlich ist die Natur ganz nah

In solchen Wartezeiten passiert erstaunlich viel. Es ist, als sei die Natur um mich herum nicht einfach nur da, sondern komme gezielt auf mich zu: Ein Kernbeißer landet auf einer Fichtenspitze und präsentiert sich minutenlang im schönsten Spätwintersonnenlicht. Ein Reh stakst aus dem Gebüsch und betrachtet mich in aller Ruhe. Zwei Schwanzmeisen kommen geflogen und turnen minutenlang direkt über meinem Kopf herum. Ein Starenschwarm führt sein gesamtes Repertoire an Stimmenimitationen vor: von Pirol über Dompfaff bis zu einem Spechtruf, der dem des Kleinspechts aus meiner Jodelkanne verdächtig ähnelt.

Zwei Wochen nach dieser Exkursion habe ich ihn dann doch noch leibhaftig angetroffen, in einem etwa zwei Kilometer Luftlinie entfernten Erlenwald. Schon beim ersten Abspielen der Klangattrappe ertönte eine Antwort aus dem Wald, und wenig später kamen nicht nur einer, sondern gleich zwei geflogen. Sie landeten in einer Baumkrone, so nahe, dass ich ihre unterschiedlich gefärbten Scheitel erkennen konnte: den schwarzen des Weibchens, den leuchtend roten des Männchens. Ein Pärchen! Ich war hin und weg und bin es immer noch.

Nur der Mittelspecht ließ sich wieder nicht blicken. Aber warte, dich finde ich auch noch!

Meinen herzlichen Dank an alle Flugbegleiter-Freundïnnen, die Fotos für diese Geschichte zur Verfügung gestellt haben: Nele Braas, Elke Brüser, Hans Glader, Kristina Klug, Katrin Laakmann und Anne-Sophie Wuensche.

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