Riskante Expeditionen ins schmelzende Herz des grönländischen Eispanzers

Muss man in tiefe Eislöcher hinabsteigen, um das Ausmaß der Klimakrise abzuschätzen? Zweifel sind erlaubt, doch für den Dokumentarfilm „Into the ice“ ist die Aktion ein Glücksfall. Eine Rezension

5 Minuten
Aus der Tiefe einer Gletschermühle aufgenommen sieht man den Glaziologen Alun Hubbard am Seil hängend. Er ist gerade dabei, sich in das Eisloch im Gletscher abzuseilen.

Wenn im Sommer der Eispanzer Grönlands antaut, bilden sich auf seiner Oberfläche glasklare und hellblau schimmernde Flüsse, die wie ein Wildwasser in Richtung Meer rauschen. Der abenteuerlustige Glaziologe Alun Hubbard ist in solchen Flüssen schon gepaddelt. Doch jetzt sucht der britische Forscher einen noch größeren Nervenkitzel: Er möchte in eines der Abflusslöcher hinabsteigen, welche die Flüsse überall in den Eispanzer graben. Die Löcher werden Moulins oder Gletschermühlen genannt. Solange das Wasser mit Getöse in ihnen verschwindet, ist an ein Abseilen am steilen eisigen Rand des Lochs nicht zu denken. Hubbard muss auf den Herbst warten, bis das Wasser versiegt.

Der dänische Filmemacher Lars Henrik Ostenfeld möchte den Forscher begleiten. Zwei Jahre lang hat er sich darauf vorbereitet: das richtige Equipment ausgewählt und in Kletterhallen trainiert. Doch Alun Hubbard sagt Nein – zu gefährlich für einen Laien wie Ostenfeld. Also filmt Hubbard mit der Helmkamera seinen Abstieg an langen Eiszapfen vorbei, die wie Orgelpfeifen die Eiswand zieren. Ein Sicherheitsmann begleitet ihn. Als Zuschauer bangt man mit, während der Forscher mit seinen Füßen Halt auf einer kleinen Plattform sucht. Fast kann einem schwindlig werden, wenn er seine Kamera mal nach oben richtet und dann wieder nach unten blickt. Die Dimensionen sind gewaltig: Die Moulin hat das Format einer Kathedrale.

Muss das Risiko wirklich sein?

Es ist der Höhepunkt des Dokumentarfilms „Into the ice“, der vor einigen Tagen in die deutschen Kinos gekommen ist. 200 Meter lang ist das Seil, an dem der Forscher hängt, 175 Meter davon benötigt er, bis er den vereisten Boden der Moulin erreicht. Dort hört er nicht nur dünne Ströme restlichen Schmelzwassers herunterplätschern, der Eispanzer über im grollt vernehmlich.

Der Forscher Alun Hubbard und der Regisseur Lars Ostenfeld sind in diesr Luftaufnahme als kleine Figuren am Rand einer Gletschermühle zu sehen. Sie haben sich mit Seilen gesichert und werfen einen ersten Blick in das tiefe Loch im grönländischen Eis.
Der Forscher Alun Hubbard und der Regisseur Lars Ostenfeld stehen mit Seilen gesichert am Rand einer Gletschermühle und werfen einen ersten Blick hinab.