Klimanotstand!

Ungewöhnliche Maßnahmen in ungewöhnlichen Zeiten.

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Das Hochwasser an der Elbe steht bis in den Schankraum des beliebten Ausfluglokals „Strandperle“.

Seit Mai rufen immer mehr Kommunen und Länder den Klimanotstand aus. Was vorbildlich klingt, kann aber folgenlos bleiben. Es gibt alternative Konzepte, um den Klimaschutz voranzubringen.

Konstanz hat am 2. Mai als erste deutsche Stadt den Klimanotstand ausgerufen. Die Stadt reagiert damit auf eine Frage, die immer mehr Stadträte umtreibt: Wie können sie ihre lokalen Klimaschutzpläne so voranbringen, dass sie im Einklang mit den Zielen des Pariser Klimaabkommens stehen?

Inzwischen wurde bereits in zwölf Städten in Deutschland der Klimanotstand ausgerufen, unter anderem in Kiel, Erlangen, Bochum, Saarbrücken und Aachen. Das Thema ist so virulent und aktuell, dass dazu in der deutschen Wikipedia Mitte Mai ein eigener Beitrag eingerichtet wurde, der etwas Überblick schaffen soll. Seither wird er täglich aktualisiert – und ist im Vergleich zu anderen Sprachversionen auch inzwischen der ausführlichste.

Das Klimabündnis Hamm startete im März die Kampagne „#Klimanotstand in jedem Rathaus“. Ziel ist es, dass sich mindestens 50 Städte und Kommunen in Nordrhein-Westfalen intensiver mit Klimapolitik auseinandersetzen. Seither gründen sich in immer mehr Städten Bürgerinitiativen. Auf Listen führt das Bündnis alle Kommunen auf, in denen entsprechende Initiativen laufen: Aktuell sind es allein in NRW in 85 Kommunen, in den weiteren Bundesländern insgesamt 32.

Das Banner der Kampagne „#Klimanotstand in jedem Rathaus“ des Klimabündnisses Hamm.
Das Banner der Kampagne „#Klimanotstand in jedem Rathaus“ des Klimabündnisses Hamm.

Auch auf internationaler Ebene gibt es erste Beschlüsse. Nachdem die Bewegung „Extinction Rebellion“ elf Tage lang in London Straßenproteste durchgeführt hatte, erklärte das britische Parlament als erstes nationales Parlament Anfang Mai den Klimanotstand. In einem weiteren Schritt soll nun im Herbst eine Bürgerversammlung einberufen werden, die das Parlament beraten und konkrete Vorschläge auf dem Weg zur Klimaneutralität erarbeiten soll. Im Moment plant die Regierung bis 2050 die nationale Klimaneutralität zu erreichen, die „Extinction Rebellion“ hingegen verlangt dies bereits für 2025.

Mitte Mai folgte das irische Parlament mit einem einstimmigen Beschluss, wobei es auch auf das Artensterben reagieren will. Im Grunde handelt es sich dabei um den Auftrag zu prüfen, inwieweit die bisherigen Maßnahmen genügen und wo und wie nachgebessert werden muss. Irland befand sich nicht unter den acht europäischen Mitgliedstaaten, die vor dem EU-Gipfel im rumänischen Sibiu forderten, die EU müsse bis 2050 klimaneutral werden. Zuletzt schloss es sich jedoch mit 23 weiteren Mitgliedstaaten der Forderung an, darunter auch Deutschland.

Bis jetzt gibt es keine Definition, was der „Klimanotstand“ eigentlich bedeutet. Im Allgemeinen versteht man darunter die Bereitschaft, Klimaschutzmaßnahmen schneller einzuführen als bisher geplant. Skepsis erfuhr kürzlich Kanada, dessen Parlament den nationalen Klimanotstand Mitte Juni ausrief. In seinem Beschluss bekräftigte es die Absicht, die Ziele des Pariser Klima-Abkommens einhalten zu wollen. Einen Tag später genehmigte die kanadische Regierung jedoch die Erweiterung einer Pipeline, die eine erhöhte Öl-Förderung in Alberta ermöglichen soll. Der kanadische Premierminister Justin Trudeau sah darin keinen Widerspruch, da man die so ermöglichten Gewinne vollständig in die Energiewende investieren wolle.

Notstandsaufrufe überschätzt?

Der Klimawissenschaftler Oliver Geden von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) glaubt, dass auch die Friday-for-Future-Bewegung die Klimanotstands-Erklärungen zunehmend kritisch wahrnimmt. Anfangs habe sie noch jede Ausrufung eines „Klimanotstands“ bejubelt. Doch nachdem das kanadische Parlament nur einen Tag später die neue Pipeline genehmigte, kamen die ersten kritischen Stimmen. Geden gegenüber KlimaSocial: „Das werden wir jetzt wohl häufiger beobachten können.“

Oliver Geden zeigt sich skeptisch: „Ich denke, man hat die praktischen Effekte solcher Notstandsaufrufe überschätzt.“ Regierungen und Parlamente hätten „kein großes Problem damit, weitreichende Deklarationen zu machen, dann aber nicht entsprechend zu handeln.“ Auf diese Weise blieben sie attraktiv für eine große Bandbreite von Stakeholdern. Geden: „Das ist in allen Politikfeldern so, aber beim Klima besonders problematisch.“

Aus wissenschaftlicher Sicht ist der „Klimanotstand“ nicht unumstritten. IPCC-Autor Myles Allen, Leiter des Climate Research Programme der University Oxford weist darauf hin, dass warme Februartage nicht unbedingt als Notstand wahrgenommen werden. Der Klimawandel werde sich vielmehr in schwelenden sozialen Ungerechtigkeiten äußern, die sich allmählich aufschaukeln. Allen zieht daher lieber einen Vergleich zum Sklavenhandel, der vielen Menschen ungeheuren Wohlstand brachte, aber für sehr viele andere eine elementare Ungerechtigkeit war.

In Deutschland fordert bisher nur eine Change.org-Petition die Ausrufung eines „nationalen Klimanotstands“. Der öffentliche Druck mehr zu unternehmen, wächst zweifellos. Vor kurzem erklärte auch Papst Franziskus einen globalen Klimanotstand und forderte eine „radikale Energiewende“, um das 1,5-Grad-Ziel einzuhalten. Er bezeichnete den Klimawandel als einen brutalen Akt der Ungerechtigkeit gegenüber den Armen und den zukünftigen Generationen.

Es muss aber nicht unbedingt die Ausrufung eines „Klimanotstandes“ sein, um die von den Wissenschaftlern geforderte große Transformation voranzubringen. Neuseeland beschloss Ende Mai die Mittelverwendung des nationalen Haushalts am Wohlbefinden seiner Bürger auszurichten. Die Mitte-Links-Regierung unter der Führung von Premierministerin Jacinda Ardern kündigte an, Maßnahmen nicht länger anhand von Kriterien wie Produktivität oder Wirtschaftswachstum bewerten zu wollen.

Jede Mittelverwendung müsse einem von fünf Regierungszielen entsprechen. Dazu gehören die Verbesserung der psychischen Gesundheit, die Reduzierung von Kinderarmut, die Beseitigung von Ungleichheiten für die indigene Bevölkerung, eine gute Weiterentwicklung im digitalen Zeitalter und schließlich der Übergang zu einer nachhaltigen, emissionsarmen Wirtschaft. Neuseeland verspricht damit ein umfassendes Umsteuern. Doch auch hier wird erst ein Blick auf die konkreten Haushaltsposten zeigen, wie nachhaltig es sein wird.

Klimaanpassung mit Bürgerbeteiligung

Die Stadt Mannheim übrigens hat bisher keinen Klimanotstand ausgerufen. Sie muss es auch nicht unbedingt, da sie ihre Hausaufgaben bereits gemacht hat. Der Gemeinderat hat im April das Konzept zur „Anpassung an den Klimawandel in Mannheim“ beschlossen. Es ist eng verzahnt ist mit dem Mannheimer Leitbildprozess 2030, der sich an den 17 Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen orientiert.

Eine Reduzierung von Emissionen sieht das Konzept konkret nur im Verkehrsbereich vor. Als eine der fünf Modellstädte des Bundes zur Stickstoffdioxidreduktion hat Mannheim nicht nur für den öffentlichen Personennahverkehr, sondern auch für den Radverkehr, die Elektromobilität und den motorisierten Individualverkehr eine Maßnahmenliste erarbeitet, die sich zu einem Instrument für eine integrierte Luft-, Lärm- und Klimaschutzplanung für die Region Rhein-Neckar entwickeln soll – und das alles nicht top-down, sondern in einem breit angelegten Beteiligungsprozess.

Fundstätten von Ambrosia: Der Raum Mannheim-Ludwigshafen in Nordwesten Baden-Württemberg ist besonders stark betroffen.
Fundstätten von Ambrosia: Der Raum Mannheim-Ludwigshafen in Nordwesten Baden-Württemberg ist besonders stark betroffen. Das Beifußblättrige Traubenkraut (Ambrosia artemisiifolia) kann heftige Allergien auslösen.Eine Pflanze kann bis zu einer Milliarde Pollenkörner freisetzen. Ambrosia stammt ursprüngich aus Nordamerika. Bis um das Jahr 2000 vertrugen die Samen keinen Frost, doch dank einer genetischen Mutation hat sich das verändert. Als Ruderalpflanze wächst sie vorzugsweise auf übernutzten oder vegetationsfrei gehaltenen Böden.

Das Klimaanpassungs-Konzept befasst sich aber auch beispielsweise mit Detailfragen zu Gesundheitsfolgen des Klimawandels. So verbreiten sich mit der zunehmenden Erwärmung gesundheitsgefährdende Pflanzen und Tiere wie die allergieauslösende Ambrosiapflanze oder der Eichenprozessionsspinner und die Asiatische Tigermücke. Ambrosia kommt im Raum Mannheim-Ludwigshafen häufiger vor als anderswo in Deutschland.

Wie die Kommunen, wie die Länder nach der Ausrufung des Klimanotstands konkrete Maßnahmen entwickeln und beschließen werden, wird sicherlich sehr unterschiedlich sein. Wenn es darum geht, die Bevölkerung mit ihren oftmals sehr konkreten Anliegen einzubeziehen, könnten solche Beteiligungsprozesse Vorbild sein, zumal sie gut dokumentiert vorliegen.

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